Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Eigenschaftsirrtum (Nur Anfechtbarkeit des Verpflichtungsgeschäfts)
Eigenschaftsirrtum (Nur Anfechtbarkeit des Verpflichtungsgeschäfts)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
V lässt Antiquitätenhändler A eine alte Vase begutachten. A hält die Vase für wertlos. V verkauft und übereignet die Vase für €10 an A. Was beide nicht wissen: In Wahrheit ist die Vase antik und wertvoll. Als V davon erfährt, erklärt er die Anfechtung.
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Einordnung des Falls
Eigenschaftsirrtum (Nur Anfechtbarkeit des Verpflichtungsgeschäfts)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. V kann nach einer Ansicht den Kaufvertrag mit A wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. V kann die Übereignung wegen eines Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).
Nein, das trifft nicht zu!
3. V kann den Kaufvertrag mit A wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 1 BGB).
Nein!
4. V kann Rückgabe und Rückübereignung der Vase aus Leistungskondiktion verlangen (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ManuMomo
24.10.2020, 17:45:29
handelt es sich hier nicht um einen beiderseitigen
Eigenschaftsirrtum(Wert der Vase), wobei eine Anfechtung nach §119 II ausgeschlossen ist und stattdessen § 313 II vorrangig ist?
Eigentum verpflichtet 🏔️
29.10.2020, 16:09:24
Hallo ManuMomo, danke für den guten Hinweis! Zunächst, bitte beachte, dass gerade der Wert einer Sache an sich keine Eigenschaft iSd § 119 Abs. 2 BGB ist. Nur eben die wertbildenden Faktoren, wie in unserem Fall beschrieben. Die Frage, welche Vorschriften Anwendung bei einem beiderseitigen
Motivirrtum(Doppelirrtum) finden, ist sehr umstritten (zum Streitstand: MükoBGB-Finkenauer, § 313 Rn. 147ff). Die heute wohl hM geht vom Vorrang des § 313 Abs. 2 BGB aus. Unserer Ansicht nach sprechen aber die besseren Argumente (auf die kommt es im 1. Examen an) für die andere Ansicht (vertreten zB von Medicus Bürgerliches Recht, Rn. 162). Da es uns in diesem Fall um die Erklärung der
Fehleridentitätgeht, haben wir den Streitstand zur Abgrenzung von 119 Abs. 2 und 313 Abs. 2 BGB in der ersten Antwort
Eigentum verpflichtet 🏔️
29.10.2020, 16:09:49
Da es uns in diesem Fall um die Erklärung der
Fehleridentitätgeht, haben wir den Streitstand zur Abgrenzung von 119 Abs. 2 und 313 Abs. 2 BGB in der ersten Antwort ergänzt und den Fall anschließend nach der mM gelöst. LG :)
TheDustyOne
7.2.2022, 16:07:13
Eigentlich müsste doch hier bei einem Eigenschaftsirttum nach der L
ehreder
Fehleridentitätauch das
Verfügungsgeschäftanfechtbar sein. Grundsätzlich gilt natürlich das Abstraktionsprinzip, aber in diesem Fall lag doch auch ein Anfechtungsgrund bezüglich des
Verfügungsgeschäfts vor. Der Irrtum war ja auch mitbestimmend bei der Abgabe der dinglichen Einigungserklärung. V hätte die Vase wohl nicht übereignet, wenn er gewusst hätte, dass die Vase antik und wertvoll ist. Er könnte also doch wegen
Eigenschaftsirrtumdas
Verfügungsgeschäftanfechten.
Lukas_Mengestu
8.2.2022, 15:45:40
Hallo TheDustyOne, der Begriff der "
Fehleridentität" ist wirklich mit höchster Vorsicht zu genießen und führt leider nur allzu oft dazu, dass man versehentlich gegen das Abstraktions- und
Trennungsprinzipverstößt. Für die Frage, ob V die Vase an A übereignet, ist der Wert der Vase vollkommen unerheblich. Dass sie antik ist und insofern deutlich mehr als €10 wert ist, betrifft allein die Frage, was V hier als Gegenleistung bekommt. Dies betrifft damit aber allein das schuldrechtliche Geschäft, denn in diesem werden die jeweiligen Verpflichtungen bestimmt. Der Irrtum auf Ebene des Verpflichtungsgeschäft ist nicht identisch mit dem auf Ebene des
Verfügungsgeschäfts. Denn V wollte genau diese Vase übereignen (anders z.B. wenn er sich vergreift und statt der billigen Vase versehentlich eine teure Vase übereignet) und war hierzu auch in der Lage (anders z.B: bei Minderjährigen, die weder auf Verfügungs- noch auf Verpflichtungsebene nachteilige Geschäfte abschließen könne.). Ich hoffe es ist so etwas deutlicher geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Fuller at H(e)art
13.5.2022, 20:10:55
Das hier nicht auch das
Verfügungsgeschäftanfechtbar sein soll, erscheint in Anbetracht der überkommenen uno acto Rechtsprechung mindestens zweifelhaft. Der Sachverhalt i.V.m. der Illustration vermitteln den Eindruck, dass Abschluss des kausalen und abstrakten Rechtsgeschäfts zeitgleich, i.e. durch einen Willensakt erfolgen. In diesem Fall ließe sich m.E. aber vertreten, dass der
Eigenschaftsirrtumauch für das
Verfügungsgeschäftkausal geworden und dieses somit anfechtbar ist.
Jan
21.7.2023, 16:02:04
Das dürfte ja zumindest umstritten sein, eine nicht ganz so einseitige Darstellung wäre also wohl angebracht.
Diaa
21.10.2023, 18:36:44
Merle_Breckwoldt
30.4.2024, 19:17:57
Hallo Diaa, genau (bzw. wirklich fast immer, s.u.), zumindest wird man das wohl mit der h.M. und aus guten Gründen sagen müssen. Denn man könnte § 119 II BGB zwar als Sonderfall des
Motivirrtums ansehen und daraus folgern, dass das Motiv 'Verkennen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft' immer Grundlage sowohl des Verpflichtungs- als auch
Verfügungsgeschäfts ist. Diese Konstruktion, nach der ein Willensmangel gerade immer durchschlagen soll, ist aber nur schwer mit dem Abstraktionsprinzip vereinbar. Daher betrachten wir die dingliche Einigung besser als rechtlich neutral, wonach ein
Eigenschaftsirrtumauf Verfügungsebene (nahezu) undenkbar ist. Es verbleiben äußerst seltene Fälle, in denen die Verfügung ausnahmsweise explizit doch nicht neutral ist, die
verkehrswesentliche Eigenschaftalso auch konkret im
Verfügungsgeschäfteine Rolle gespielt hat. Beispiel nach Haferkamp, Jura 1998, 511: Verzicht auf einen Eigentumsvorbehalt im Irrtum über die Kreditwürdigkeit des Vertragspartners. Viele Grüße, Merle für das Jurafuchs-Team