Trickdiebstahl & Computerbetrug

4. Juli 2025

25 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

A betritt einen Supermarkt mit Selbstbedienungskasse. Er nimmt ein „Playboy“-Magazin (€5) in die Hand und reißt aus der Tageszeitung „WAZ“ (€1,20) den Strichcode heraus. An der Kasse hält er den ausgerissenen Strichcode unter das Lesegerät und bezahlt €1,20. Als er mit dem „Playboy“ den Supermarkt verlassen will, hält ihn Ladendetektiv L auf.

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Einordnung des Falls

Trickdiebstahl & Computerbetrug

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat „neuen Gewahrsam begründet“.

Ja, in der Tat!

Gewahrsam ist die vom Herrschaftswillen getragene tatsächliche Sachherrschaft. Ob und wessen Gewahrsam besteht, ist nach den Umständen des Einzelfalles und den Anschauungen des Verkehrs oder des täglichen Lebens zu beurteilen. Eine tatsächliche Sachherrschaft liegt vor, solange der Berechtigte auf die Sache unter normalen Umständen einwirken kann und seiner Herrschaft keine Hindernisse entgegenstehen. OLG Hamm: Mit dem Passieren des Kassenbereichs habe T neuen, eigenen Gewahrsam an der Zeitschrift begründet.
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2. A hat „fremden Gewahrsam gebrochen“.

Ja!

OLG Hamm: Mit dem Aufstellen von Selbstbedienungskassen erkläre der Supermarktbetreiber durchaus ein generelles Einverständnis in einen Gewahrsamsübergang. Unter Berücksichtigung der Verkehrsanschauung und der berechtigten Geschäftsinteressen des Verkäufers sei indes zu unterstellen, dass dieser sein Einverständnis nur unter der Bedingung erteilt, dass die Selbstbedienungskasse äußerlich ordnungsgemäß bedient wird. Dazu gehöre das korrekte Einscannen und Bezahlen der tatsächlich zur Selbstbedienungskasse mitgebrachten Ware.Da T eine andere als die zuvor eingescannte und bezahlte Zeitschrift mitgenommen habe, seien die Bedingungen für ein Einverständnis in den Gewahrsamswechsel nicht gegeben.

3. Zudem hat sich A wegen eines Computerbetrugs strafbar gemacht.

Nein!

Die Vorinstanz hatte noch einen Computerbetrug bejaht. Das OLG Hamm sah allerdings keinen Datenverarbeitungsvorgang als gegeben an, da das Einscannen des Strichcodes allein zur Anzeige eines im Verhältnis zu den tatsächlich ausgewählten Zeitschriften geringeren Kaufpreises geführt habe. "Diese Anzeige bewirkt noch keinen verfügungsähnlichen Vorgang, der sich als unmittelbare Vermögensbeeinträchtigung darstellte. Die nachfolgende Mitnahme der Zeitschriften wird durch den Datenverarbeitungsvorgang als solchen weder ermöglicht noch erleichtert. Hierzu bedurfte es vielmehr einer selbstständigen, den Übergang der Sachherrschaft bewirkenden Handlung des Angekl." Diese Passage veranschaulicht das Exklusivitätsverhältnis, das auch zwischen Diebstahl und Computerbetrug besteht: Nicht nur Wegnahme und Vermögensverfügung (§ 263 StGB), sondern auch Wegnahme und die Beeinflussung eines Datenverarbeitungsvorgangs schließen sich gegenseitig aus. Überdies wäre § 263a StGB auch schon mangels Tathandlung nicht erfüllt. Das "sonstige unbefugte Einwirken" (Var. 4) muss betrugsspezifisch, also täuschungsäquivalent geprüft werden. Maßstab ist ein fiktiver Kassierer: Dieser würde lediglich prüfen, ob der Preis gezahlt wird, den die Kasse nach Einlesen des Strichcodes anzeigt. Da A vorliegend genau diesen Preis zahlt, wäre keine Täuschung gegeben.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Ciranje

Ciranje

28.11.2020, 18:03:08

Hier das Gleiche... Warum kein Bruch fremden Gewahrsams bei SB Tanken aber an der SB Kasse?

lucylawless

lucylawless

29.1.2021, 09:37:33

Weil es auf das Einverständnis für den Gewahrsamsübergang geht: Der Tankstellenbetreiber ist damit einverstanden, dass der "Kunde" erst Gewahrsam an dem Benzin erlangt und dann bezahlt. Der Supermarktinhaber hingegen ist nur bei ordnungsgemäßer Bedienung der Kasse mit dem Gewahrsamsübergang einverstanden.

TERE

Teresa

16.3.2021, 21:40:22

Das überzeugt mich ehrlich gesagt nicht, bei mir bleibt das selbe Unverständnis wie bei Ciranje, denn: Auch im Supermarkt wird in anderen Fällen zu Recht gesagt, dass schon durch das Ansichnehmen Gewahrsam begründet wird, lange bevor die Sache bezahlt wird. Ich erkenne keinen Unterschied im Interesse und im vmtl. Einverständnis des Tankstellenbetreibers und des Ladeninhabers. Darauf deutet auch die tatsächliche Praxis an SB-Tankstellen, an denen i.d.R. zuvor per Karte ein bestimmter Betrag freigeschaltet wird und man das Benzin nicht entnehmen kann, ohne die Bezahlung zuvor sicherzustellen.

lucylawless

lucylawless

17.3.2021, 07:23:08

Ja bei dieser Art von Tankstelle ist der Betreiber dann erst ab Aufladung des Betrages mit der Betankung einverstanden. Aber wenn eine solche Vorrichtung fehlt, schon vorher. Dass man durch das Einstecken von kleinen Gegenständen im Supermarkt an diesen Gewahrsam begründet, ist richtig, aber eben ohne Einverständnis des Supermarktinhabers. Oder verstehe ich die Frage irgendwie falsch?

SARA

sarakw

5.4.2021, 10:37:30

Vielleicht hilft euch dieser Erklärungsansatz weiter: Es ist zu beachten, dass man ein

tatbestandsausschließendes Einverständnis

nur an äußere

Tatsachen

, nicht aber an innere

Tatsachen

, wie etwa eine Zahlungsbereitschaft, knüpfen kann. Die ordnungsgemäße Bedienung einer Selbstbedienungskasse oder eines Warenautomaten ist eine solche äußere Tatsache. Wurde nicht ordnungsgemäß bedient, so ist sind die Voraussetzungen des tatbestandsausschließenden Einverständnisses nicht erfüllt. Daher liegt ein Bruch fremden Gewahrsams vor. Die Zahlungsbereitschaft beim Tanken ist allerdings eine innere Tatsache und der Verkehrsanschauung daher nicht zugänglich. Ein

tatbestandsausschließendes Einverständnis

mit der Zahlungsbereitschaft des Kunden zu bedingen, ist nicht zulässig. Daher kein

Gewahrsamsbruch

.

TeamRahad 🧞

TeamRahad 🧞

26.4.2021, 07:37:38

Danke, sarakw! Habe/hatte das gleiche Problem wie Ciranje und Teresa und finde deine Erklärung hilfreich 😊👍

BigLebowski

BigLebowski

19.5.2024, 22:05:54

So wirklich leuchtet es mir auch weiterhin nicht ein. Schließlich kann ich beim Tanken auch auf ein objektives Merkmal abstellen (Zahlen beim Mitarbeiter/am Schalter) und somit das Einverständnis objektiv bedingen. Genauso könnte ich im Selbstbedienungsladen auf eine mangelnde Zahlungsbereitschaft abstellen und damit auf ein subjektives Merkmal, das nicht das Einverständnis bedingen könnte. Es wäre mMn konsequenter, in beiden Fällen auf die objektive Sachlage - Kunde bedient Kasse nicht/zahlt nicht - abzustellen. Der Grund für eine Differenzierung, einmal aufs Subjektive, einmal aufs Objektive abzustellen, erschließt sich mir nicht.

Dogu

Dogu

22.7.2024, 08:42:26

@[BigLebowski](212337) Aber wie soll man denn das Tanken objektiv im Zeitpunkt des Gewahrsamswechsels von einem nachfolgenden Ereignis abhängig machen? Das geht nur für vorherige Ereignisse. Ich muss ja im Zeitpunkt des Gewahrsamswechsels feststellen, ob der Inhaber einverstanden ist oder nicht. Ansonsten würde Diebstahl ja zu einem Vermögensdelikt.

Simon

Simon

28.2.2025, 19:22:36

Ich finde die Differenzierung des OLG Hamm hier wahrlich nicht überzeugend. Wie schon treffend angemerkt wurde, kann das tatbestandsausschließende Einverständnis nur von objektiven Bedingungen abhängig gemacht werden, um die Grenzen zum Betrug nicht zu verwischen. D.h. es kommt auf die äußerlich korrekte Bedienung der SB-Kasse an. Diese lag hier aber gerade vor, denn das Austauschen der Barcode-Aufkleber erfolgte weit im Vorfeld der Bedienung der Kasse, die an sich äußerlich ordnungsgemäß erfolgte. Zudem könnte man hier den Vergleich mit einem hypothetischen Kassierer anstellen: Auch dieser wäre mit der Übergabe der Ware nach Scannen des Barcodes einverstanden, sodass gerade kein

Gewahrsamsbruch

vorläge, sondern ein Betrug nach § 263 I StGB zu prüfen wäre. Er unterlag lediglich einem Irrtum hinsichtlich des Umstandes, welcher Barcode der "richtige" ist. Was für das Verhältnis von § 242 zu § 263 gilt, muss auch für das Verhältnis von § 242 zu § 263a gelten, der lediglich die Lücken schließen soll, die § 263 lässt.

MAR

Martymcfly

8.4.2021, 14:40:42

Müsste man hier vorher noch den § 263a I Nr. 3 prüfen?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.4.2021, 17:31:28

Hallo Martymcfly, dies dürfte gerade im ersten Examen auf jeden Fall erwartet werden. Dabei kann man auch kurz die übrigen Varianten des § 263a I ansprechen, wobei der Schwerpunkt natürlich auf den verschiedenen Auffassungen bzgl. der

unbefugt

en

Verwendung

von Daten liegt. Die Auseinandersetzung ist auch deshalb für Prüfer spannend, weil noch die Vorinstanz des OLG Hamm in dem zugrunde liegenden Fall einen

Computerbetrug

angenommen hatte. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MIA

miamiu

27.3.2024, 19:08:32

Würde sich der Täter nur nach der Urkundenfälschung hier strafbar machen?

LELEE

Leo Lee

29.3.2024, 06:10:13

Hallo miamiu, vielen Dank für die sehr gute Frage! Wenn jemand die Barcodes autauscht und damit die Ware „erhält“ und mit nach Hause nimmt (bzw. nach dem Scannen etc. aufgehalten wird), kommen neben 267 noch zahlreiche Delikte in Betracht (das Thema ist seit ein paar Jahren beliebtes Thema auch in Repetitorien!). Es kommen z.B. auch §§ 242, 263, 263a und 246 in Betracht. Hierzu gibt es bei iurastudent einen sehr guten aufbereiteten Fall vom OLG Hamm aus dem Jahre 2013, den du hier findest: https://www.iurastudent.de/leadingcase/der-playboyheft-fall-olg-hamm-5-rvs-5613 :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AN

annsophie.mzkw

15.4.2025, 11:07:57

Welche Variante des § 267 I StGB soll hier einschlägig sein? Der Barcode alleine stellt ja keine Urkunde dar.

Charles "Chuck" McGill

Charles "Chuck" McGill

20.5.2025, 18:40:47

@[annsophie.mzkw](244917) Barcode und Heft stellen eine

zusammengesetzte Urkunde

da, wenn die Barcodes regulär auf die Hefte aufgeklebt sind. Dann wäre, wie so oft, sowohl das verfälschen einer echten wie auch das Herstellen einer unechten Urkunde gegeben.

B🐝

Bienenschwarmvereinigung 🐝🐝🐝

18.7.2024, 12:14:40

Wieso wird hier jetzt nichts bezüglich des Ladendetektivs und einem möglichen Einverständnis in den Gewahrsamswechsel gesagt`?

AG

agi

10.10.2024, 17:09:48

Ich glaube dafür gibt der konkrete Sachverhalt einfach zu wenig her . Grds. kommt es darauf an, ob der Ladendetektiv dem vermeintlichen Täter eine „

Diebesfalle

“ stellt, oder nicht. Wird eine „Falle“ gestellt und hofft der Ladendetektiv, dass jemand dies ausnutzt und den Gegenstand einsteckt, liegt ein

tatbestandsausschließendes Einverständnis

vor. Es fehlt mithin am Bruch fremden Gewahrsams, iRd Definition der ,,Wegnahme“. Dem Wortlaut nach, ist der Diebstahl, jedoch kein heimliches Delikt, weswegen grds. der beobachtete Diebstahl strafbar sein kann, sofern dieser nicht auf einer „

Diebesfalle

“ beruht. Eine mM jedoch verneint den

Gewahrsamsbruch

sobald ein Hindernis in Form des Beobachtens vorliegt.

Rechtsanwalt B. Trüger

Rechtsanwalt B. Trüger

3.2.2025, 13:56:20

Für mich geht aus dem Sachverhalt nicht hervor, dass A den Kassenbereich passiert hat. Es steht lediglich, dass er den Laden verlassen will, was ja subjektiv ist. Vielleicht sollte man hier ergänzen, dass A gerade dabei ist den Laden zu verlassen (objektiv/tatsächlich) bzw. den Kassenbereich passiert hat.

OKA

okalinkk

10.5.2025, 18:39:44

Diebstahl und Betrug schliessen sich aus. Wie kann hier dann noch ein

Computerbetrug

geprueft werden, wenn der Diebstahl bejaht wurde?

Major Tom(as)

Major Tom(as)

12.5.2025, 17:46:29

Echt eigenartig - insb. ist sogar die Überschrift des verlinkten Urteils "Zur Abgrenzung von Diebstahl und

Computerbetrug

"... Im Originalfall wurden drei Magazine an zwei verschiedenen Tagen geklaut und die Vorinstanz bejahte sowohl § 242 als auch für einen anderen Fall § 263a. Daraus könnte sich hier vllt das Missverständnis bei der Aufgabenerstellung ergeben, bzgl. jeder Einzeltat gilt aber (natürlich) nur eine der beiden Normen. Natürlich wird hier in der Lösung die Anwendbarkeit des § 263a verneint - aber ja nur wegen der

Täuschung

srelevanz der Tatsache, ich hielte es für sinnvoll, hier auch auf das Exklusivitätsverhältnis einzugehen, um Missverständnissen vorzubeugen.

Nadim Sarfraz

Nadim Sarfraz

4.6.2025, 10:03:05

Lieber @[okalinkk](253888), lieber @[Major Tom(as)](258980), danke für Eure Nachfrage - ich stimme Euch vollkommen zu. Wir haben den Fall entsprechend angepasst. Liebe Grüße Nadim für das Jurafuchs-Team


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