Ex-ante-Triage-Fall: examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs Illustration zum Ex-ante-Triage-Fall:
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Es werden zwei Patienten P und T ins Krankenhaus eingeliefert, die an Covid-19 erkrankt sind. Es gibt nur noch einen Beatmungsplatz. Patientin P hat die schlimmeren Symptome. Arzt A weist dieser den Beatmungsplatz zu. Patient T verstirbt.

Einordnung des Falls

Die Corona-Krise hat die Diskussion um den unterlassungsspezifischen Rechtfertigungsgrund der rechtfertigenden Pflichtenkollision neu belebt. Im Kern ging es dabei um sogenannte Triage-Situationen, bei denen Ärzte angesichts nicht ausreichender lebensrettender Ressourcen eine Auswahl unter den behandlungsbedürftigen Patienten treffen müssen. Der vorliegende Fall behandelt dabei zunächst den Fall, dass bereits von Anfang an klar ist, dass die Zahl der eingelieferten Notfallpatienten, die Behandlungskapazitäten übersteigen (ex-ante-Triage) und wie es strafrechtlich zu bewerten ist, wenn die Ärzte in diesem Fall nur einen Teil der Patienten behandeln.

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Liegt die Fallkonstellation der Ex-ante-Triage vor?

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Ja!

Als Ex-ante-Triage wird die Situation bezeichnet, in der mehr Patienten eintreffen als Behandlungskapazität besteht und daher auszuwählen ist, wer behandelt wird.

2. Trifft Arzt A grundsätzlich die Pflicht, beide Patienten zu behandeln?

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Genau, so ist das!

Angehörige von Heilberufen trifft in ihrem Verantwortungsbereich als Garanten eine Pflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB, nach der sie rechtlich dafür einzustehen haben, dass Schäden an Leib und Leben der sie aufsuchenden Verletzten und Kranken abgewendet werden müssen, soweit eine Therapie nicht aussichtslos ist und die Behandlung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Nehmen Ärzte in einer solchen Situation eine medizinisch indizierte Behandlung nicht vor, können sie sich gegebenenfalls wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts durch (unechtes) Unterlassen strafbar machen.Hier käme also eine Strafbarkeit des A gemäß §§ 212, 13 Abs. 1 StGB in Betracht.

3. Hat sich A tatsächlich nach §§ 212, 13 Abs. 1 StGB strafbar gemacht?

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Nein, das trifft nicht zu!

Es kann nicht zu einer Strafbarkeit wegen eines Tötungsdeliktes durch Unterlassen kommen, wenn die Zahl der zu Behandelnden die verfügbaren Mittel überschreitet, so dass zwar vielleicht alle Patienten alternativ Chancen auf eine erfolgreiche Behandlung haben, dies aber nicht gleichzeitig geschehen kann. Eine solche Konstellation mehrerer gleichwertiger Handlungspflichten zur Rettung von Leben führt vielmehr zu der gewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsfigur der rechtfertigenden Pflichtenkollision. Nicht rechtswidrig handelt, wer nur so viele Patienten rettet wie nach Ressourcenlage möglich.Arzt A handelte mithin gerechtfertigt.

4. Ist das Motiv des A, den schlimmer erkrankten Patienten zu behandeln, ethisch vertretbar?

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Ja!

Nach wie vor kontrovers diskutiert, sind die Motive, aufgrund derer aus zwei Patienten der zu behandelnde ausgewählt werden soll. Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin hat Leitlinien mit ethischen Kriterien zur Priorisierung erarbeitet die bei der Ex-ante-Triage im Wesentlichen auf die klinischen Erfolgsaussichten einer Behandlung abstellen: Behandelt wird, wer mit höherer Wahrscheinlichkeit überlebt („save the most“). Umstritten sind dabei Kriterien wie das Alter der Patienten. Ausgeschlossen ist eine Differenzierung aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder Religion. Unstreitig aber dürfen Patienten nach Dringlichkeit sortiert werden. Das heißt, es darf und soll zuerst der Patient behandelt werden, der die Behandlung dringender braucht.

Prüfungsschema

Wie kannst Du die Prüfung eines vollendeten vorsätzlichen unechten Unterlassungsdelikts aufbauen (§ 13 StGB)?

  1. Tatbestandsmäßigkeit
    1. Objektiver Tatbestand
      1. Vorliegen der objektiven Tatbestandsmerkmale eines Erfolgsdelikts
      2. Unterlassung einer geeigneten und erforderlichen Verhinderungshandlung
      3. physisch-reale Handlungsmöglichkeit
      4. (hypothetische) Kausalität
      5. objektive Zurechnung
      6. Garantenstellung
      7. Entsprechungsklausel (§ 13 Abs. 1 2. Hs StGB)
    2. Subjektiver Tatbestand
      1. Vorsatz bzgl. objektivem Tatbestand
      2. Besondere subjektive Tatbestandsmerkmale
  2. Rechtswidrigkeit
  3. Schuld

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