§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB: Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff ("Pervertierung") – Rechtfertigung durch Notwehr
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
T entwendet Os Tasche. O verfolgt den Dieb mit ihrem Pkw und fährt ihm auf dem Bürgersteig absichtlich in die Waden, woraufhin T verletzt zu Boden geht. Sodann nimmt O die Tasche wieder an sich.
Einordnung des Falls
§ 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB: Ähnlicher, ebenso gefährlicher Eingriff ("Pervertierung") – Rechtfertigung durch Notwehr
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Indem O den T gezielt anfuhr, hat sie einen unter § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB fallenden "Außeneingriff" vorgenommen.
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Nein, das ist nicht der Fall!
2. Indem O den T gezielt anfuhr, hat sie einen unter § 315b Abs. 1 Nr. 3 StGB fallenden "verkehrsfeindlichen Inneneingriff" vorgenommen.
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Ja, in der Tat!
3. O hat "die Sicherheit des Straßenverkehrs beeinträchtigt" und es bestand eine "konkrete Gefahr für Leib oder Leben" des T (§ 315b Abs. 1 StGB).
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Ja!
4. Der Schutzzweckzusammenhang ist gewahrt.
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Genau, so ist das!
5. O handelte in der Absicht, einen Unglücksfall herbeizuführen (§ 315b Abs. 3 i.V.m. § 315 Abs. 3 Nr. 1a StGB).
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Ja, in der Tat!
6. Eine Rechtfertigung der O wegen Notwehr (§ 32 StGB) scheidet aus, weil § 315b StGB ein "Allgemeinrechtsgut" schützt.
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Nein!
Fundstellen
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Tigerwitsch
21.3.2021, 00:00:32
Verstehe ich das richtig: T ist vorliegend gerechtfertigt? 😮 Es liegt mE doch nicht einmal mehr eine Notwehrhandlung vor, da der Angriff (Diebstahl) schon beendet und nicht mehr gegenwärtig ist. T wird ja wahrscheinlich in ihrem Auto bestohlen, sondern muss zunächst in das Auto steigen, um die Verfolgung aufzunehmen...Insofern liegt mE eine Zäsur vor.

Lukas_Mengestu
25.3.2021, 09:57:02
Hallo Tigerwitsch, in der Tat ist das OLG hier zu dem Schluss gekommen, dass die Handlung der O gerechtfertigt ist. Denn die Voraussetzungen der Notwehr lagen hier durchaus vor. Anders als zB bei den Körperverletzungsdelikten fällt beim Diebstahl der Zeitpunkt der Vollendung (=Verwirklichung des Tatbestandes) und der Beendigung (=Sicherung des Gewahrsams an den entwendeten Gegenständen) auseinander. Nach der Rechtsprechung liegt damit nach der Vollendung, aber vor der Beendigung, noch ein gegenwärtiger Angriff vor, weswegen eine Notwehr ggü. dem flüchtenden Dieb immer noch möglich ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Sambadi
17.4.2022, 23:20:48
Ich wunder mich, dass der BGH einmal sagt dass § 315 b StGB die Allgemeinheit schütze und ein „Gefährderter“ daher nicht in die Rechtsgutverletzung seines Individuell-RG: Leib und Leben einwilligen kann. Dann aber ist eine Notwehr möglich, weil 315 b StGB auch Individualschützend sein. Scheint mir ja ein wenig widersprüchlich zu sein...

Lukas_Mengestu
20.4.2022, 18:06:52
Hallo Sambadi, das ist in der Tat nicht ganz widerspruchsfrei. Es handelt sich hierbei letztlich schlicht um eine von der Rechtsprechung entwickelte Ausnahme zugunsten des Täters, die aber in der Literatur nicht ganz unumstritten ist (vgl. BGH NJW 2013, 2133 mwN). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team