Zivilrecht
Sachenrecht
Der Besitzschutz
Ausschluss gem. § 861 Abs. 2 BGB - Überschreitung der Jahresfrist
Ausschluss gem. § 861 Abs. 2 BGB - Überschreitung der Jahresfrist
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
D entwendet das E-Bike des E im Jahr 2017. 2019 entdeckt E bei einem Stadtbummel zufällig sein E-Bike, das D mit einem Fahrradschloss an einer Laterne abgeschlossen und gesichert hat. E knackt das Schloss und fährt auf dem E-Bike davon.
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Einordnung des Falls
Ausschluss gem. § 861 Abs. 2 BGB - Überschreitung der Jahresfrist
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. E hat durch den Diebstahl den unmittelbaren Besitz an seinem E-Bike verloren.
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. D hat E den Besitz durch verbotene Eigenmacht entzogen.
Genau, so ist das!
3. E begeht seinerseits verbotene Eigenmacht, indem er das E-Bike von der Laterne löst und damit davonfährt.
Ja, in der Tat!
4. D hat einen Herausgabeanspruch gegen E (§ 861 Abs. 1 BGB).
Ja!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Max
21.7.2020, 00:03:00
Müsste der Anspruch nicht doch ausgeschlossen sein? Jahresfrist ist doch überschritten, dementsprechend dürfte er doch ausgeschlossen sein?
Eigentum verpflichtet 🏔️
24.7.2020, 18:19:11
Hallo Max, danke für die Frage! Es ist zu differenzieren zwischen dem Anspruch aus §
861BGB des E und dem des D. Der Anspruch des E ist ausgeschlossen, da schon über ein Jahr, seit Ausübung der verbotenen Eigenmacht vergangen ist. Der des D jedoch nicht, dort ist die Zeitspanne des §
861II noch nicht abgelaufen!
Hamburger Michel
3.10.2020, 19:43:38
Hallo Max, §
861II ist auf den ersten Blick ein bisschen schwer zu verstehen, wird durch diese Fälle jedoch gut veranschaulicht. "Der Anspruch ist ausgeschlossen, wenn der entzogene Besitz dem
gegenwärtigen Besitzer oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft war" E, der das Fahrrad 2019 mitgenommen hat, ist nun der
gegenwärtige Besitzer, dem gegenüber D das Fahrrad fehlerhaft besessen hat. Diese kumulative Voraussetzung des §
861II liegt vor. "und in dem letzten Jahre vor der Entziehung erlangt worden ist." Desweiteren muss für einen Ausschluss des Anspruchs des D aus §
861I gemäß §
861II diese Voraussetzung vorliegen. Die Entziehung (in §
861II ist die durch E relevant) fand 2019 statt, D hat allerdings den Besitz 2017 erlangt, was nicht das letzte Jahr vor der Entziehung
Hamburger Michel
3.10.2020, 19:44:06
durch E darstellt (2019). §
861II: Der Anspruch (des D) ist ausgeschlossen, wenn der entzogene Besitz (des D) dem
gegenwärtigen Besitzer (E) oder dessen Rechtsvorgänger gegenüber fehlerhaft war und in dem letzten Jahre vor der Entziehung (des E) erlangt worden ist.
Hamburger Michel
3.10.2020, 19:46:59
Meine Antwort konnte nur in zwei Teilen gesendet werden, Teil 1 ganz unten, Teil 2 direkt nach dieser "Antwort". 😊
Johannes Nebe
18.6.2022, 17:07:02
Beim Fall des Vasenkaufs hieß es, der Dolo-agit-Einwand könne nicht erhoben werden, weil sonst der Normzweck des §
861unterlaufen würde, unzulässige Selbsthilfe zu verhindern. Hier hingegen könnte doch dem Herausgabeanspruch des D nach §
861der Herausgabeanspruch des E nach § 985 entgegengehalten werden. Greift auch hier der Dolo-agit-Einwand nicht, weil die Besitzschutznormen ggü. den Eigentumsschutznormen Priorität haben? Oder wäre der Einwand möglich?
Lukas_Mengestu
20.6.2022, 12:28:25
Hallo Johannes, in der Tat wäre auch insoweit eine dolo-agit Einrede ausgeschlossen und E zunächst zur Herausgabe des Fahrrads verpflichtet, da er die Ausschlussfrist des §
861Abs. 2 BGB versäumt hat. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Paulah
22.11.2023, 20:01:46
Nora Mommsen
24.11.2023, 12:59:15
Hallo Paulah, danke für deine Frage. Beides stellen Ausschlussgründe für die Besitzrechte dar. Der aus § 864 Abs. 1 BGB knüpft dabei an Zeitablauf an. §
861Abs. 1 BGB liegt vor, wenn der entzogene Besitz dem
gegenwärtigen Besitzer gegenüber fehlerhaft war. Es liegen also Rechtsgründe vor, die den Besitzschutz ausschließen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Paulah
24.11.2023, 20:55:29
Ich habe es immer noch nicht und verstehe bisher Folgendes: §
861Abs. 2 (! nicht 1) BGB geht es darum, dass kein Anspruch aus §
861Abs. 1 BGB besteht, wenn zum einen der entzogene Besitz gegenüber dem
gegenwärtigen Besitzer oder dessen Rechtsvorgänger fehlerhaft war. Fehlerhaft war er, wenn der Besitz durch
verbotene Eigenmachtentzogen wurde. Zum anderen darf der fehlerhafte Besitz nicht im letzten Jahr vor der erneuten Besitzentziehung erworben worden sein. Sonst ist der Anspruch ausgeschlossen. § 864 Abs .1 BGB sagt, ein Anspruch, der auf §
861BGB (Besitzentziehung) oder auf
§ 862 BGB(Besitzstörung) begründet ist, erlöscht nach Ablauf eines Jahres nach Verübung der verbotenen Eigenmacht. Wenn ich
§ 862 BGBaußen vor lasse, erkenne ich den Unterschied zu §
861Abs. 2 BGB nicht. Im § 864 Abs. 1 BGB wird, genau wie beim §
861Abs. 2 BGB gefordert, dass verbotenen Eigenmacht verübt wurde [ich übersetze: es wird etwas fehlerhaft besessen] und der Anspruch erlischt, wenn die Jahresfrist nach Verübung der Eigenmacht abgelaufen ist. In beiden Fällen wird also
verbotene Eigenmachtund eine ausschließende Jahresfrist beschrieben. Den Unterschied sehe ich immer noch nicht.
MayonnaiseOperator
10.2.2024, 23:25:58
Hi Paulah! Vielleicht verstehst du‘s anhand eines Beispiels besser.. Die Ausgangssituation: Dieb D stiehlt das Fahrrad des A am 01.01.2024. A sieht am 03.01.2024, 2 Tage nach dem Diebstahl durch D, sein an einer Laterne abgeschlossenes Fahrrad. A bricht das Schloss auf und „klaut“ das Fahrrad wieder zurück. D gefällt das nicht und mag sodann gem. §
861I BGB den Besitz am Fahrrad von A eingeräumt bekommen. Lösung: §
861I BGB eigentlich (+), aber: (1) der Besitz des D war fehlerhaft (=> § 858 II 1 BGB) und (2) wurde „im letzten Jahr vor der Entziehung“ erlangt. Die Voraussetzungen des §
861II BGB liegen vor, somit ist der Anspruch aus §
861I 1 Alt. 1 BGB *ausgeschlossen*. Gleiches wäre der Fall, wenn der alleinige Erbe des D in der Zwischenzeit das Fahrrad geerbt hätte (§
861II 1 Alt. 2 BGB). In einer anderen Konstellation, in der D nicht fehlerhaft besaß (etwa durch gutgl. Erwerb), könnte A nur den Anspruch aus §
861I BGB geltend machen, solange dieser binnen eines Jahres Klage erhebt (§ 854 BGB). Vertiefend: Während § 864 BGB davon ausgeht, dass ein Anspruch aus §
861I BGB besteht, dieser aber durch eine Art „zusätzliche Voraussetzung“ (hier nämlich die Jahresfrist aus § 864) erweitert wird, ist in §
861II BGB etwas anderes der Hintergrund: In §
861II BGB werden nämlich Voraussetzungen gelistet, wonach bei deren Erfüllung der Anspruchsteller iSd §
861I BGB nicht schutzwürdig ist. § 864 liegt also etwas anderes zugrunde, als §
861II BGB. Letzterer normiert Ausschlussgründe, Ersterer normiert eine Art weitere Voraussetzung, um den neuen Besitzer (iSd §
861I BGB) zu schützen. Das macht auch durchaus Sinn - stell dir vor, jemand entzieht deinen Besitz und du machst x Jahre nach der Besitzentziehung einen Anspruch aus §
861I BGB geltend. Das würde zu großen praktischen Problemen führen, die man teilweise nur schwer bis gar nicht lösen kann. Hierfür dann eben § 864 BGB, der den Anspruchsteller des §
861I BGB zum zeitigen Handeln zu bewegen versucht. §
861II schließt den Schutz eines, beispielsweise, bösgläubigen Diebes aus, § 864 BGB schützt den
gegenwärtigen Besitzer vor einer Klage eines vor Ewigkeiten Besitzenden. Galigrü!
MayonnaiseOperator
10.2.2024, 23:26:29
Hi @[Paulah](135148)! Vielleicht verstehst du‘s anhand eines Beispiels besser.. Die Ausgangssituation: Dieb D stiehlt das Fahrrad des A am 01.01.2024. A sieht am 03.01.2024, 2 Tage nach dem Diebstahl durch D, sein an einer Laterne abgeschlossenes Fahrrad. A bricht das Schloss auf und „klaut“ das Fahrrad wieder zurück. D gefällt das nicht und mag sodann gem. §
861I BGB den Besitz am Fahrrad von A eingeräumt bekommen. Lösung: §
861I BGB eigentlich (+), aber: (1) der Besitz des D war fehlerhaft (=> § 858 II 1 BGB) und (2) wurde „im letzten Jahr vor der Entziehung“ erlangt. Die Voraussetzungen des §
861II BGB liegen vor, somit ist der Anspruch aus §
861I 1 Alt. 1 BGB *ausgeschlossen*. Gleiches wäre der Fall, wenn der alleinige Erbe des D in der Zwischenzeit das Fahrrad geerbt hätte (§
861II 1 Alt. 2 BGB). In einer anderen Konstellation, in der D nicht fehlerhaft besaß (etwa durch gutgl. Erwerb), könnte A nur den Anspruch aus §
861I BGB geltend machen, solange dieser binnen eines Jahres Klage erhebt (§ 854 BGB). Vertiefend: Während § 864 BGB davon ausgeht, dass ein Anspruch aus §
861I BGB besteht, dieser aber durch eine Art „zusätzliche Voraussetzung“ (hier nämlich die Jahresfrist aus § 864) erweitert wird, ist in §
861II BGB etwas anderes der Hintergrund: In §
861II BGB werden nämlich Voraussetzungen gelistet, wonach bei deren Erfüllung der Anspruchsteller iSd §
861I BGB nicht schutzwürdig ist. § 864 liegt also etwas anderes zugrunde, als §
861II BGB. Letzterer normiert Ausschlussgründe, Ersterer normiert eine Art weitere Voraussetzung, um den neuen Besitzer (iSd §
861I BGB) zu schützen. Das macht auch durchaus Sinn - stell dir vor, jemand entzieht deinen Besitz und du machst x Jahre nach der Besitzentziehung einen Anspruch aus §
861I BGB geltend. Das würde zu großen praktischen Problemen führen, die man teilweise nur schwer bis gar nicht lösen kann. Hierfür dann eben § 864 BGB, der den Anspruchsteller des §
861I BGB zum zeitigen Handeln zu bewegen versucht. §
861II schließt den Schutz eines, beispielsweise, bösgläubigen Diebes aus, § 864 BGB schützt den
gegenwärtigen Besitzer vor einer Klage eines vor Ewigkeiten Besitzenden. Galigrü!
Paulah
11.2.2024, 11:49:00
Dankeschön! So langsam löst sich der Knoten im Gehirn. "In einer anderen Konstellation, in der D nicht fehlerhaft besaß (etwas durch gutgl. Erwerb), könnte A nur den Anspruch aus §
861I BGB geltend machen, solange dieser binnen eines Jahres Klage erhebt (§ 864 BGB)" Dann bestünde aber doch gar kein Anspruch, weil
verbotene Eigenmachtund der fehlerhafte Besitz nicht vorliegen. Liebe Grüße von Paula
MayonnaiseOperator
11.2.2024, 12:15:15
Da hast du natürlich komplett Recht!! Entschuldige den Fehler, der wird wahrscheinlich der späten Stunde zu der ich dir antwortete geschuldet sein! 😅 Ansonsten sollt‘ meine Antwort aber seine Richtigkeit haben :)
Paulah
11.2.2024, 15:52:47
Na, dann habe ich ja wenigstens etwas verstanden. ;-) Aber dann ist es ja so, dass ein Ausschluss gegriffen hätte, wenn E die
verbotene Eigenmachtinnerhalb des ersten Jahres ausgeübt hätte. Wenn er also schnell genug ist, darf er sich das Rad zurückholen und wenn nicht, hat er Pech gehabt? Das klingt dann eher wie eine Schutzfrist für den Dieb nach Ablauf einer Wartezeit! Und meine Frage aus dem anderen Thread: Beide Fristen gehen von der verbotenen Eigenmacht aus und laufen ein Jahr. Wann könnte der Fall eintreten, dass ein Anspruch nach §
861Abs. 1 BGB zwar entstanden (also nach §
861Abs. 2 BGB nicht ausgeschlossen), aber nach § 864 Abs. 1 BGB erloschen ist? Das ist definitiv nicht mein Thema!
Paulah
12.2.2024, 13:21:15
Ich glaube, ich hab's! Es wird erst im Drei- oder Mehrpersonenverhältnis relevant: Dann entfällt der Anspruch nach §
861Abs. 1 BGB, weil ein Dritter gegenüber dem ersten nicht fehlerhaft besitzt: D klaut das Rad von E und X entwendet es von D. Dann hat D gegenüber X nicht fehlerhaft besessen und §
861II BGB greift nicht. § 864 Abs. 1 BGB kommt aber zum Zug.
Paulah
9.12.2023, 13:26:40
Ich habe immer noch Probleme, die Konstellation zu verstehen - liegt, glaube ich, an dem schrägen Gesetzestext. Ich versuche zunächst den Gesetzestext §
861Abs. 2 BGB auf den Fall zu übertragen: Der Anspruch nach §
861Abs. 2 BGB ist ausgeschlossen, wenn 1. der Besitzer [D] dem Störer [E] gegenüber fehlerhaft besitzt und D besitzt nicht mehr. Müsste es hier nicht heißen "besessen hat"? Genauer: Muss ich hier gedanklich den Gesetzestext grammatikalisch verbessern? 2. der Besitz [des früheren Besitzers D] in dem letzten Jahr vor der Störung [durch E, 2019] erlangt worden ist. Punkt 1. ist erfüllt, Punkt 2. nicht, weil D den Besitz schon 2017 erlangt hat. Deshalb ist der Anspruch nicht ausgeschlossen. Der Anspruch nach § 864 Abs. 1 BGB erlischt [!], wenn 1. Nach Entstehung eines Anspruchs aus §§
861( Besitzentziehung), 862 (Besitzstörung) [hier: der Anspruch des D entsteht 2019] 2. ein Jahr abgelaufen ist [ist es vorliegend nicht] Dann nochmal zu meiner Frage aus dem anderen Thread Ich habe inzwischen verstanden, dass es in §
861Abs. 2 BGB um die Entstehung des Anspruchs geht und in § 864 Abs. 1 BGB um das Erlöschen. Ich müsste die Vorschriften demnach schon mal an unterschiedlichen Stellen im Gutachten prüfen. Wann könnte aber der Fall eintreten, dass der Anspruch zwar entstanden, aber dann nach § 864 Abs. 1 BGB erloschen ist? Oder geht es im § 864 Abs. 1 BGB um die
Klagefrist? D. h. es kann ein Anspruch entstehen, wenn aber nicht rechtzeitig geklagt wird, erlischt er. Viele Grüße von Paula