§ 316 StGB: Rechtfertigender Notstand 2

21. Mai 2025

15 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

In einer Disko erleidet D eine stark blutende Schnittwunde über dem Auge. T, der seine BAK von 1,8‰ kennt und kein Handy dabei hat, fordert erfolglos Besucher auf, D ins 12 km entfernte Krankenhaus zu fahren. Da die Bedienung sich weigert, einen Krankenwagen zu rufen, fährt T den D mit dem Wagen ins Krankenhaus.

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Einordnung des Falls

§ 316 StGB: Rechtfertigender Notstand 2

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven und subjektiven Tatbestand der Trunkenheit im Verkehr (§ 316 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

Genau, so ist das!

§ 316 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass der Täter vorsätzlich ein Fahrzeug im öffentlichen Verkehr trotz alkohol- oder sonst rauschmittelbedingter Fahruntüchtigkeit führt. T hat seinen Wagen unter Beherrschung der dafür erforderlichen technischen Funktionen bewegt, mithin ein Fahrzeug geführt. Dies geschah im öffentlichen Verkehrsraum und damit im Straßenverkehr. Ferner war T mit einer BAK von mehr als 1,1‰ im Fahrtzeitpunkt nach gesicherten verkehrsmedizinischen Erkenntnissen unwiderlegbar nicht in der Lage, den Wagen sicher zu führen. T war damit absolut fahruntüchtig. Da ihm diese Umstände bekannt waren, begegnet auch der Vorsatz keinen Bedenken.
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2. Es bestand eine „Notstandslage“ (§ 34 StGB, sog. rechtfertigender Notstand).

Ja, in der Tat!

In § 34 StGB ist der Rechtfertigungsgrund des rechtfertigenden Notstandes normiert. Zuerst muss als sog. Notstandslage eine gegenwärtige Gefahr für ein notstandsfähiges Rechtsgut vorliegen. Der Wortlaut des § 34 S. 1 StGB („um die Gefahr von [...] einem anderen abzuwenden“) stellt aber klar, dass auch eine Gefahr für einen anderen eine Notstandslage begründet (sog. Notstandshilfe). Es bestand nicht für T, sondern für D eine solche gegenwärtige Gefahr für den Leib.

3. Die „Notstandshandlung“ scheitert bereits an der „anderweitigen Abwendungsmöglichkeit“ (§ 34 StGB, sog. rechtfertigender Notstand).

Nein!

Die Notstandshandlung setzt voraus, dass die Gefahr nicht anders als durch die Eingriffshandlung abgewendet werden kann, bei Abwägung der widerstreitenden Interessen das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegt und die Tat ein angemessenes Mittel ist. Eine anderweitige Abwendungsmöglichkeit liegt vor, wenn für den Täter eine ebenso Erfolg versprechende, aber weniger eingriffsintensive Handlungsalternative als der Eingriff in die Sicherheit des öffentlichen Straßenverkehrs bestand. Da T erfolglos andere Besucher aufforderte, D ins Krankenhaus zu fahren und die Bedienung sich weigerte, einen Krankenwagen zu rufen, war die Gefahr nicht anders abwendbar.

4. Die „Güter- und Interessenabwägung“ fällt zugunsten des T aus (§ 34 StGB, sog. rechtfertigender Notstand).

Nein, das ist nicht der Fall!

Voraussetzung ist, dass das geschützte Interesse das beeinträchtigte Rechtsgut wesentlich überwiegt (§ 34 S. 1 StGB). Abwägungsfaktoren sind vor allem der abstrakte Rang der Rechtsgüter und das Ausmaß der drohenden Rechtsgutsverletzung. Die BAK des T lag deutlich über dem Grenzwert der absoluten Fahruntüchtigkeit und er hatte eine lange Wegstrecke von 12 km bis zum Krankenhaus zurückzulegen. Somit bestand ein hohes Maß an Gefährdung für die Allgemeinheit. Weiter war die Verletzung des D weder lebensbedrohend noch bedurfte sie unmittelbaren ärztlichen Eingreifens. Da zudem ein wesentliches Überwiegen verlangt wird, das Übergewicht also beträchtlich sein muss, ergibt sich ein solcher Wertüberhang zugunsten des Erhaltungsguts nicht.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

KELE

Keles111

19.1.2024, 16:24:49

Hätte T nicht einfach selbst einen Krankenwagen rufen können; also ich weiß, dass der Sachverhalt diesbezüglich schweigt, allerdings ist das doch schon etwas irreführend.

LELEE

Leo Lee

20.1.2024, 10:59:26

Hallo Keles111, vielen Dank für dein Feedback! In der Tat hätte der T nach dem jetzigen Sachverhalt selbst den Krankenwagen rufen können. Dieses Missverständnis haben wir nun korrigiert, indem wir dazugeschrieben haben, dass T kein Handy dabei hatte und danken dir vielmals dafür, dass du uns dabei hilfst, die App zu perfektionieren :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

AN

annsophie.mzkw

24.9.2024, 11:25:42

Es sollte zudem ergänzt werden, dass auch D kein Handy dabei hat und auch die übrigen Besucher der Disko entweder keines dabei hatten oder aber jedenfalls nicht bereit

ware

n einen RTW/KTW zu rufen bzw. T deren Handy zur Verfügung zu stellen.

DO

Domenic

1.3.2024, 15:29:26

Würde dennoch ein Irrtum in Betracht kommen? Eine blutende Wunde über dem Auge kann auf T sehr viel gefährlicher wirken, als sie evtl. ist. (Der SV gibt keine weiteren Angaben, aber in einer Klausur könnte mehr geschrieben sein - bspw. dass das Gesicht voller Blut war; T die Schwere der Wunde aufgrund der Alkoholisierung nicht einschätzen konnte etc .)

TI

Timurso

2.3.2024, 14:27:19

Grundsätzlich würde das in Betracht kommen, ja. Wäre dann ein

ETBI

.

MAT

matse

7.1.2025, 20:55:19

Ebenfalls in Betracht kommt der naheliegende Irrtum, dass T denkt er dürfe aufgrund der

Notstand

slage seinen Freund ins Krankenhaus fahren. Er überschätzt demnach die Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes (§ 34) -> Erlaubnisgrenzirrtum. Dieser ist in der

Schuld

bei § 17 zu diskutieren und ist dann erfüllt, wenn der Irrtum unvermeidbar gewesen ist.

MAX800

max8000

20.11.2024, 18:58:21

Hallo, eine Frage vor allem auch im Zusammenhang mit § 315c StGB und dem Unterschied zur dortigen vergleichbaren Fallgestaltung. Bei § 315c StGB und der Frage der Rechtfertigung nach

§ 34 StGB

wurde gesagt, dass

§ 34 StGB

dort nicht in Betracht kommt, weil die durch § 315c geschützten Interessen (öffentl. Verkehrssicherheit und die Individualrechtsgüter) in ihrer Wertigkeit (immer) überwiegen. Habe ich das richtig verstanden: Bei

§ 316

StGB ist das aber anders? Also dort bestimmt es sich dann schon nach den Umständen des Einzelfalls und es ist nicht schon abstrakt eine Abwägung ausgeschlossen?

TI

Tinki

13.12.2024, 11:25:44

@[max8000](264678) das habe ich mich auch gefragt. Ich glaube, dass bei § 315c eine Rechtfertigung nach

§ 34 StGB

ausscheidet, weil tatbestandlich eine konkrete Gefährdung für Leib und Leben vorausgesetzt wird und eine

Abwägung Leben gegen Leben

nicht zulässig ist, womit ein Überwiegen, was § 34 verlangt, nicht gegeben ist. Bei

§ 316

wird allerdings keine konkrete Gefährdung verlangt, sodass Raum für eine Abwägung bleibt denke ich. Hier stellt man möglicherweise die abstrakte Gefährdung von Leib und Leben der konkreten Gefährdung von Leib und Leben gegenüber. So ganz genau habe ich es aber auch noch nicht verstanden. Wäre toll, wenn das JuraFuchs Team hier noch was zu schreiben könnte. Lieben Dank vorab! @[Leo Lee](213375) @[Sebastian Schmitt](263562) @[Linne_Karlotta_](243622)

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

14.3.2025, 11:37:50

Hallo @[max8000](264678), das ist eine gute Frage. Ich kann @[Tinki](200906) hier im Grunde zustimmen. Der wesentliche Unterschied ist die in § 315c StGB vorausgesetzte konkrete Gefährdung. Allerdings muss nicht zwangsläufig eine

Abwägung Leben gegen Leben

stattfinden, § 315c StGB greift beispielsweise ja auch bei der Gefährdung einer Sache von bedeutendem Wert. Auch dann wird eine Rechtfertigung aber selten sein. Dass die Rechtfertigung aus

§ 34 StGB

generell bei § 315c StGB nicht in Betracht kommt, ist so jedoch nicht ganz richtig. Vielmehr ist eine Rechtfertigung "nur" extrem unrealistisch. Wir haben die entsprechende Aufgabe im Kapitel zu § 315c StGB jetzt etwas angepasst, um das besser darzustellen. Im Rahmen von

§ 316

StGB ist dagegen eine Rechtfertigung einfacher möglich, schlicht weil nicht so gewichtige Rechtsgüter durch die

Notstand

shandlung betroffen werden und man daher einfacher zu einem Überwiegen gelangen kann. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


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