Plötzlich nicht mehr schutzbereit - Abgrenzung Nr. 1 und Nr. 2


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Jurafuchs

O ist bettlägerig und liegt bei Ärztin T stationär mit Lungenentzündung in der Praxis. O benötigt alle paar Stunden ein überlebensnotwendiges Medikament. O gerät in akute Atemnot und drückt den Alarmknopf. T spritzt ihm das Medikament. Als O später erneut den Knopf drückt, verlässt T den O ohne Behandlung, obwohl sie weiß, dass O das Medikament benötigt.

Einordnung des Falls

Plötzlich nicht mehr schutzbereit - Abgrenzung Nr. 1 und Nr. 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Während der Täter in § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB die hilflose Lage des Opfers herbeiführt, findet er sie in § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB bereits vor.

Genau, so ist das!

Das Grunddelikt der Aussetzung enthält in § 221 Abs. 1 StGB zwei Tatmodalitäten: § 221 Abs. 1 Nr. 1 StGB stellt ein von jedermann erfüllbares Begehungsdelikt dar. § 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB ist ein Sonderdelikt, das nur ein Garant (§ 13 Abs. 1 StGB) begehen kann. Es handelt sich um ein echtes Unterlassungsdelikt ("Im-Stich-Lassen"). Die Strafmilderung (§ 13 Abs. 2 StGB) ist nicht anwendbar.

2. Nach der h.M. "lässt" T den O "in einer hilflosen Lage im Stich" (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB), indem er seine Schutzbereitschaft aufgibt.

Ja, in der Tat!

Die h.M. nimmt eine hilflose Lage bereits dann an, wenn das Opfer zu seinem Schutz gerade auf den Beistand des Täters angewiesen ist. Gegen diese Ansicht lässt sich anführen, dass es bereits begrifflich unstimmig erscheint, eine hilflose Lage anzunehmen, wenn ein Patient bei einem Arzt aufgenommen wird und von diesem Hilfe erwarten darf. Hiernach befindet sich O bereits seit der stationären Aufnahme in einer hilflosen Lage, denn er ist auf die Versorgung durch den T angewiesen. T "lässt" den O folglich in dieser bestehenden "hilflosen Lage im Stich", indem er die Bereitschaft zur Hilfe aufgibt.

3. T hat den O "durch" das Im-Stich-Lassen in einer hilflosen Lage der "Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung ausgesetzt" (§ 221 Abs. 1 Nr. 2 StGB).

Ja!

Die Vollendung des Delikts setzt eine zurechenbare Verursachung eines konkreten Gefahrerfolges für das Opfer voraus. Dies liegt vor, wenn der Täter eine Verschlechterung der gegenwärtigen physischen Situation in dem Sinne herbeiführt, dass es nur noch vom Zufall abhängt, ob das Opfer den Tod oder eine schwere Gesundheitsschädigung erleidet. Aus der hilflosen Lage des O entwickelt sich eine solche konkrete Gefährdung, denn O ist bettlägerig und kann sich nicht selbst um das lebensnotwendige Medikament kümmern. O könnte somit jederzeit an einem Erstickungstod sterben. T hat demnach den O durch die Tathandlung der konkreten Gefahr des Todes ausgesetzt.

4. Indem T seine Schutzbereitschaft plötzlich aufgegeben hat, hat er O nach einer Ansicht durch Unterlassen "in eine hilflose Lage versetzt" (§§ 221 Abs. 1 Nr. 1, 13 Abs. 1 StGB).

Ja!

Die Abgrenzung zwischen § 221 Abs. 1 Nr. 1 und 2 StGB ist in Fällen, in denen der zunächst schutzbereite Garant sich spontan dazu entschließt, nicht mehr zu helfen, umstritten. Nach einer Ansicht liegt eine hilflose Lage so lange noch nicht vor, wie der Garant schutzbereit ist. T war zunächst schutzbereit und hat O das Medikament gespritzt. Nach dieser Ansicht hat T erst mit der Entscheidung, die weitere Versorgung zu unterlassen, den O in eine hilflose Lage versetzt.

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Sinemm

Sinemm

8.12.2023, 16:23:40

Hey, wie kann man denn mit einer akuten Lungenentzündung in einer Praxis stationär liegen? :D

LELEE

Leo Lee

9.12.2023, 22:01:57

Hallo Sinemm, ohne jetzt ein Experte in dem Bereich zu sein, sind wir einfach mal davon ausgegangen, dass dies sein könnte, um einen sehr spannenden Fall für euch aufzubereiten ;). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo


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