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Patient P ist an Covid-19 erkrankt und wird auf der Intensivstation beatmet. Als Patient T eingeliefert wird, beschließt Arzt A, dem T den Beatmungsplatz des P zu geben.

Einordnung des Falls

Ex-post-Triage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Es liegt die Fallkonstellation der Ex-post-Triage vor.

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Ja, in der Tat!

Als Ex-post-Triage wird eine Situation beschrieben, in der eine laufende Behandlung abgebrochen wird, um Platz für neu ankommende Patienten zu schaffen, denen auf Grund von Triage-Kriterien (etwa wegen höherer Behandlungserfolgswahrscheinlichkeit) Priorität eingeräumt werden soll.

2. Arzt A trifft grundsätzlich die Pflicht, beide Patienten zu behandeln.

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Ja!

Angehörige von Heilberufen trifft in ihrem Verantwortungsbereich als Garanten eine Pflicht im Sinne von § 13 Abs. 1 StGB, nach der sie rechtlich dafür einzustehen haben, dass Schäden an Leib und Leben der sie aufsuchenden Verletzten und Kranken abgewendet werden müssen, soweit eine Therapie nicht aussichtslos ist und die Behandlung dem ausdrücklichen oder mutmaßlichen Willen des Patienten entspricht. Nehmen Ärzte in einer solchen Situation eine medizinisch indizierte Behandlung nicht vor, können sie sich gegebenenfalls wegen eines Körperverletzungs- oder Tötungsdelikts durch (unechtes) Unterlassen strafbar machen.

3. Die Extubation des P ist als Unterlassen der Behandlung zu qualifizieren.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Zur Begründung dieser These, die auch in den schon genannten DIVI-Leitlinien angedeutet wird und im Kern darauf hinausläuft, eine aktive Tötung von bereits in Behandlung befindlichen Patienten mit einem Unterlassen der Rettung von noch nicht behandelten Patienten gleichzusetzen, wird die Rechtsprechung des BGH zum sog. Behandlungsabbruch angeführt. Dagegen spricht jedoch, dass die Entscheidung zum Behandlungsabbruch vielmehr ein Ausfluss des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Sterbenden war und eben nicht Unterlassen und aktive Tötung gleichstellen wollte.A könnte sich also wegen Totschlags strafbar gemacht haben.

4. Auch die Ex-post-Triage kann mittels rechtfertigenden Notstandes (§ 34 StGB) straflos bleiben.

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Nein, das trifft nicht zu!

Vertritt man nun, dass die Ex-post-Triage ein aktives Tun darstelle, entfällt die Rechtsfigur der rechtfertigenden Pflichtenkollision. In Betracht käme aber dann der rechtfertigende Notstand. Voraussetzung für diesen ist jedoch, dass das zu schützende Rechtsgut das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt.Menschenleben sind jedoch kraft der Menschenwürde jeglicher qualitativen oder quantitativen Abwägungen entzogen (keine Abwägung "Leben gegen Leben").

5. Arzt A ist entschuldigt.

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Nein!

§ 35 StGB wird mangels Nähebeziehung des behandelnden Arztes zum Patienten in der Regel zu verneinen sein. Denkt man nun an einen übergesetzlichen entschuldigenden Notstand, so bräuchte es eine absolute Ausnahmesituation.Zwar kann die Pandemie grob als eine solche gelten; bei der Ex-post-Triage stehen im konkreten Fall dem Tod oder der Schädigung, die ein Behandlungsabbruch verursacht, jedoch lediglich ein Mensch gegenüber, so dass der für den übergesetzlichen entschuldigenden Notstand erdrückende quantitative Überhang der zu Rettenden nicht besteht.

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