Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Rücktritt

Fristsetzung: "unverzügliche Nachlieferung"

Fristsetzung: "unverzügliche Nachlieferung"

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K bestellt bei V für eine bevorstehende Weihnachtsfeier einen Pullover. Dieser sollte am 12.12 geliefert werden. Sie bezahlt direkt. Als die Ware ausbleibt, fordert K die V zur unverzüglichen Lieferung auf. Da der Pullover auch am 19.12 noch nicht da ist, verlangt K ihr Geld zurück.

Diesen Fall lösen 87,7 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Fristsetzung: "unverzügliche Nachlieferung"

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. K kann nach § 346 Abs. 1 BGB den Kaufpreis zurückverlangen, wenn sie wirksam den Rücktritt ausgeübt hat.

Ja!

Durch den wirksamen Rücktritt wird der ursprüngliche Vertrag in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt und die Parteien müssen die jeweils empfangenen Leistungen und Nutzungen zurückgewähren (§ 346 Abs. 1 BGB). Ein wirksamer Rücktritt setzt (1) eine Rücktrittserklärung und (2) einen Rücktrittsgrund voraus. (3) Zudem darf der Rücktritt nicht ausgeschlossen sein. Achte darauf, dass bei Rückgewähransprüchen die Rechtsfolge aus §§ 346 ff. BGB resultiert. Diese sind als Anspruchsgrundlage im Obersatz zu zitieren.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. K hat den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.

Genau, so ist das!

Der Rücktritt erfordert nach § 349 BGB eine Erklärung gegenüber dem anderen Teil (=Rücktrittserklärung). Hierbei handelt es sich um eine einseitige, empfangsbedürftige Willenserklärungen, die nach dem objektiven Empfängerhorizont (§§ 133, 157 BGB) auszulegen ist.Ausdrücklich hat K den Rücktritt nicht erklärt. Indem sie den gezahlten Kaufpreis zurückforderte, hat sie aber konkludent zum Ausdruck gebracht, dass sie nicht mehr an dem Vertrag festhalten und diesen rückabwickeln wolle.

3. K stand ein vertragliches Rücktrittsrecht zu.

Nein, das trifft nicht zu!

Da der Rücktritt den Grundsatz durchbricht, dass Verträge einzuhalten sind (=pacta sunt servanda), bedarf es für den einseitigen Rücktritt eines besonderen Rücktrittsrechts. Ein solches kann entweder vertraglich vereinbart sein (=Rücktrittsvorbehalt) oder sich aus dem Gesetz ergeben (z.B. bei einer mangelhaften Kaufsache: § 437 Nr. 2, 323 Abs. 1 BGB).Ein vertragliches Rücktrittsrecht ist nicht vereinbart. V hat indes durch die nicht erbrachte Lieferung seine vertraglichen Pflichten verletzt. Insoweit kommt ein gesetzliches Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 BGB in Betracht.

4. Sofern die Voraussetzungen des § 323 Abs. 1 BGB vorliegen, steht K ein gesetzliches Rücktrittsrecht zu.

Ja!

Das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) gegenseitiger Vertrag, (2) wirksamer, fälliger und einredefreier Anspruch, (3) Nichterbringung der Leistung bei Fälligkeit bzw. nicht ordnungsgemäßer Leistung und (4) erfolglose Fristsetzung (§ 323 Abs. 1-3 BGB).In Zusammenhängen zu lernen, erspart viel Arbeit! Die Voraussetzungen kennst Du bereits aus den Einheiten zum Schadensersatz (§ 281 BGB). Allerdings bedarf es für den Rücktritt im Gegensatz zum Schadensersatz keines Verschuldens.

5. Da V am 12.12 nicht geliefert hat, hätte K direkt nach § 323 Abs. 1 BGB zurücktreten dürfen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Das Rücktrittsrecht nach § 323 Abs. 1 BGB setzt voraus: (1) gegenseitiger Vertrag, (2) wirksamer, fälliger (ggfs. (entbehrlich gem. § 323 Abs. 4) und einredefreier Anspruch, (3) Nichterbringung der Leistung bei Fälligkeit bzw. nicht ordnungsgemäßer Leistung und (4) erfolglose Fristsetzung (§ 323 Abs. 1-3 BGB).Zwar bestand ein wirksamer Kaufvertrag. Auch hatte V nicht geliefert, obwohl Ks Anspruch am 12.12 fällig und einredefrei war. Allerdings musste K zunächst eine angemessene Frist zur Nacherfüllung setzen.

6. K hat V nach Auffassung des BGH eine angemessene Nachfrist gesetzt.

Ja, in der Tat!

Auf die Benennung eines konkreten Zeitraumes kommt es nach der Rechtsprechung nicht an. Eine solche Pflicht ergebe sich nicht aus dem Wortlaut. Zudem werde der Zweck bereits durch die Aufforderung, innerhalb „angemessener Frist”, „unverzüglich” oder „umgehend” zu leisten, hinreichend erfüllt, da hierdurch der Zeitraum zumindest bestimmbar sei.Indem K unverzügliche Lieferung des Pullis forderte, hat sie wirksam eine Frist gesetzt. Die Länge der Frist bestimmt sich dabei nach den objektiven Umständen. Für die Lieferung eines Pullovers ist eine Woche insoweit auch ausreichend. Ein Rücktrittsgrund nach § 323 Abs. 1 BGB liegt somit vor.In der Literatur wird dagegen teilweise verlangt, dass der Gläubiger die Länge oder das Ende der Frist durch Angabe von festen Zeiteinheiten oder eines genauen Endtermins konkretisieren muss.

7. Der Rücktritt war vorliegend ausgeschlossen.

Nein!

Die §§ 346 ff. BGB kennen keinen allgemeinen Ausschluss des Rücktrittsrechts. Ausschlussgründe finden sich vor allem bei den einzelnen gesetzlichen Rücktrittsrechten (z.B. § 323 Abs. 6 BGB) und im Zuge der Verjährung des zugrundeliegenden Leistungsanspruches (§ 218 BGB). Ks Rücktrittsrecht ist nicht ausgeschlossen. Sie kann somit den Kaufpreis nach § 346 Abs. 1 BGB zurückfordern. Sofern es keinen Anhaltspunkt für den Ausschluss des Rücktrittsrechts gibt, genügt es kurz festzustellen, dass der Rücktritt nicht ausgeschlossen war.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BL

Blotgrim

3.6.2022, 09:19:13

Ich würde bei der angemessen Frist vielleicht noch die Meinung der Literatur anführen, die eine zeitlich klar bestimmte angemessene Frist fordert

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.6.2022, 16:39:41

Hallo Blotgrim, in der Tat wird in der Literatur teilweise noch die Auffassung vertreten, dass es eines bestimmten Endtermins oder der Angabe von festen Zeiteinheiten bedarf (Looschelders, in: BeckOGK-BGB, 01.05. § 323 RdNr. 150 mwN). Dabei wird vor allem mit der Warnfunktion argumentiert. Wir haben insoweit noch einen Vertiefungshinweis mit aufgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

9.6.2022, 14:51:45

Verlangt die Literaturansicht eine in dieser Form bestimmte Frist nur i.R.d. § 323 BGB oder auch i.R.d. § 281 BGB?

BL

Blotgrim

9.6.2022, 15:12:53

Auch beim 281. An sich sind die Voraussetzungen bei Rücktritt und Schadensersatz ja sehr ähnlich

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

9.6.2022, 15:15:36

Danke :)

IB

Ilja B.

17.9.2022, 11:50:26

Hallo, aber war die Fristsetzung nicht entbehrlich, gem. § 323 II Nr. 2? Ich meine, die Leistung bzw. diese Lieferung war doch nach dem Kalender bestimmt oder täusche ich mich da ?

Dogu

Dogu

22.5.2023, 15:21:45

@Ilja B. dafür wäre aber ein

relatives Fixgeschäft

erforderlich. Dem SV ist diesbezüglich nichts zu entnehmen.

Pilea

Pilea

23.7.2023, 08:53:58

@[Ilja B.](166071) , dafür fehlt die mitgeteilte Wesentlichkeit des Termins gem. § 323 II Nr. 2 aE BGB

AS

as.mzkw

21.8.2024, 10:54:09

Wieso wäre eine Fristsetzung hier nicht ohnehin nach § 323 II Nr. 2 BGB entbehrlich gewesen?

AS

as.mzkw

21.8.2024, 11:06:06

Hat sich schon erledigt, es fehlt jedenfalls an der Mitteilung an den Schuldner, dass die Einhaltung des Lieferdatums wesentlich sei.


© Jurafuchs 2024