Zivilrecht
Examensrelevante Rechtsprechung ZR
Entscheidungen von 2016
Leistungsverweigerungsrecht wegen Geringfügigkeit
Leistungsverweigerungsrecht wegen Geringfügigkeit
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K kauft von V einen Neuwagen zum Preis von 50.000 €. Bei Anlieferung hat dieser eine kleine Delle (Kosten: 200 €). V will nicht nachbessern. Stattdessen bietet er einen Reparaturzuschuss an. K weist das Auto zurück und verweigert die Zahlung. V holt das Auto ab und liefert es K nach erfolgter Reparatur erneut. V begehrt nun Schadensersatz wegen Lagerkosten und Verzugszinsen.
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Einordnung des Falls
Leistungsverweigerungsrecht wegen Geringfügigkeit
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 10 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. V hat einen Anspruch gegen K aus §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB, wenn K im Verzug war.
Genau, so ist das!
Jurastudium und Referendariat.
2. Er geriet nicht mit der Kaufpreiszahlung in Verzug, wenn er sich auf die Einrede des § 320 BGB berufen konnte.
Ja, in der Tat!
3. Der PKW wies einen Sachmangel auf, sodass die Einrede des § 320 BGB hinsichtlich der Kaufpreiszahlung besteht.
Ja!
4. Der Einwand des § 320 BGB kann gemäß § 242 ausgeschlossen sein.
Genau, so ist das!
5. Der Einwand des § 320 BGB ist vorliegend nach diesen Grundsätzen ausgeschlossen.
Nein, das trifft nicht zu!
6. Auch hinsichtlich des Standgeldes (Lagerkosten) schließt die Einrede des § 320 BGB den Verzug des K aus.
Nein!
7. Das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB ist ausgeschlossen, weil der Lackkratzer ein geringfügiger behebbarer Mangel ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
8. Auch das Zurückbehaltungsrecht des § 273 BGB steht unter dem Vorbehalt der unzulässigen Rechtsausübung.
Ja, in der Tat!
9. V hat gegen K aber zumindest einen Anspruch aus § 304 BGB auf Ersatz der Lagerkosten.
Nein!
10. V hat gegen K einen Anspruch aus § 448 Abs. 1 Hs. 1 BGB.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Tigerwitsch
24.2.2021, 22:34:41
Wieso besteht eine
Beschaffenheitsvereinbarung? Kann man nicht eher sagen, dass man bei einem Neuwagen „gewöhnlich“ erwarten kann, dass dieser keine Dellen/Kratzer hat? (D.h. 434 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BGB) Oder gilt bei einem fabrikneuen Wagen grundsätzlich bereits der Umstand „Neuwagen“ als
Beschaffenheitsvereinbarung?
Speetzchen
25.2.2021, 21:06:22
Hey, das steht in den Antworten. Der Umstand Neuwagen stellt eine
Beschaffenheitsvereinbarungdar und ein Verstoß gegen eine
Beschaffenheitsvereinbarungindiziert i.d.R. die Erheblichkeit der Pflichtverletzung. Lg. :)
Diaa
18.8.2023, 18:59:54
Ich hätte gerne zwei Fragen zu diesem Fall: 1. wieso wird ein Anspruch aus §§ 280 I, II, 286 geprüft? 2. Wieso wurde
§ 273automatisch als
konkludente Erklärung angenommen, aber im ersten Fall nicht?
Leo Lee
19.8.2023, 11:05:21
Hallo Diaa, Zu 1.: Hier wird der Verzugsschaden geprüft, denn die Leistung (mangelfreies Auto) wird am Ende noch erbracht, sprich unsere K will nicht "weg vom Vertrag" und eben nur die "nebenbei" angefallenen Kosten ersetzt haben. Hierdurch begehrt sie einen
Schadensersatz neben der Leistungaufgrund verspäteter ordnungsgemäßer Leistung. Zu 2.: Beim zweiten Fall wurde
§ 273I BGB als "
konkludenterklärt" angenommen, weil K das Auto zurückgewiesen hat und die Zahlung verweigert hat. Bei § 320 I BGB haben wir selbst diese "
konkludente" Erklärung nicht gebraucht, da § 320 I BGB auch OHNE die Erhebung (also allein durch das Bestehen!) den Gegenanspruch hemmt :). Anders eben bei
§ 273I BGB: Hier brauchen wir eine Erhebung der Einrede, welche hier eben "
konkludent" getan wurde :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Diaa
22.8.2023, 22:33:39
Dankeschön
Reus04
30.8.2023, 19:43:32
Warum muss hier überhaupt auf §320 oder §
273abgestellt werden. Der K ist doch gar nicht in Verzug geraten oder? (Leistung nicht so angeboten, wie sie zu bewirken ist)
Leo Lee
31.8.2023, 11:37:02
Hallo Reus04, in der Tat wurde das Auto nicht so angeboten, wie es anzubieten war. Beachte jedoch immer das Beg
ehren des Anspruchstellers. Hier begehrt nämlich der K, dass die Lagerkosten und Verzugszinsen gezahlt werden. Diese sind jedoch "Nebenkosten", die unabhängig davon, ob die Leistung noch ordnungsgemäß bewirkt wird, bestehen. Somit sind diese "Schäden" als
Schadensersatz NEBEN der Leistung(hier über 286) zu ersetzen, wenn die Vorsen vorliegen :). Liebe Grüße - für das Jurafuchsteam - Leo
Isabelle.Sophie
5.12.2023, 09:15:22
Liebes JuraFuchs-Team, könnt ihr auch sagen, wo der Fall ein Examenstreffer war?
Lukas_Mengestu
5.12.2023, 13:09:49
Hallo Isabelle.Sophie, die Examenstreffer beruhen in der Regel auf Meldungen aus dem Forum. Hier scheint der zugehörige Thread zwischenzeitlich leider gelöscht worden zu sein, sodass eine nähere Zuordnung leider nicht mehr möglich ist. Bei neueren Examenstreffern geben wir aber stets das dazugehörige Bundesland mit an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
fuchs_
21.4.2024, 15:09:12
Ich fände es super, wenn doppelte Aufgaben, die sowohl bei der Kategorie "Examensrelevanter Rechtsprechung" als auch in den einzelnen Einheiten selbst vorkommen, auch flächendeckend synchronisiert wären. Manchmal habe ich das Gefühl, dass es synchronisiert ist, meist aber irgendwie nicht. So bekomme ich regelmäßig Aufgaben als neu angezeigt, obwohl ich sie an anderer Stelle schon als 4. Wiederholung habe.
Lukas_Mengestu
22.4.2024, 13:48:25
Hallo fuchs_, identische Aufgaben sind bei uns flächendeckend synchronisiert. Nicht immer ergibt es aber Sinn, einen Rechtsprechungsfall 1:1 auch in den systematischen Kurs zu übertragen. Denn die systematischen Kurse sind deutlich kleinteiliger zugeschnitten und lediglich ein Teil der Entscheidung ist hier von Bedeutung. Gerne werden wir dies aber zukünftig noch klarer kennzeichnen, wenn ein Rechtsprechungsfall verschiedenen Aufgaben zugrunde liegt. Mit besten Grüßen, Lukas - für das Jurafuchs-Team
fuchs_
22.4.2024, 14:27:56
Danke für die schnelle Rückmeldung! Eine klare Kennzeichnung, was neu/anders ist, wäre dann hilfreich. So hatte ich bis jetzt immer das Gefühl, der Fall sei ganz genauso gewesen und da vergeht dann die Lust, ihn noch mal neu durchzugehen (vor allem, weil es eben nicht nur einen Fall betrifft). Im Polizei- & Ordnungsrecht ist es beispielsweise auch so, dass Fälle in der jeweiligen Landeseinheit nochmal vorkommen (und dort dann teils die landesrechtlichen Vorschriften präzisiert sind), aber sonst alles exakt genauso ist.
LS2024
10.5.2024, 13:52:21
mMn ist die letzte Frage schon der Frage nach falsch. Denn § 448 I BGB ist meines Wissens nach keine Anspruchsgrundlage, sondern eine Kostentragungsregel. Evtl. Ansprüche ergeben sich aus der GoA aus Auftrag, oder sind auf SE gerichtet (siehe BeckOGK/Mock, 1.5.2024, BGB § 448 Rn. 21-24).
Sebastian Schmitt
21.10.2024, 16:58:53
Hallo @[LS2024](144077), die AGL wird unterschiedlich beurteilt, "falsch" wird unsere Frage dadurch aber keineswegs. Eine Auffassung stützt einen eventuellen Erstattungsanspruch unmittelbar auf § 448 BGB (zB jurisPK-BGB/Müller, 10. Aufl, Stand 9.5.23, § 448 BGB Rn 32), andere auf § 448 BGB iVm dem Kaufvertrag (so Dauner-Lieb/Langen/Büdenbender, BGB, 4. Aufl 2021, § 448 Rn 10, wohl auch MüKoBGB/Maultzsch, 9. Aufl 2024, § 448 Rn 3). Ob letzteres tatsächlich ein Anspruch auf SchE oder vielmehr ein allgemeiner "Erstattungsanspruch" unmittelbar aus dem Kaufvertrag ist (so wohl MüKoBGB/Maultzsch, 9. Aufl 2024, § 448 Rn 3), sei dahingestellt. Selbst der von Dir zitierte BeckOGK, verwendet das Wort "Schadensersatz" allerdings nicht und will auf die GoA auch nur dann zurückgreifen, "soweit der Kaufvertrag keine entsprechende Regelung enthält" (Rn 22). Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team
LS2024
22.10.2024, 07:53:38
Danke für Deine Antwort @[Sebastian Schmitt](263562). Dann ist es wohl vertretbar, auch wenn es mir dogmatisch verfehlt erscheint. Aber, dass der BeckOGK keinen Schadenersatzanspruch nennt stimmt ja nicht, siehe Rn. 23. Und natürlich gehen die Regelungen aus dem Kaufvertrag vor (soweit sie wirksam sind), dann wäre ja aber auch § 448 BGB verdrängt. Den Einwand kann ich insofern nicht nachvollziehen.
Sebastian Schmitt
22.10.2024, 10:08:53
Hallo @[LS2024](144077), mit dem BeckOGK hast Du völlig Recht. Ich war hier nur mit der Suchfunktion nach "Schadensersatz" durchgegangen, aber er benutzt "Schadenersatz" ohne das s in der Mitte, deswegen tauchte es nicht auf - mein Fehler. Anscheinend verlangt BeckOGK tatsächlich eine explizite Regelung im Kaufvertrag, jedenfalls klingt die Formulierung wohl danach. Ob man dann § 448 BGB als Teil der AGL begreift (in diese Richtung wohl Dauner-Lieb) oder als reine Kostentragungsregel, ist mE eine iE wenig zielführende Diskussion. (Nicht nur) in Prüfungsaufgaben ist hier jedenfalls vieles vertretbar. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team