Ex-post-Triage
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Patient P ist an Covid-19 erkrankt und wird auf der Intensivstation beatmet. Als Patient T eingeliefert wird, beschließt Arzt A, dem T den Beatmungsplatz des P zu geben.
Einordnung des Falls
Ex-post-Triage
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Es liegt die Fallkonstellation der Ex-post-Triage vor.
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Ja, in der Tat!
2. Arzt A trifft grundsätzlich die Pflicht, beide Patienten zu behandeln.
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Ja!
3. Die Extubation des P ist als Unterlassen der Behandlung zu qualifizieren.
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Nein, das ist nicht der Fall!
4. Auch die Ex-post-Triage kann mittels rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) straflos bleiben.
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Nein, das trifft nicht zu!
5. Arzt A ist entschuldigt.
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Nein!
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Schwarzleser007
4.5.2021, 23:10:32
Wäre der Arzt also in der Situation strafbar?

Tigerwitsch
5.5.2021, 00:34:28
Ich meine ja. Vgl. auch: https://rsw.beck.de/docs/librariesprovider51/nldocs/jus_2020_403_roennau_wegner.pdf?sfvrsn=b6a62144_2
AnkaZ
10.2.2023, 17:10:41
Frage nur nochmal zum Verständnis: Wenn ein Arzt die Behandlung eines Patienten (in welcher Form auch immer) abbricht, stellt dies nach dem Schwerpunkt der Verwerfbarkeit stets ein Unterlassen dar. Dies wird damit begründet, dass dieser grundsätzlich eine Pflicht zur Weiterbehandlung hat, der er dann nicht nachgeht. Bricht jedoch ein Dritter die Behandlung ab, so ist dies stets als aktives Tun zu bewerten, da diesen keine Behandlungspflicht trifft. Habe ich das so richtig verstanden?:)

Lukas_Mengestu
16.2.2023, 17:45:38
Hallo Anka, das ist leider etwas zu stark vereinfacht. Insbesondere musst Du die Frage, ob ein aktives Tun/Unterlassen vorliegt, von der Frage trennen, ob der Täter sich strafbar gemacht hat. Richtig ist, dass die sog. unechten Unterlassensdelikte stets eine Garantenpflicht voraussetzen. Wenn ich also als Privatperson einen Schwerverletzten auf der Straße finde und ihn nicht reanimiere (=Unterlassen der gebotenen Handlung) kann ich dafür nicht wegen Totschlag durch Unterlassen belangt werden (§§ 212, 13 StGB). In Betracht kommt hier unter Umständen aber natürlich eine Strafbarkeit wegen unterlassener Hilfeleistung (§ 323c StGB). Störe ich dagegen zB die Beatmung des Schwerverletzten durch einen anwesenden Arzt, so liegt der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit nicht mehr auf der unterlassenen Behandlung, sondern auf meiner aktiven Verhinderung. Hier kommt also auch für mich als Außenstehenden eine aktive, vorsätzliche Tötung (§ 212 Abs. 1 StGB) in Betracht. Ein behandelnder Arzt, der die Behandlung abbricht, kann sich indes in der Tat aufgrund wegen Totschlags durch Unterlassen strafbar machen, wenn ihm eine Garantenstellung zukommt und er pflichtwidrig und vorsätzlich eine Behandlung abbricht. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team (P.S.: Von den hier begutachteten Triage-Fällen, wo der Behandlungsabbruch gegen den Willen der Beteiligten geschieht, musst Du streng die "Sterbehilfe-Fälle" unterscheiden! Dort liegt der Schwerpunkt häufig eher auf der Frage, ob eine strafbare Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB) oder eine straflose Beihilfe zur Selbsttötung vorliegt).
Moritz
25.8.2023, 11:21:07
Könnte man in diesem Fall eigentlich noch eine Aussetzung gem. § 221 prüfen?
Leo Lee
25.8.2023, 12:34:20
Hallo Moritz, genauso ist es! Beachte jedoch, dass § 221 StGB dann ggf. hinter § 212 I StGB zurücktritt. Hierzu kann ich die Lektüre von Fischer StGB, 69. Auflage, § 221 Rn. 28 empfehlen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo