Kein Unfall – Kein fremdes Feststellungsinteresse

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Als T mit seinem Pkw ausparken will, fährt er gegen einen Baum. Während der Baum unbeschädigt bleibt, entsteht am Pkw des T ein Blechschaden. Sodann fährt T davon.

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Einordnung des Falls

Kein Unfall – Kein fremdes Feststellungsinteresse

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das unerlaubte Entfernen vom Unfallort (§ 142 StGB) dient der Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs.

Nein, das trifft nicht zu!

Obgleich das unerlaubte Entfernen vom Unfallort im Abschnitt der Straftaten gegen die öffentliche Ordnung zu finden ist, ist das geschützte Rechtsgut ausschließlich das zivilrechtliche Interesse des Geschädigten an der Geltendmachung seiner aus der Unfallverursachung des Täters resultierenden Schadensersatzansprüche. Die strafrechtliche Sicherung der zivilrechtlichen Beweisinteressen bei Schadensfällen im Straßenverkehr erklärt sich aus der Anonymität der Tatsituation und dem daher häufig starken Fluchtanreiz. Insofern handelt es sich bei § 142 StGB um ein abstraktes Vermögensgefährdungsdelikt.
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2. Vorliegend ist ein "Unfall im Straßenverkehr" gegeben (§ 142 Abs. 1 StGB).

Nein!

Ein Unfall im Straßenverkehr ist ein plötzliches Ereignis im öffentlichen Straßenverkehr, das zu einem nicht völlig unerheblichen und beweissicherungsbedürftigen Personen- oder Sachschaden geführt hat und auf typischen Gefahren des Straßenverkehrs beruht. Nach dem Schutzzweck des § 142 StGB ist erforderlich, dass ein Schaden vorliegt, an deren Feststellung ein anderer überhaupt Interesse haben kann. Hieran fehlt es, wenn nur ein Eigenschaden gegeben ist. Es ist nur ein Blechschaden am Pkw des T eingetreten. Mangels fremden Feststellungsinteresses ist somit bereits kein Unfall im Sinne des § 142 Abs. 1 StGB gegeben.

3. T hat sich wegen versuchten unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht (§§ 142 Abs. 1, 22, 23 Abs. 1 StGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Da § 142 StGB im Mindestmaß mit einer Geldstrafe bedroht ist, handelt es sich um ein Vergehen (§ 12 Abs. 2 StGB). Der Versuch eines Vergehens ist nur strafbar, wenn das Gesetz es ausdrücklich bestimmt (§ 23 Abs. 1 StGB). Für § 142 StGB findet sich indes keine entsprechende gesetzliche Bestimmung, sodass § 142 StGB schon nicht in strafbarer Weise versucht werden kann. Daher scheidet auch eine Versuchsstrafbarkeit des T aus.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

YAN

yangbo

12.4.2023, 21:12:40

Wäre der Fall auch so zu beurteilen, wenn T mit einem fremden Wagen fährt (Dienstwagen, aber auch Miet- oder Leasing-Auto)? Es könnte dem Eigentümer ja schon daran gelegen sein, den Tathergang auch hinsichtlich eventueller Regressansprüche gegen T in irgendeiner Form zu dokumentieren?

SE.

se.si.sc

13.4.2023, 11:19:27

Steht das Fahrzeug nicht im Alleineigentum des Fahrers, bejaht die hM grds einen Fremdschaden und bejaht dementsprechend grds (!) Beweissicherungsinteresse des "Hintermanns". Die Einzelheiten sind umstritten (bei Interesse zB MüKo-StGB, § 142 Rn 29 f) und insbesondere in den von dir genannten Fällen hängt einiges von der zivilrechtlichen vertraglichen Grundlage ab. Diskussionswürdig sind darüber hinaus auch Fälle von Sicherungs

übereignung

und Eigentumsvorbehalt, in denen typischerweise der Täter als (wirtschaftlich!) Alleingeschädigter gesehen wird. Gerade beim Leasing und der gewerblichen Vermietung wird es jedoch in aller Regel ein detailliertes Übergabeprotokoll geben und dem Leasingnehmer/Mieter wird ohnehin jegliches Beschädigungsrisiko aufgebürdet - was dann wiederum das Beweissicherungsinteresse des Leasinggebers/Vermieters uU gar nicht entstehen lässt (s MüKo-StGB, § 142 Rn 30).

CR7

CR7

13.8.2024, 11:54:41

Ich hatte mal im Praktikum einen Fall, bei dem die Mandantin von einer bekannten Autovermietung auf 13.000 EUR SE verklagt wurde. Vorwurf konkret war, dass sie eine Beule am Auto verursacht haben soll. Diese war vorher nicht im Übergabeprotokoll aufgeführt. Jedoch war die Beule an sich nicht der Hauptpunkt; Vorwurf war eine vertragliche Pflichtverletzung, weil sie laut den Mietbedingungen beim "Unfall im Straßenverkehr" stets die Polizei hinzuziehen hat. Wie dann später ermittelt werden konnte, hat die Mandantin sogar die Polizei gerufen, die Polizei meinte zu ihr am Telefon, dass sie nicht wegen einer Beule kämen, bloß um diese zu protokollieren; sie solle doch selbst ein Foto machen. Das hat die Autovermietung aber anders gesehen und meinte, das Auto sei wegen der Beule erheblich weniger wert und die Pflichtverletzung (Nichthinzuziehen der Polizei) ihr vorwerfbar (Anmerkung: Es war eine S-Klasse mit Verkehrswert von 120.000 EUR). Das Gericht hielt die Mietbedingung für unwirksam, weil nicht differenziert wurde zwischen Fremd- und Eigenschaden. Im Ergebnis haben sich die Parteien dann geeinigt, denn die Miete umfasste auch eine entsprechende Versicherung.

FI

finnjh

26.8.2024, 17:17:09

Liebes Jurafuchs-Team, wie immer zuerst ein großes Lob: Die ganzen Straßenverkehrsdelikte sind toll aufgearbeitet und an vielen Stellen sehr umfangreich mit allen klassischen Problemkonstellationen dargestellt. Die Lektion zu § 142 StGB finde ich dagegen leider etwas dünn und würde mir noch ein paar mehr Fälle / Aufgaben wünschen. Ausgangspunkt könnte die Unterscheidung zwischen Abs. 1 und Abs. 2 sein (Unfallbeteiligter vor Ort / nicht vor Ort). Zudem gibt es zahlreiche Problemkreise um Verzicht und Verdunkelungsmaßnahmen etc. § 142 StGB wird im 2. StEx gar nicht mal so selten abgefragt und muss daher geübt werden... Liebe Grüße :)

Foxxy

Foxxy

26.8.2024, 17:46:20

Hallo finnjh, vielen Dank für Deinen Vorschlag! Wir haben ihn notiert und werden in einer der nächsten Redaktionssitzungen prüfen, inwiefern wir hierzu noch weitere Aufgaben mit aufnehmen können. Beste Grüße, Foxxy, für das Jurafuchs-Team


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