Kein Unfall - Belangloser Personenschaden

16. April 2025

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Als T mit seinem Toyota ausparken will, streift er die O. Diese spürt bloß einen leichten Schmerz, der sofort wieder vergeht. Sodann fährt T davon.

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Einordnung des Falls

Kein Unfall - Belangloser Personenschaden

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T könnte sich nach § 142 StGB strafbar gemacht haben. Schützt § 142 StGB die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs?

Nein, das trifft nicht zu!

Obgleich das unerlaubte Entfernen vom Unfallort im Abschnitt der Straftaten gegen die öffentliche Ordnung zu finden ist, ist das geschützte Rechtsgut ausschließlich das zivilrechtliche Interesse des Geschädigten an der Geltendmachung seiner aus der Unfallverursachung des Täters resultierenden Schadensersatzansprüche. Hintergrund ist, dass es bei Schadensfällen im Straßenverkehr für den Täter regelmäßig leicht ist, anonym zu bleiben, was zu einem stärkeren Fluchtanreiz führen kann. § 142 StGB soll dem entgegenwirken. Es handelt es sich bei § 142 StGB um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt. Das Prüfungsschema zu § 142 Abs. 1 StGB findest Du hier.
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2. Der objektive Tatbestand von § 142 Abs. 1 StGB setzt zunächst einen Unfall jeglicher Art voraus.

Nein!

Es muss ein Unfall im Straßenverkehr vorliegen. Dies ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, das zu einem nicht völlig unerheblichen und beweissicherungsbedürftigen Personen- oder Sachschaden geführt hat und auf typischen Gefahren des Straßenverkehrs beruht. Völlig unerheblich ist ein Personenschaden, wenn bloß eine ganz geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Integrität vorliegt (z.B. geringfügige Hautabschürfungen).

3. T hat sich aber wegen versuchten unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht (§§ 142 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Da § 142 StGB im Mindestmaß mit einer Geldstrafe bedroht ist, handelt es sich um ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB). Der Versuch eines Vergehens ist nur strafbar, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Für § 142 StGB findet sich indes keine entsprechende gesetzliche Bestimmung, sodass § 142 StGB nicht in strafbarer Weise versucht werden kann. Eine Versuchsstrafbarkeit des T scheidet daher aus.

4. Ist das Streifen der O ein „Unfall im Straßenverkehr“ im Sinne von § 142 Abs. 1 StGB?

Nein!

Ein Unfall im Straßenverkehr liegt nicht vor, wenn das Ereignis lediglich zu einem völlig unerheblichen Personen- oder Sachschaden geführt hat. Völlig unerheblich ist ein Personenschaden, wenn bloß eine ganz geringfügige Beeinträchtigung der körperlichen Integrität vorliegt (z.B. geringfügige Hautabschürfungen). O spürte sogar nur einen rasch vergehenden leichten Schmerz, weshalb die Bagatellgrenze vorliegend nicht überschritten und damit bereits kein Unfall im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB gegeben ist. Die Bagatellgrenze erklärt sich aus dem Sinn von § 142 StGB: Zwar soll es dem Opfer grundsätzlich möglich sein, zivilrechtliche Schadensersatzansprüche gegen den Täter durchzusetzen. Wenn die Schäden aber verschwindend gering sind, muss dieses Interesse nicht durch das „schwere Schwert“ des Strafrechts geschützt werden.
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