Untersagung der Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Gefangene für andere Gefangene in der JVA


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Jurafuchs

Häftling H betreibt unentgeltliche Rechtsberatung für einige seiner Mitinsassen. Ihm wird von der zuständigen Behörde die weitere Erbringung von Rechtsdienstleistungen bis zum Ende seiner Haft, längstens für 5 Jahre untersagt. H möchte klagen und beantragt Prozesskostenhilfe.

Einordnung des Falls

Untersagung der Erbringung von Rechtsdienstleistungen durch Gefangene für andere Gefangene in der JVA

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Rechtsgrundlage für den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Ja!

Die Prozesskostenhilfe soll das Gebot der Rechtsschutzgleichheit (Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 19 Abs. 4 GG) verwirklichen, indem sie wirtschaftlich Bemittelte und Unbemittelte in den Chancen ihrer Rechtsverfolgung gleichstellt. Sie kann für jedes gerichtliche Verfahren in jedem Stadium gewährt werden. Die VwGO verzichtet auf eine eigenständige Regelung der Prozesskostenhilfe und erklärt die Regelungen der ZPO – durch eine dynamische Verweisung – für entsprechend anwendbar. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe im Verwaltungsprozess richtet sich mithin nach § 166 Abs. 1 S. 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO.

2. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt u.a. voraus, dass die von H beabsichtigte Klage hinreichende Erfolgsaussichten aufweist.

Genau, so ist das!

Prozesskostenhilfe wird bewilligt, wenn (1) der Beteiligte bedürftig ist, (2) die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und (3) nicht mutwillig erscheint (§ 166 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 S. 1 ZPO). Um hinreichende Erfolgsaussichten bejahen zu können, muss der Prozesserfolg nicht schon gewiss sein. OVG BB: Dies sei dann gegeben, wenn ein Obsiegen im Hauptsacheverfahren ebenso wahrscheinlich ist wie ein Unterliegen. Eine entfernte, bloß theoretische Erfolgsmöglichkeit reiche jedoch nicht aus (RdNr. 4).

3. Rechtsgrundlage für die Untersagung der Erbringung von Rechtsdienstleistungen gegenüber H ist § 9 Abs. 1 Rechtsdienstleistungsgesetz (RDG).

Ja, in der Tat!

Nach § 9 Abs. 1 RDG kann die zuständige Behörde einer Person die weitere Erbringung von außergerichtlichen Rechtsdienstleistungen für längstens 5 Jahre untersagen, wenn Tatsachen die Annahme dauerhaft unqualifizierter Rechtsdienstleistungen zum Nachteil des Rechtssuchenden oder des Rechtsverkehrs rechtfertigen. Dies ist v.a. dann der Fall, wenn außerhalb enger persönlicher Beziehungen unentgeltliche Rechtsdienstleistungen erbracht werden, ohne dass diese unter Anleitung eines Rechtsanwalts oder Richters erfolgen (§ 9 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 RDG).

4. Zwischen H und seinen Mandanten besteht aufgrund der gemeinsamen Inhaftierung eine „ähnliche enge persönliche Beziehung“ (§ 6 Abs. 2 S. 1 RDG).

Nein!

OVG BB: Es könne dahinstehen, ob „ähnliche enge persönliche Beziehungen“ i.S.d. § 6 Abs. 2 S. 1 RDG auch unter Strafgefangenen angenommen werden können. Gegen das Vorliegen einer solchen Beziehung spreche bereits die Vielzahl der in kurzer Zeit erbrachten Dienstleistungen. Dies lasse ohne Weiteres den Schluss zu, dass die Bekanntschaft zwischen H und den Mitgefangenen erst anlässlich der Erbringung von Rechtsdienstleistungen entstanden sei (RdNr. 12; Müller, in: BeckOK-RDG, 9.A. 2019, § 6 RdNr. 19). Somit besteht ein tauglicher Untersagungsgrund (§ 9 Abs. 1 S. 2 i.V.m. § 6 Abs. 2 S. 1 RDG).

5. Die Untersagungsverfügung war ermessensfehlerhaft.

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Behörde „kann“ die Erbringung von Rechtsdienstleistungen untersagen (§ 9 Abs. 1 S. 1 RDG). Die Untersagung steht mithin im Ermessen der Behörde (§ 40 VwVfG), sodass v.a. der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden muss. OVG BB: Die Untersagung sei verhältnismäßig. In zeitlicher Hinsicht habe sich die Behörde auf die gesetzlich normierte Höchstfrist berufen. Nach Ansicht des OVG dürfte die von H ausgeübte Tätigkeit zudem wegen des Anscheins der Geschäftsmäßigkeit geeignet sein, die Ordnung der JVA in nicht mehr hinnehmbarer Weise zu stören (RdNr. 15). Mangels Erfolgsaussichten in der Hauptsache ist der Antrag des H auf Prozesskostenhilfe abzulehnen.

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GEL

gelöscht

5.12.2019, 20:26:07

Wieso ist denn die Ordnung der JVA in nicht mehr hinnehmbarer Weise gestört ? Hinweise sind im Sachverhalt diesbezüglich doch gar nicht erläutert, oder ?

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

6.12.2019, 18:37:56

@magdalena_magneto: Danke für deine wichtigen Fragen! Die dahingehenden Ausführungen im Beschluss des OVG enthalten leider keine stichhaltige Begründung. Es gibt allerdings eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung, auf die sich auch das OVG beruft, nach der Rechtsberatung unter Gefangenen zumindest dann die Ordnung der Anstalt in nicht mehr hinnehmender Weise stören kann, wenn sie den Anschein der Geschäftsmässigkeit erweckt. M.E. ist diese Rechtsprechung schlecht begründet und deshalb zweifelhaft. Das Argument wollte wir gleichwohl nicht unerwähnt lassen. Wir haben den Hinweistext nach deinen Fragen leicht angepasst, um das Argument besser zu erklären. Vielen Dank nochmal und viele Grüße - Wendelin vom Jurafuchs Team

MAM

Manu München

6.12.2019, 21:34:58

Das Oberlandesgericht Nürnberg führte in einem Urteil vom 09.Mai 2003 (Ws 220/03) aus, dass durch die rechtsberatende Tätigkeit eines Strafgefangenen Abhängigkeiten und Autoritätsstrukturen entstehen könnten, die geeignet seien, den Vollzugszweck und die Ordnung in der JVA zu gefährden.


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