Zivilrechtliche Nebengebiete

Arbeitsrecht

Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Kündigung bei Bagatelldiebstahl („Fall Emmely“)

Kündigung bei Bagatelldiebstahl („Fall Emmely“)

22. November 2024

4,8(5.521 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Kassiererin Emmely arbeitet bereits seit über 30 Jahren beanstandungsfrei in einem Supermarkt. Dort findet sie zwei Leergutbons im Wert von €0,48 und €0,82. E nimmt die Bons an sich und löst diese bei ihrem nächsten Einkauf ein. Als Supermarktleiter S davon erfährt, kündigt er E fristlos.

Diesen Fall lösen 84,9 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Kündigung bei Bagatelldiebstahl („Fall Emmely“)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es liegt hier ein Sachverhalt vor, der „an sich“ objektiv geeignet ist, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen (1. Stufe).

Ja, in der Tat!

Bei Straftaten liegt der wichtige Grund in der mit der Tat einhergehenden Störung des Arbeits- und Vertrauensverhältnisses, da der Arbeitnehmer in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt und das in ihn gesetzte Vertrauen missbraucht. Rechtswidrige und vorsätzliche Handlungen des Arbeitnehmers, die sich unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers richten, können auch dann einen wichtigen Grund darstellen, wenn die Pflichtverletzung Sachen von nur geringem Wert betrifft oder nur zu einem geringfügigen Schaden geführt hat. E hat sich durch Einlösen der Leergutbons gegenüber S einen Vermögensvorteil verschafft, der ihr nicht zustand. Dieser Sachverhalt ist generell geeignet, einen wichtigen Grund darzustellen.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Es liegt im konkreten Fall eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor (2. Stufe).

Nein!

Die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist muss unter umfassender Abwägung der Interessen im Einzelfall unzumutbar sein. Dabei ist zu beachten, dass die Kündigung (1) stets letztes Mittel (ultima ratio) und (2) eine angemessene Reaktion sein muss (Verhältnismäßigkeit). Regelmäßig ist eine Abmahnung vorrangig. Sie ist nur ausnahmsweise entbehrlich, wenn schwere Pflichtverletzungen vorliegen oder wenn sie von vornherein nicht geeignet ist, eine Verhaltensänderung zu erreichen. Aufgrund der langen beanstandungsfreien Tätigkeit hat E erhebliches Vertrauenskapital erworben, welches durch den Bagatelldiebstahl nicht aufgebraucht wurde. Auch ist keine so schwerwiegende Pflichtverletzung gegeben, die eine Abmahnung entbehrlich macht, insbesondere weil künftiges anderes Verhalten von E prognostiziert werden kann. S ist es daher durchaus zumutbar, zunächst eine Abmahnung auszusprechen.

3. Ist die fristlose Kündigung wirksam?

Nein, das ist nicht der Fall!

Damit die fristlose Kündigung wirksam ist, ist das Vorliegen eines wichtigen Grundes im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB erforderlich. Es liegt zwar ein Sachverhalt vor, der generell geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben (1. Stufe). Jedoch ergibt die umfassende Interessenabwägung (2. Stufe), bei der die Umstände des Einzelfalls, das Ultima-Ratio-Prinzip und das Prognose-Prinzip zu beachten sind, dass dem Arbeitgeber S zumutbar ist, zunächst eine Abmahnung auszusprechen, bevor er die Kündigung erklärt. Mithin ist kein wichtiger Grund (§ 626 Abs. 1 BGB) gegeben, sodass die fristlose Kündigung unwirksam ist.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KO

Konrad1522

30.7.2024, 16:27:28

Ist hier also auch eine ordentliche Kündigung oder nur die fristlose Kündigung unwirksam?

Maitre68

Maitre68

4.8.2024, 14:05:44

@[Konrad1522](153272) Hier wäre eine ordentliche Kündigung unwirksam, da der Arbeitgeber die AN zunächst abmahnen müsste. Erst bei einem weiteren Fehlverhalten würde die Kündigung durchgehen. LG Maitre

STE

StellaChiara

1.9.2024, 13:04:58

verstehe ich es richtig, dass auf der 1. Stufe abstrakt (Straftat) losgelöst von Details (0.30 euro Pfandbon) geprüft wird, ob ein wichtiger Grund vorliegt, und erst auf der 2. Stufe auf die genauen Details eingegangen wird?

Maitre68

Maitre68

1.9.2024, 15:05:23

@[StellaChiara](19

273

3) Es ist eher so, dass auf der ersten Stufe geprüft wird, ob die konkrete Verfehlung/Handlung an sich (abstrakt) geeignet ist, einen Grund für eine außerordentliche Kündigung darzustellen (samt der Details, also hier der Diebstahl eines Pfandbons mit geringem Wert). Im zweiten Schritt prüfst du dann, ob dies auch im konkreten Fall für eine außerordentliche Kündigung reicht. Dort findet die im Arbeitsrecht allseits bekannte Interessenabwägung und Verhältnismässigkeitsprüfung statt. Also 1. Schritt: Betrachtung der Handlung im luftleeren Raum 2. Schritt: Betrachtung der Begleitumstände (zB. frühere Verfehlungen des AN, Dauer der Betriebszugehörigkeit etc.) Hoffe das hilft. LG Maitre


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen