Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Angebot und Annahme

Totaldissens (Verkaufen/Kaufen) – Weinsteinsäurefall

Totaldissens (Verkaufen/Kaufen) – Weinsteinsäurefall

25. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Unternehmer A schickt Unternehmer B eine E-Mail mit dem Inhalt: „10 Maschinen Typ 08/15 pro Stück €1.000?“. B antwortet: „Okay!“. Später stellt sich heraus, dass jede Partei verkaufen wollte und den jeweils anderen als Käufer gesehen hat.

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Einordnung des Falls

Totaldissens (Verkaufen/Kaufen) – Weinsteinsäurefall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da die Parteien nicht erkannt haben, dass sie sich uneinig sind, liegt ein versteckter Dissens im Sinne des § 155 BGB vor.

Nein, das ist nicht der Fall!

Trotz des offenen Wortlautes erfasst § 155 BGB nur Einigungsmängel über Nebenpunkte des Vertrages. Weichen die Vorstellungen der Parteien dagegen in wesentlichen Punkten voneinander ab (essentialia negotii), dann liegt ein Totaldissens vor und es fehlt immer an einem wirksamen Vertragsschluss. Zu den essentialia negotii gehören die Parteien des Vertrages sowie die jeweiligen Hauptleistungspflichten. U und B hatten keine Einigung bezüglich der Hauptleistungspflichten erzielt. Damit liegt ein Totaldissens vor. Merke: Auf die §§ 154, 155 BGB greift man nur zurück, wenn ein Mindestkonsens vorliegt. Der Begriff Totaldissens ist insoweit irreführend: Die Dissensregeln sind gerade nicht anwendbar, da schon nach allgemeinen Regeln kein Vertrag vorliegt! §§ 154, 155 BGB hier zu zitieren wäre daher falsch. Dennoch hat sich für diese Konstellation der Begriff des Totaldissens durchgesetzt. Daher solltest du ihn in diesen Fällen auch als Stichwort in der Klausur verwenden – ohne dich von dem Begriff verwirren zu lassen.
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2. Zwischen A und B ist ein Kaufvertrag über 10 Maschinen Typ 08/15 zum Stückpreis von 1.000 € zustande gekommen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Ein Vertrag besteht aus zwei übereinstimmenden WE, namentlich Angebot und Annahme. Die Übereinstimmung der beiden WE wird Konsens genannt. Dafür müssen sich die Parteien über die essentialia negotii einigen. Hier waren sich jedoch beide Parteien über die Frage uneinig, wer Käufer und Verkäufer sein soll. Aus den kurzen Erklärungen ist dies ebenfalls nicht ersichtlich. Damit liegt keine Einigung über die essentialia negotii vor und auch kein wirksamer Vertragsschluss vor.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

LI

lillschi

7.1.2021, 15:20:43

Ist nicht bei Fehlen der essentialia negotii der Vertrag schon allein aufgrund dessen unwirksam? Bei den Einigungsmängeln nach §§ 154, 155 geht es doch NUR um Mängel hinsichtlich der essentialia negotii?

UNBE

UnbekannterNutzer

31.1.2021, 14:07:15

Sofern die essentialia negotii fehlen würden, hätten die Parteien keine WE abgegeben.

Jurianne

Jurianne

16.4.2021, 07:52:55

Ich meine auch dass 154,155 nur bei Mängel bei Nebenpunkten Anwendung findet und hier per se keine Einigung mangels Konsens vorliegen dürfte

Jura Craic

Jura Craic

12.12.2021, 20:40:14

Liebe Füchse, könntet Ihr das bitte klären? Ich meine auch das §§ 154, 155 nur auf Nebenabreden angewendet werden und nicht essentialia negotii. Sollte außerdem bei diesem Fall nicht mehr auf die Auslegung von WE eingegangen werden? Vielen Dank im voraus

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.12.2021, 11:45:43

Hallo zusammen, entschuldigt bitte die verzögerte Anwort und vielen Dank, dass ihr dran geblieben seid! Ihr habt absolut recht. Die Anwendbarkeit der §§ 154,

155 BGB

setzt einen "Mindestkonsens" zwischen den Parteien voraus, der zumindest die Parteien und die Haupt

leistungspflichten

umfassen muss. Fehlt es an diesem Konsens, dann liegt ein

Totaldissens

vor und die §§ 154,

155 BGB

finden keine Anwendung. Schon das Reichsgreicht hat entschieden, dass bei Abweichung in wesentlichen Punkten ein Vertrag nicht zustande kommt (vgl. RGZ 297, 299). Wir haben das entsprechend angepasst. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Ala

Ala

9.7.2024, 12:55:59

Hey, ich verstehe nicht, warum hier ein

Totaldissens

angenommen wird und bei den Aufgaben zu „Dissens 1“ mithilfe des obj.

Empfängerhorizont

s ein Vertragschluss angekommen wird. Wieso regelt man den vorliegenden Fall nicht so: B hat/durfte das Angebot so verstehen, dass A Maschinen kaufen möchte. Nach dem obj.

Empfängerhorizont

ist die Annahme von A so zu verstehen, wie B das Angebot verstehen durfte. Folglich ist ein Vertrag darüber zustande gelommen, dass A von B Maschinen kauft. Liegt der unterschied zu den fällen bei „dissens 1“ darin, dass man als objektiver Empfänger hier die erklärung des S sowohl als verkaufs-, als auch als kaufangebot verstehen kann/darf? danke schon mal im voraus 🤗🤗

DDoubleYou

DDoubleYou

18.7.2024, 16:45:16

Hey Ala, das liegt wahrscheinlich daran, dass A „nur“ Preis, Menge und Gegenstand genannt hat, allerdings nicht, ob er verkaufen oder kaufen möchte. Bei A und B handelt es sich um Unternehmer, bei denen davon ausgegangen werden kann, dass auch der Unternehmer B solche Maschinen verkaufen kann/möchte. Er ist – offensichtlich – davon ausgegangen, dass A einen Kaufantrag erklärt hat. Also konnte der Empfänger (B) auch unter Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte davon ausgehen, dass A kaufen möchte. Also ja: man kann den Vertrag in beide Richtungen auslegen. Insoweit ist es hier verwirrend, dass von

Totaldissens

gesprochen wird. Denn ein offener Dissens (§ 154 BGB) liegt nur bei Nebenabreden vor. Vorliegend wurden nicht einmal die essentialia negotii vereinbart (anscheinend auch nicht nach Auslegung des

objektiven Empfängerhorizont

s), sodass kein Vertrag zustande gekommen ist. Hier fehlen natürlich ein paar Angaben im Sachverhalt. Ich denke aber mal, dass dies so gemeint war. Ich hoffe, es stimmt und hilft weiter :)

Ala

Ala

18.7.2024, 19:16:30

Hey, danke für die Rückmeldung und vor allem für den Hinweis, dass die Annahme eines

Totaldissens

mangels Vereinbarung der essentialia negotii eigentlich falsch ist. Liebe Grüße :)

DDoubleYou

DDoubleYou

18.7.2024, 19:53:14

Nochmal zur Verdeutlichung: Von einem

Totaldissens

spricht man, wenn es schon an den essentialia negotii fehlt und dementsprechend kein Vertrag zustande gekommen ist. Daher vielleicht die Verwirrung. Ich würde den Begriff gar nicht benutzen. Ein offener Dissens (§ 154 BGB) liegt – im Zweifel – vor, wenn zwar grds. ein Vertrag zustanden gekommen ist (also die essentialia negotii gegeben sind), aber eine Partei ein Vertragsschluss wegen der bewusst offengelassenen Nebenabrede (deswegen auch „offener“ Dissens), nicht zumutbar erscheint. Ist der Umstand nur nebensächlich, kommt ein Vertrag zustande. Also

Totaldissens

≠ offener Dissens. Beim versteckten Dissens war den Parteien nicht bewusst, dass sie einen Punkt offengelassen haben. Dann kommt ein Vertrag zustande, wenn anzunehmen (hypothetischer Wille der Parteien) ist, dass die Parteien den Vertrag auch ohne die Nebenabrede geschlossen hätten. Beste Grüße :)

Tobias Krapp

Tobias Krapp

30.7.2024, 23:08:33

Hallo Ala, anschließend an die richtigen Ausführungen von DDoubleYou zur Auslegung der Willenserklärungen noch ergänzend zur Terminologie und Systematik: Ein sog.

Totaldissens

bezeichnet den seltenen Ausnahmefall, dass die Auslegung nach §§ 133, 157 BGB nicht zu einem Vertragsschluss führt, da die Parteien sich über die essentialia negotii nicht geeinigt haben. Ohne essentialia negotii kein Vertrag - also kommt in diesem Fall kein Vertrag zustande. Der Begriff

Totaldissens

ist insoweit irreführend: Die Dissensregeln sind gerade nicht anwendbar, da schon nach allgemeinen Regeln kein Vertrag vorliegt! §§ 154,

155 BGB

hier zu zitieren wäre daher falsch. Dennoch hat sich für diese Konstellation der Begriff des

Totaldissens

durchgesetzt. Daher solltest du ihn in diesen Fällen auch als Stichwort in der Klausur verwenden - ohne dich von dem Begriff verwirren zu lassen. Es geht hier schlicht um Auslegung. Bei der Auslegung musst du immer beachten, die Empfängerperspektive einzunehmen. Im Fall hier ergibt sich also: Die Erklärung des A muss aus konkret objektiver Sicht des B ausgelegt werden, die Erklärung des B aus konkret objektiver Sicht des A. Ohne nähere Umstände kann hier weder das kurze Angebot noch das kurze "Okay" so ausgelegt werden, dass Verkäufer und Käufer-Rolle objektiv feststehen. In einer Klausur wurde hier, wie DDoubleYou andeutet, wohl noch etwas mehr dazu stehen, etwa ob vorher Kontakte zwischen den Parteien waren, der eine Unternehmer typischerweise solche Maschinen kauft oder verkauft und der andere dies weiß, etc. All dies kann die Auslegung beeinflussen. Ohne solche Punkte ist eine Auslegung aber nicht möglich, womit keine Einigung über die essentialia negotii vorliegt, und damit kein Vertrag. Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias

Tobias Krapp

Tobias Krapp

30.7.2024, 23:11:10

@[Wendelin Neubert](409)

Mervan

Mervan

26.10.2024, 19:05:34

An der Aufgabe ändert es nichts, aber 1922 und E-Mails 😂

Sassun

Sassun

20.11.2024, 18:32:03

Damals wurde telegrafiert, der Wortlaut wurde des Falles wurde auch modernisiert. JF hat da keinen Fehler eingebaut, sondern wollte einfach etwas zeitgemäßer arbeiten :)


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