Zivilrecht

Examensrelevante Rechtsprechung ZR

Entscheidungen von 2016

Haftet der Zuschauer eines Fußballspiels wegen des Zündens eines Sprengkörpers für eine dem Verein vom Sportgericht auferlegte Geldstrafe?

Haftet der Zuschauer eines Fußballspiels wegen des Zündens eines Sprengkörpers für eine dem Verein vom Sportgericht auferlegte Geldstrafe?

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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besonders examenstauglich

A zündet während eines Fußballspiels im Stadion des 1. FC Köln einen Knallkörper und verletzt dadurch sieben Zuschauer. Der DFB verhängt gegen den Verein eine Verbandsstrafe. Der 1. FC Köln verlangt deswegen von A Schadensersatz (50.000 €).

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Einordnung des Falls

Haftet der Zuschauer eines Fußballspiels wegen des Zündens eines Sprengkörpers für eine dem Verein vom Sportgericht auferlegte Geldstrafe?

Dieser Fall lief bereits im 1./2. Juristischen Staatsexamen in folgenden Kampagnen
Examenstreffer Berlin/Brandenburg 2023
Examenstreffer Hessen 2023
Examenstreffer NRW 2023
Examenstreffer Mecklenburg-Vorpommern 2023

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Indem A den Knallkörper gezündet hat, hat er äquivalent und adäquat kausal die Verbandsstrafe des DFB verursacht.

Genau, so ist das!

Nach der Äquivalenztheorie ist jede Bedingung kausal, die nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele. Adäquate Kausalität ist gegeben, wenn die Möglichkeit des Schadenseintritts nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit liegt.BGH: Es sei weder völlig unwahrscheinlich noch ungewöhnlich, dass der DFB Fußballclubs im Anschluss an Pyrotechnikvorfälle im Stadion Verbandsstrafen auferlegt.
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2. A haftet dem 1. FC Köln auf €50.000 Schadensersatz.

Ja, in der Tat!

A haftet aus §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB wegen Verletzung des Zuschauervertrags.

3. Durch das Zünden des Knallkörpers hat A eine Pflicht aus dem Zuschauervertrag verletzt.

Ja!

BGH: Jeden Zuschauer treffe die Rücksichtnahmepflicht, die Durchführung des Fußballspiels nicht zu gefährden. Diese Pflicht folge sowohl aus der in den Zuschauervertrag einbezogenen Stadionordnung als auch aus § 241 Abs. 2 BGB. Danach ist in einem Schuldverhältnis jeder Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet.

4. Der erforderliche Zurechnungszusammenhang (Schutzzweck der Norm) zwischen der Pflichtverletzung des A und dem Schaden des 1. FC Köln ist gegeben.

Genau, so ist das!

Der Schutzzweck der Norm ist der dritte Kausalitätsfilter. Der Zurechnungszusammenhang zwischen Pflichtverletzung und Schaden ist gegeben, wenn der Schaden aus dem Bereich der Gefahren stammt, zu deren Abwendung die verletzte Norm erlassen oder die Vertragspflicht übernommen wurde.BGH: Die Vertragsstrafe des DFB sanktioniere eine Störung des Spiels durch A. Die von A verletzten Pflichten der Stadionordnung sowie die Pflicht aus § 241 Abs. 2 BGB dienten ebenfalls einem ungestörten Spielablauf. Damit stammte der Schaden aus dem Bereich der Gefahren, zu deren Abwendung die Vertragspflicht bestand.

5. Zwischen A und dem 1. FC Köln besteht ein Schuldverhältnis, sodass eine Haftung des A nach § 280 Abs. 1 BGB möglich ist.

Ja, in der Tat!

Ein Schuldverhältnis ist eine Sonderverbindung zwischen (mindestens) zwei Personen, kraft derer der Gläubiger vom Schuldner eine Leistung zu fordern berechtigt ist. Es entsteht durch Vertrag, einseitiges Rechtsgeschäft oder Gesetz.Durch den Ticketkauf und Stadionbesuch des A ist zwischen A und dem 1. FC Köln ein Zuschauervertrag zustande gekommen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Jan_T 🎓

Jan_T 🎓

12.2.2022, 21:47:53

Seltsame Argumentation des BGH. Müsste für einen

Schutzzweckzusammenhang

der Zweck der verletzten Norm bzw. des Vertrages konkret darin liegen, Strafen durch den DFB zu verhindern?

Jan_T 🎓

Jan_T 🎓

12.2.2022, 21:49:10

*nicht konkret darin liegen

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

17.2.2022, 16:28:47

Hallo Jan, sehr gute Frage. Letztlich ist diese Bewertung gerade der Kern der Entscheidung. Der BGH hat sich letztlich dafür entschieden, dass der notwendige innere Zusammenhang zwischend der Störung und der Verbandsstrafe bestehe. Denn die Verbandsstrafe stelle eine für den Veranstalter nicht zu vermeidende Folge gravierender Störungen des Ablaufs eines Fußballspiels dar. Aus diesem Grund dient die vertragliche Nebenpflicht das Spiel nicht zu stören, nicht nur einem ungehinderten Spielfluss, sondern mittelbar auch der Vermeidung von Verbandsstrofen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Doppelte Verfassungsunmittelbarkeit

Doppelte Verfassungsunmittelbarkeit

23.10.2023, 14:52:29

Lief heute in Berlin im 1. Examen als Teil 1 der Klausur. Allerdings hatte der Stadionbesucher noch 1,94 Promille.

Eichhörnchen I

Eichhörnchen I

23.10.2023, 21:10:58

Und im Gegensatz zum Fall hier, hat der "Übeltäter" zum Besuch die Dauerkarte eines Freundes benutzt. Im Teil 2 ging es dann um Maklertätigkeiten von Spielervermittlern.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.10.2023, 10:56:10

Lieben Dank für den Hinweis! Das haben wir entsprechend getagged :-) Gutes Durchhalten weiterhin! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

SHE

Sherwien

2.11.2023, 15:58:36

genau wie die 2 vor mir es beschreiben, lief es auch am selben Tag im Oktoberdurchgang in Hamburg!

ISAB

Isabelle.Sophie

12.1.2024, 08:24:38

@[Eichhörnchen I](136823) wie hast du den fall gelöst, wenn es die Dauerkarte des Freundes war?

Eichhörnchen I

Eichhörnchen I

12.1.2024, 08:39:23

Leider stand ich da ziemlich auf dem Schlauch, da ich im Kopf kein Rechtsverhältnis zw. Stadionbetreiber u. tatsächlichem Inhaber der Karte hinbekommen habe. Insbesondere kannte ich das Konstrukt des verbrieften Rechts nicht (§ 807 BGB) => wer es hat (zB durch Abtretung) darf es benutzen (Prinzip Briefmarke). Die Lösung kannst du hier nachlesen: https://lorenz.userweb.mwn.de/urteile/viizr14_16.htm Viele Grüße

ISAB

Isabelle.Sophie

12.1.2024, 08:41:54

@[Eichhörnchen I](136823) das tut mir leid. Danke für deine schnelle und nette Antwort. Ich habe meine Examen in einer Woche noch vor mir und mache mir total Gedanken nicht auf die richtige oder vorgesehene Lösung zu kommen. Ich finde den von dir beschriebenen Fall zB auch schwierig und wäre nicht draufgekommen. Ist dann alles verloren?

Eichhörnchen I

Eichhörnchen I

12.1.2024, 09:57:51

Deine Angst/ Unsicherheit kann ich sehr gut nachvollziehen :-) Die vom Klausursteller erdachte Lösung unter Examensbedingungen (extrem hoher psychischer Stress u. eigentlich keine Zeit zum Nachdenken) zu finden, ist aber utopisch. Schließlich haben sich bei dem Fall oben BGH-Richter (vermutlich mehr als 5h) mit der "richtigen" Lösung befasst. Ohne narzisstische Persönlichkeit ist die vorgesehene Lösung ein Maßstab, an dem man scheitern muss & auch nicht der Erwartungshorizont. Ich habe immer versucht den Kopf nicht in den Sand zu stecken und das Beste daraus zu machen. Irgendwas schreiben geht immer & es kamen auch Klausuren die ich besser bearbeiten konnte :-) Jedenfalls wünsche ich dir ganz viel (mentale) Kraft für die nächste Zeit!

der D

der D

18.10.2024, 08:57:06

Etwas verspätet, aber nochmal eine grundlegende Frage. Ich verstehe nicht ganz, wie nach der Abtretung ein Vertrag zwischen dem Übeltäter und dem Verein zustande kommt. Ist es so, dass bei der Abtretung nach 398 dann nicht nur die Forderung übertragen wird, sondern der gesamte ursrpüngliche Vertrag zwischen dem Zessionar und dem Schuldner zustandekommt (inkl. Nebenpflichten?).

Eichhörnchen I

Eichhörnchen I

18.10.2024, 10:03:08

Hi, also der ursprüngliche Ticketerwerb war ein Rechtskauf (§ 453 I Alt. 1 BGB), auf den die Kaufvorschriften entsprechend anwendbar sind. Erworben wurde das Recht zum Besuch des Fussballspiels (Teilnahmeberechtigung). Dieses Recht ergibt sich aus der Eintrittskarte (Inhaberpapier nach § 807 BGB), die zunächst vom Verein an den Besucher übereignet wurde (§§ 929 ff. BGB). Anschließend wurde dieses (verbriefte) Recht durch Abtretung (§ 398 BGB) an den Übeltäter übertragen. Er hat nun also das Recht ins Stadion zu gehen. Erst (!) mit dem Betreten schließt er dann (konkludent) einen Stadionbesuchsvertrag inkl. Nebenpflichten. Insoweit ist das verbriefte Recht der Türöffner, um einen Stadionbesuchsvertrag abschließen zu können. Viele Grüße

sunnypi

sunnypi

23.10.2023, 16:41:25

Examenstreffer Hessen Oktober 2023 (als Teil 1)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.10.2023, 10:11:26

Hey sunnypi, danke für den Hinweis! Den Tag haben wir direkt ergänzt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Eichhörnchen I

Eichhörnchen I

23.10.2023, 21:07:49

Lief ebenso im 1. Examen in MV (Oktober 2023, ZR I.)

justintolaw

justintolaw

25.10.2023, 22:51:58

Und in NRW!

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.10.2023, 10:12:54

Danke euch beiden für den Tipp und willkommen im Jurafuchs-Forum! Wir haben den Tag entsprechend ergänzt. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team


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