Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Anfechtung der Willenserklärung

Eigenschaftsirrtum (Nur Anfechtbarkeit des Verpflichtungsgeschäfts)

Eigenschaftsirrtum (Nur Anfechtbarkeit des Verpflichtungsgeschäfts)

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V lässt Antiquitätenhändler A eine alte Vase begutachten. A hält die Vase für wertlos. V verkauft und übereignet die Vase für €10 an A. Was beide nicht wissen: In Wahrheit ist die Vase antik und wertvoll. Als V davon erfährt, erklärt er die Anfechtung.

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Einordnung des Falls

Eigenschaftsirrtum (Nur Anfechtbarkeit des Verpflichtungsgeschäfts)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V kann nach einer Ansicht den Kaufvertrag mit A wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Bei einem Eigenschaftsirrtum irrt der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache. Verkehrswesentliche Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren. Das Alter eines Gegenstands ist in aller Regel ein wertbildender Faktor. Während bei den meisten Gebrauchsgegenständen der Wert mit dem Alter sinkt, so kann es bei Sammlerstücken zu einem Wertzuwachs führen. V unterlag bei Abgabe seiner Willenserklärung einem Eigenschaftsirrtum. Ohne diesen Irrtum hätte V die Willenserklärung nicht abgegeben. Allerdings unterlag auch A einem Eigenschaftsirrtum, da er ebenfalls nicht erkannte, dass die Vase antik ist. Die Behandlung dieses sogenannten Doppelirrtums ist strittig, eine Ansicht wendet § 119 Abs. 2 BGB an, eine andere die Vorschriften über die Störung der Geschäftsgrundlage (§ 313 Abs. 2 BGB). Für die Lösung über § 119 Abs. 2 BGB spricht, dass das Anfechtungsrecht Ausdruck der Privatautonomie ist und es gerechtfertigt ist, dass derjenige, der einen Vorteil aus der Anfechtung hat, sich auch nach § 122 BGB schadensersatzpflichtig macht.
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2. V kann die Übereignung wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Die dingliche Einigung ist ein Rechtsgeschäft und kann grundsätzlich angefochten werden. Allerdings beinhaltet die Einigung (dinglicher Vertrag in der Übereignung) nur den Inhalt: „Das Eigentum an dieser Sache soll übergehen“. Die Einigung ist damit grundsätzlich wertneutral. Vorstellungen und Abreden aus dem zugrundeliegenden Verpflichtungsgeschäft dürfen wegen des Trennungsprinzips nicht auf die Einigung übertragen werden. V kann das Verfügungsgeschäft nur anfechten, wenn diesem ein eigener (bzw. bei sog. Fehleridentität der gleiche Irrtum) zugrunde liegt. V wollte aber genau diese Vase übereignen. Er war nicht im Irrtum.

3. V kann den Kaufvertrag mit A wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).

Nein!

Dazu müsste A den V arglistig über Tatsachen getäuscht haben, sodass V einem Irrtum unterlegen ist, ohne den er eine Willenserklärung dieser Art nicht abgegeben hätte. Das Alter einer Vase ist ein dem Beweis zugänglicher Umstand der Vergangenheit oder Gegenwart. V müsste allerdings auch arglistig gehandelt haben. Arglistig handelt, wer weiß und will (dolus eventualis ausreichend), dass der Getäuschte eine Willenserklärung abgibt, die er ohne Täuschung nicht abgegeben hätte. Arglist liegt auch vor, wenn der Täuschende etwas Unrichtiges „ins Blaue hinein“ behauptet. A kannte das wahre Alter der Vase nicht.

4. V kann Rückgabe und Rückübereignung der Vase aus Leistungskondiktion verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

Die Leistungskondiktion berechtigt zur Rückforderung, wenn (1) der Anspruchsgegner etwas erlangt hat, (2) durch Leistung des Anspruchstellers, (3) ohne materiellen Rechtsgrund.. Zu 1: A hat Besitz und Eigentum an der Vase erlangt. Zu 2: Dies hat A auch durch Leistung des V erhalten, weil V glaubte, seine Verpflichtung aus dem Kaufvertrag erfüllen zu müssen. Zu 3: Der Kaufvertrag würde das Recht zum Behalten der Leistung darstellen. Durch die Anfechtung ist der Kaufvertrag jedoch ex-tunc nichtig. A hat Besitz und Eigentum an der Vase ohne Rechtsgrund erlangt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

MANUM

ManuMomo

24.10.2020, 17:45:29

handelt es sich hier nicht um einen beiderseitigen

Eigenschaftsirrtum

(Wert der Vase), wobei eine Anfechtung nach §119 II ausgeschlossen ist und stattdessen § 313 II vorrangig ist?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

29.10.2020, 16:09:24

Hallo ManuMomo, danke für den guten Hinweis! Zunächst, bitte beachte, dass gerade der Wert einer Sache an sich keine Eigenschaft iSd § 119 Abs. 2 BGB ist. Nur eben die wertbildenden Faktoren, wie in unserem Fall beschrieben. Die Frage, welche Vorschriften Anwendung bei einem beiderseitigen

Motivirrtum

(Doppelirrtum) finden, ist sehr umstritten (zum Streitstand: MükoBGB-Finkenauer, § 313 Rn. 147ff). Die heute wohl hM geht vom Vorrang des § 313 Abs. 2 BGB aus. Unserer Ansicht nach sprechen aber die besseren Argumente (auf die kommt es im 1. Examen an) für die andere Ansicht (vertreten zB von Medicus Bürgerliches Recht, Rn. 162). Da es uns in diesem Fall um die Erklärung der

Fehleridentität

geht, haben wir den Streitstand zur Abgrenzung von 119 Abs. 2 und 313 Abs. 2 BGB in der ersten Antwort

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

29.10.2020, 16:09:49

Da es uns in diesem Fall um die Erklärung der

Fehleridentität

geht, haben wir den Streitstand zur Abgrenzung von 119 Abs. 2 und 313 Abs. 2 BGB in der ersten Antwort ergänzt und den Fall anschließend nach der mM gelöst. LG :)

THED

TheDustyOne

7.2.2022, 16:07:13

Eigentlich müsste doch hier bei einem Eigenschaftsirttum nach der Lehre der

Fehleridentität

auch das Verfügungsgeschäft anfechtbar sein. Grundsätzlich gilt natürlich das Abstraktionsprinzip, aber in diesem Fall lag doch auch ein Anfechtungsgrund bezüglich des Verfügungsgeschäfts vor. Der Irrtum war ja auch mitbestimmend bei der Abgabe der dinglichen Einigungserklärung. V hätte die Vase wohl nicht übereignet, wenn er gewusst hätte, dass die Vase antik und wertvoll ist. Er könnte also doch wegen

Eigenschaftsirrtum

das Verfügungsgeschäft anfechten.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

8.2.2022, 15:45:40

Hallo TheDustyOne, der Begriff der "

Fehleridentität

" ist wirklich mit höchster Vorsicht zu genießen und führt leider nur allzu oft dazu, dass man versehentlich gegen das Abstraktions- und Trennungsprinzip verstößt. Für die Frage, ob V die Vase an A übereignet, ist der Wert der Vase vollkommen unerheblich. Dass sie antik ist und insofern deutlich mehr als €10 wert ist, betrifft allein die Frage, was V hier als Gegenleistung bekommt. Dies betrifft damit aber allein das schuldrechtliche Geschäft, denn in diesem werden die jeweiligen Verpflichtungen bestimmt. Der Irrtum auf Ebene des Verpflichtungsgeschäft ist nicht identisch mit dem auf Ebene des Verfügungsgeschäfts. Denn V wollte genau diese Vase übereignen (anders z.B. wenn er sich vergreift und statt der billigen Vase versehentlich eine teure Vase übereignet) und war hierzu auch in der Lage (anders z.B: bei Minderjährigen, die weder auf Verfügungs- noch auf Verpflichtungsebene nachteilige Geschäfte abschließen könne.). Ich hoffe es ist so etwas deutlicher geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Fuller at H(e)art

Fuller at H(e)art

13.5.2022, 20:10:55

Das hier nicht auch das Verfügungsgeschäft anfechtbar sein soll, erscheint in Anbetracht der überkommenen uno acto Rechtsprechung mindestens zweifelhaft. Der Sachverhalt i.V.m. der Illustration vermitteln den Eindruck, dass Abschluss des kausalen und abstrakten Rechtsgeschäfts zeitgleich, i.e. durch einen Willensakt erfolgen. In diesem Fall ließe sich m.E. aber vertreten, dass der

Eigenschaftsirrtum

auch für das Verfügungsgeschäft kausal geworden und dieses somit anfechtbar ist.

Jan

Jan

21.7.2023, 16:02:04

Das dürfte ja zumindest umstritten sein, eine nicht ganz so einseitige Darstellung wäre also wohl angebracht.

DIAA

Diaa

21.10.2023, 18:36:44

d.h. Anfechtung einer

Übereignung

wegen

Eigenschaftsirrtum

s ist stets ausgeschlossen?

Merle_Breckwoldt

Merle_Breckwoldt

30.4.2024, 19:17:57

Hallo Diaa, genau (bzw. wirklich fast immer, s.u.), zumindest wird man das wohl mit der h.M. und aus guten Gründen sagen müssen. Denn man könnte § 119 II BGB zwar als Sonderfall des

Motivirrtum

s ansehen und daraus folgern, dass das Motiv 'Verkennen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft' immer Grundlage sowohl des Verpflichtungs- als auch Verfügungsgeschäfts ist. Diese Konstruktion, nach der ein Willensmangel gerade immer durchschlagen soll, ist aber nur schwer mit dem Abstraktionsprinzip vereinbar. Daher betrachten wir die dingliche Einigung besser als rechtlich neutral, wonach ein

Eigenschaftsirrtum

auf Verfügungsebene (nahezu) undenkbar ist. Es verbleiben äußerst seltene Fälle, in denen die Verfügung ausnahmsweise explizit doch nicht neutral ist, die verkehrswesentliche Eigenschaft also auch konkret im Verfügungsgeschäft eine Rolle gespielt hat. Beispiel nach Haferkamp, Jura 1998, 511: Verzicht auf einen Eigentumsvorbehalt im Irrtum über die Kreditwürdigkeit des Vertragspartners. Viele Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team


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