Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Anfechtung der Willenserklärung

Irrtum nur bei WE der sachenrechtlichen Einigung

Irrtum nur bei WE der sachenrechtlichen Einigung

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K kauft im Onlineshop des V bewusst ein Rolex-Imitat. Bei dem Versand vergreift V sich jedoch, sodass K statt des Imitats eine echte Rolex erhält. K bemerkt den Irrtum nicht. Er freut sich einfach über die gute Qualität des vermeintlichen Imitats.

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Einordnung des Falls

Irrtum nur bei WE der sachenrechtlichen Einigung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat K die Rolex übereignet (§ 929 S. 1 BGB).

Ja!

Die Übereignung nach § 929 S. 1 BGB erfordert (1) die Einigung (dinglicher Vertrag), (2) einen Publizitätstatbestand (Übergabe § 929 S. 1 BGB, Besitzkonstitut § 930 BGB oder Abtretung eines Herausgabeanspruchs § 931 BGB), (3) Einigsein bei Eintritt des Publizitätstatbestands, sowie (4) die Berechtigung zur Übereignung. Durch den Versand der Uhr hat V konkludent ein Einigungsangebot abgegeben. K hat dieses durch Entgegennahme der Uhr konkludent angenommen. Der Zugang der Annahme ist entbehrlich (§ 151 BGB). Die weiteren Voraussetzungen liegen ebenfalls im Zeitpunkt der Übergabe vor.
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2. V kann die Übereignung wegen eines Erklärungsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Der Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB) bezeichnet das unbewusste Auseinanderfallen von objektiv Erklärtem und subjektiv Gewolltem dadurch, dass der Erklärende eine Erklärung dieses Inhalts überhaupt nicht abgeben wollte. Der Erklärungsgehalt einer dinglichen Einigung beschränkt sich hierauf: „Das Eigentum an dieser Sache soll übergehen.“ Bei dem Versand der Uhr hat V sich zwischen dem Rolex-Imitat und der echten Rolex vergriffen. V wollte die Rolex nie übereignen. V hat sich bei Abgabe der Einigungserklärung in einem Erklärungsirrtum befunden.

3. V kann die Willenserklärung gerichtet auf den Abschluss eines Kaufvertrags wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Für die Anfechtung des Kaufvertrages wäre es erforderlich, dass sich V in einem Irrtum bei Abgabe der Willenserklärung, gerichtet auf Abschluss des Kaufvertrags, befunden hat. Im Onlinehandel wird die Annahme des Angebots des Käufers grundsätzlich konkludent durch Versand der Ware erklärt. Diese Erklärung geht dem Käufer zeitgleich mit der Ware zu. Der Inhalt des Kaufvertrages ist hier: "Übergabe und Übereignung eines Rolex-Imitats." In Bezug auf diesen Vertragsinhalt unterlag V keinem Irrtum.

4. V ist nach wirksamer Anfechtung der Übereignung weiterhin Eigentümer der Rolex.

Ja!

Für eine Übereignung der Rolex an K müssen (1) die Einigung (dinglicher Vertrag), (2) die Übergabe, (3) Einigsein bei Übergabe, sowie (4) die Berechtigung zur Übereignung vorliegen. V hat sich bei der Abgabe der Einigungserklärung geirrt. Ficht V wirksam an, so fehlt es an der Einigung. Da die Anfechtung ex-tunc wirkt, bestand von Anfang an keine wirksame Einigungserklärung. Damit hat V rechtlich zu keinem Zeitpunkt das Eigentum an der Rolex verloren.

5. Kann V ohne Weiteres von K Herausgabe der echten Rolex nach § 985 BGB verlangen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Anspruch aus § 985 BGB besteht, wenn eine sog. Vindikationslage vorliegt. Diese ist gegeben, wenn (1) der Anspruchsteller Eigentümer und (2) der Anspruchsgegner Besitzer (3) ohne Recht zum Besitz ist (§ 986 BGB). Zu 1: Aufgrund der Anfechtung der Einigung hat V niemals das Eigentum an der Sache verloren. Zu 2: K hat die tatsächliche Sachherrschaft, getragen von einem Besitzwillen (Besitz). Zu 3: Grundsätzlich vermittelt der bestehende Kaufvertrag dem Käufer ein Besitzrecht. Auch wenn sich der Kaufvertrag nur auf ein Imitat bezieht, so hat V die echte Rolex in Erfüllung seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag geleistet (=Tilgungsbestimmung). Somit liegt zunächst ein Recht zum Besitz i.S.d. § 986 Abs. 1 S. 1 BGB vor.Diese Problematik wird auch im Kaufrecht unter dem Stichwort „höherwertiges aliud“ behandelt.

6. Kann V ohne Weiteres von K Rückgabe des Besitzes an der echten Rolex verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB)?

Nein, das trifft nicht zu!

Die Leistungskondiktion berechtigt zur Rückforderung, wenn (1) der Anspruchsgegner etwas erlangt hat, (2) durch Leistung des Anspruchstellers, (3) ohne materiellen Rechtsgrund. V hat zur Erfüllung seiner Pflicht aus dem Kaufvertrag geleistet (Tilgungsbestimmung). Da der Kaufvertrag weiterhin besteht, ist eine Rückforderung erst möglich, wenn der V seine Tilgungsbestimmung (analog) § 119 BGB anficht. Dann verliert das Aliud (die echte Rolex) den Bezug zum Kaufvertrag und dieser kann kein Rechtsgrund mehr für die Leistung sein.V kann über § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB nur den Besitz kondizieren (d.h. nach Bereicherungsrecht herausverlangen), nicht jedoch das Eigentum, denn Eigentümer ist V infolge der Anfechtung die ganze Zeit geblieben. Nach Anfechtung der Tilgungsbestimmung fehlt aber auch das Besitzrecht nach § 986 Abs. 1 S. 1 BGB, sodass nunmehr auch der Vindikationsanspruch aus § 985 BGB besteht.

7. K kann von V weiterhin Übergabe und Übereignung eines Rolex-Imitats verlangen (§ 433 Abs. 1 S. 1 BGB).

Ja!

V kann nur die Übereignung der echten Rolex anfechten. Der Irrtum hierüber wirkt sich nicht auf den Kaufvertrag aus. Damit bleibt dieser weiterhin bestehen und K kann von V die Übereignung eines Rolex-Imitats verlangen.
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