Grundlagengeschäft

12. Februar 2025

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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inkl. MoPeG

Die Studentinnen S1 und S2 haben schon vor längerer Zeit die Jura-Nachhilfe-GbR gegründet. Im Gesellschaftsvertrag sind Einzelgeschäftsführungs- und -vertretungsbefugnis vereinbart. Eines Tages meint S1, Nachhilfeunterricht habe keine Zukunft, Sport hingegen schon. Daher will sie das bisherige Büro zu einem Fitnessraum umfunktionieren und Geräte anschaffen.

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Einordnung des Falls

Grundlagengeschäft

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Vereinbarung einer Einzelgeschäftsführungsbefugnis ist möglich.

Ja, in der Tat!

Grundsätzlich steht die Führung der Geschäfte der Gesellschaft den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu; für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich (§ 715 Abs. 1, 3 BGB, Gesamtgeschäftsführung). Von der dispositiven Regel des § 715 Abs. 1, 3 BGB kann jedoch gesellschaftsvertraglich abgewichen werden. Die Einzelgeschäftsführungsbefugnis kann wie auch die Einzelvertretung gesellschaftsvertraglich vereinbart werden (vgl. 715 Abs. 4, 720 Abs. 1 Hs. 2 BGB). MoPeG-Änderung (1.1.2024): § 715 Abs. 1, 3 BGB entspricht § 709 Abs. 1 BGB a.F.
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2. Auch Grundlagengeschäfte sind Geschäftsführungsmaßnahmen.

Nein!

Unter die Geschäftsführung im Innenverhältnis fällt jede auf die Verfolgung des Gesellschaftszwecks gerichtete Tätigkeit der Gesellschafter mit Ausnahme von Grundlagengeschäften. Geschäftsführungshandlungen können sowohl rechtsgeschäftliche (Kauf eines Gegenstandes für die Gesellschaft) als auch rein tatsächliche Tätigkeiten sein (Buchführung). Grundlagengeschäfte sind keine Geschäftsführungsmaßnahmen.

3. Die Umfunktionierung der GbR von einer Nachhilfeschule zu einem Fitnessstudio ist ein Grundlagengeschäft.

Genau, so ist das!

Zur Geschäftsführung gehören nicht Grundlagengeschäfte. Dies sind solche Geschäfte, die auf eine Änderung des Gesellschaftsvertrags hinauslaufen, weil sie die Grundlagen der Gesellschaft oder die Beziehungen der Gesellschafter zueinander betreffen. Ob Änderungen in der bisherigen Nutzung des Gesellschaftsvermögens (Büro) noch unter die Geschäftsführung fallen oder eine Änderung des Gesellschaftsvertrags erforderlich machen, hängt davon ab, welcher Gesellschaftszweck im Vertrag festgelegt ist. S1 und S2 haben sich zusammengeschlossen, um Nachhilfe zu geben. Eine Aufgabe des Nachhilfebetriebs und die Eröffnung eines Fitnessstudios würde den vertraglich festgelegten Gesellschaftszweck verändern und bedürfte deshalb einer Änderung des Gesellschaftsvertrags. Es ist keine Geschäftsführungsmaßnahme.

4. S1 kann den Gesellschaftszweck alleine ändern, weil sie einzelgeschäftsführungsbefugt ist.

Nein, das trifft nicht zu!

Bei Einzelgeschäftsführungsbefugnis ist keine Zustimmung der Mitgesellschafter erforderlich, vielmehr haben diese stattdessen ein Widerspruchsrecht (§ 715 Abs. 4 BGB). Grundlagengeschäfte sind jedoch keine Geschäftsführungsmaßnahmen, sondern bedürfen einer Änderung des Gesellschaftsvertrags. Eine solche Vertragsänderung setzt grundsätzlich die Zustimmung aller Vertragsparteien voraus. Weil eine Zustimmung der S2 zur Vertragsänderung erforderlich ist, kann S1 den Gesellschaftszweck nicht alleine ändern.MoPeG-Änderung (1.1.2024): § 715 Abs. 4 BGB entspricht § 711 BGB a.F.

5. S1 könnte bei dem Kauf von Fitnessgeräten die GbR im Außenverhältnis wirksam vertreten.

Ja!

Für die Vertretung der GbR gelten die allgemeinen Grundsätze der §§ 164 ff. BGB. Danach setzt eine Verpflichtung der GbR voraus, dass der handelnde Gesellschafter im Namen der GbR und im Rahmen seiner Vertretungsmacht handelt (§ 164 Abs. 1, 2 BGB). § 720 Abs. 1 BGB sieht als Grundsatz vor, dass die Gesellschafter nur gemeinsam befugt sind, die Gesellschaft zu vertreten. Abweichende Regelungen können aber im Gesellschaftsvertrag getroffen werden. Der Umfang der Vertretungsmacht bestimmt sich nach § 720 Abs. 3 S. 1 BGB.S1 ist aufgrund der Regelung im Gesellschaftsvertrag einzelvertretungsbefugt. Der Kauf von Fitnessgeräten ist kein Grundlagengeschäft, sondern ein Geschäft der Gesellschaft, § 720 Abs. 3 S. 1 BGB. Unerheblich ist auch, dass das Geschäft außerhalb des Gesellschaftszwecks lag. § 720 Abs. 3 S. 1 BGB umfasst zum Zweck der Rechtssicherheit und des Verkehrsschutzes alle Geschäfte, bei denen Vertretung überhaupt möglich ist, mithin gerichtliche und außergerichtliche, gewöhnliche und außergewöhnliche, innerhalb und außerhalb des Gesellschaftszwecks liegende Geschäfte. Auch eine Beschränkung des Umfangs ist Dritten gegenüber unwirksam, § 720 Abs. 3 S. 2 BGB. Innen- und Außenverhältnis sind daher streng getrennt zu betrachten. S1 macht sich damit wegen Überschreitung des Gesellschaftszwecks im Innenverhältnis schadensersatzpflichtig, im Außenverhältnis kann sie die GbR aber wirksam vertreten. Grenzen der Vertretungsmacht können sich aber nach den allgemeinen Maßstäben des Missbrauchs der Vertretungsmacht bei Kollusion und Evidenz ergeben. Mehr dazu im BGB-AT Kurs hier.

6. Für Grundlagengeschäfte besteht aber dennoch Vertretungsmacht der Gesellschafter.

Nein, das trifft nicht zu!

Der Umfang der Vertretungsmacht bestimmt sich nach § 720 Abs. 3 S. 1 BGB und erfasst „alle Geschäfte der Gesellschaft“. Die Vertretung der GbR setzt damit eine in ihren Grundlagen verfasste Gesellschaft als Vertretene voraus. Werden diese Grundlagen geändert, so betrifft das entsprechende Geschäft den Bestand der Gesellschaft bzw. die einzelnen Gesellschafter in ihrer persönlichen Mitgliedsstellung. Daher sind Grundlagengeschäfte keine Geschäfte der Gesellschaft i.S.d. § 720 Abs. 3 S. 1 BGB. Somit besteht hierfür keine Vertretungsmacht der Gesellschafter.

7. Bei dem Kauf von Fitnessgeräten durch S1 handelt es sich um ein Grundlagengeschäft.

Nein!

Grundlagengeschäfte sind solche Geschäfte, die auf eine Änderung des Gesellschaftsvertrags hinauslaufen, weil sie die Grundlagen der Gesellschaft oder die Beziehungen der Gesellschafter zueinander betreffen. Zwar bedarf die Festlegung eines neuen Gesellschaftszwecks einer Änderung des Gesellschaftsvertrags und ist damit ein Grundlagengeschäft. Der Kauf von Fitnessgeräten durch S1 führt jedoch nicht zur Festlegung eines neuen Gesellschaftszwecks, sondern überschreitet lediglich den bestehenden Zweck. Die Beziehungen der Gesellschafter zueinander werden durch den Kaufvertrag nicht beeinflusst. Damit liegt kein Grundlagengeschäft vor. Wenn aufgrund der Bedeutung bzw. des Umfang des Geschäfts nur mittelbar bzw. faktisch die Grundlagen der Gesellschaft berührt werden (etwa durch Verpachtung des Unternehmens im Ganzen oder Beteiligung an anderen Unternehmen), kann die Abgrenzung von „Grundlagengeschäften“ zu übrigen Geschäften im Einzelfall Schwierigkeiten bereiten. Argumentiere in der Klausur im Zweifelsfall mit dem Normzweck des § 720 Abs. 3 BGB: Der Rechtsverkehr soll nicht mit den Unsicherheiten über den Umfang der Vertretungsmacht belastet werden (Rechtssicherheit und Verkehrsschutz), zugleich soll die Handlungsfähigkeit der Gesellschaft gesichert werden. Das spricht für eine restriktive Annahme von „Grundlagengeschäften“. Sonst bestünde in einer Vielzahl von Fällen keine Vertretungsmacht.
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