§ 316 StGB: Rechtfertigende Nothilfe

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Zwei Männer zerren ein Mädchen in einen VW, um sie zu entführen. Obwohl T weiß, dass er eine BAK von 2,28‰ aufweist, nimmt er mit seinem Pkw die Verfolgung auf, verliert den VW aber bereits unmittelbar nach dem Anfahren aus den Augen.

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Einordnung des Falls

§ 316 StGB: Rechtfertigende Nothilfe

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven und subjektiven Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

Genau, so ist das!

§ 316 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter vorsätzlich ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr trotz alkohol- oder sonst rauschmittelbedingter Fahruntüchtigkeit führt. T hat seinen Pkw unter Beherrschung der dafür erforderlichen technischen Funktionen bewegt, mithin ein Fahrzeug geführt. Dies geschah im öffentlichen Verkehrsraum und damit im Straßenverkehr. Ferner war T mit einer BAK von über 1,1‰ im Fahrtzeitpunkt nach gesicherten verkehrsmedizinischen Erkenntnissen unwiderlegbar nicht in der Lage, den Pkw sicher zu führen. T war damit absolut fahruntüchtig. Da ihm diese Umstände bekannt waren, begegnet auch der Vorsatz keinen Bedenken.
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2. Eine Rechtfertigung des T wegen Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) scheidet aus, weil die Entführung sich nicht gegen T selbst richtete.

Nein, das trifft nicht zu!

In § 32 StGB ist der Rechtfertigungsgrund der Notwehr normiert. Zuvörderst muss als sog. Notwehrlage ein gegenwärtiger rechtswidriger Angriff auf ein notwehrfähiges Rechtsgut vorliegen (§ 32 Abs. 2 StGB). Der Wortlaut des § 32 Abs. 2 StGB („Angriff von [...] einem anderen abzuwenden“) stellt klar, dass Verteidiger und Angegriffener nicht identisch sein müssen. Erfasst ist auch die sog. Nothilfe. Dass die Entführung sich nicht gegen T selbst richtete, sondern gegen das Mädchen, ist daher unschädlich.

3. Eine Rechtfertigung des T wegen Notwehr (§ 32 Abs. 1 StGB) scheidet aus, weil § 316 StGB ein „Allgemeinrechtsgut“ schützt.

Ja!

Schutzgut des § 316 StGB ist der öffentliche Verkehr. Von der zur Abwendung eines rechtswidrigen Angriffs erforderlichen Verteidigung kann indes nur dann die Rede sein, wenn die Abwehr sich gegen den Angreifer richtet und durch den Gegenangriff dessen Rechtsgüter oder die von ihm gebrauchten Angriffsmittel verletzt werden. Durch die Handlung des T sind aber nicht die Entführer betroffen, sondern nur der öffentliche Verkehr, sodass eine Rechtfertigung des T durch Nothilfe nicht in Betracht kommt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

19.8.2022, 10:22:21

Wurde aber eine Rechtfertigung nach § 34 StGB angenommen?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

19.8.2022, 17:59:45

Hallo Daniel, die Trunkenheitsfahrt gem. § 316 StGB kann als abstraktes Gefährdungsdelikt gerechtfertigt werden, um eine konkrete Lebensgefahr von jemand anderem abzuwenden. In der Abwägung überwiegt die erhebliche Gefahr für das Leben die

abstrakte Gefahr

für die öffentliche Sicherheit des Straßenverkehrs. Das zitierte Urteil ist auf alter Rechtslage erlassen worden, da gab es insbesondere den rechtfertigenden Notstand noch nicht. Zudem hätte der gleiche Fall auch heute aus Tatsachengründen wohl nicht zu einer Rechtfertigung nach § 34 StGB geführt. Der betrunkene Fahrer hatte damals wohl schon das Auto vor Beginn seiner Fahrt aus den Augen verloren, sodass die Interessenabwägung wohl nicht zu seinen Gunsten ausgefallen wäre. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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