+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A besitzt seit zehn Jahren eine wertvolle Kette, die sie für ihr Eigentum hält. Tatsächlich ist A nicht die Eigentümerin. A zieht aus dem EU-Mitgliedsstaat X nach Deutschland und nimmt auch „ihre“ Kette mit. In X kann man bewegliche Sachen erst nach zwölf Jahren ersitzen. Ist A Eigentümerin der Kette?

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Einordnung des Falls

Statutenwechsel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Gibt es für sachenrechtliche Fragen eine einschlägige europäische Verordnung bezüglich des anzuwendenen Rechtes?

Nein, das trifft nicht zu!

Wir haben bereits die Rom I-VO für vertragliche Schuldverhältnisse und die Rom II-VO für außervertragliche Schuldverhältnisse kennengelernt. Die europäischen Verordnungen sehen aber nicht für alle Rechtsgebiete eine übergreifende Rechtsvereinheitlichung vor. So ist für das Sachenrecht immer noch auf das nationale IPR (in Deutschland die Normen des EGBGB) zurückzugreifen. Mangels einschlägiger VOs ist auf das autonome deutsche IPR zurückzugreifen. Die Frage, ob A Eigentümerin der Kette geworden ist, ist sachenrechtlich zu qualifizieren. Hier sind die Art. 43 – 46 EGBGB einschlägig.
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2. Für die Frage des anwendbaren Rechts, ist nach deutschem IPR an den gewöhnlichen Aufenthaltsort des Inhabers anzuknüpfen (Art. 43 Abs. 1 EGBGB).

Nein!

Sowohl für bewegliche, als auch für unbewegliche Sachen ist an das Statut des Lageorts anzuknüpfen (lex rei sitae). Mit anderen Worten, es ist auf den Belegenheitsort der Sache abzustellen. A ist nun nach Deutschland gezogen. Dabei hat sie die Kette mitgenommen. Der Belegenheitsort der Kette ist also in Deutschland. Art. 43 Abs. 1 EGBGB verweist auf deutsches Recht. Eigentlich sieht das EGBGB eine Gesamtverweisung vor, das heißt aus dem Verweis ergibt sich lediglich, welches IPR anzuwenden ist (Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB). Da man sich aber im Kreis drehen würde, wenn das deutsche IPR aufs deutsche IPR verweist, wird in diesem Fall direkt ins deutsche materielle Recht verwiesen.

3. Wird eine Sache in ein anderes Land verbracht, richtet sich der zu berücksichtigende Zeitraum für eine Ersitzung nur nach der Zeit, die in dem neuen Land verbracht wurde (Art. 43 Abs. 3 EGBGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Wir eine Sache in ein anderes Land verbracht, ändert sich ab dann das anwendbare Recht (sog. Statutenwechsel). Bei einem Erwerbstatbestand (z.B. Ersitzung), der bei dem Import der Sache nach Deutschland noch nicht vollständig verwirklicht ist, richtet sich der Eintritt ausschließlich nach dem neuen anwendbaren Recht (sog. Neustatut). Allerdings stellt Art. 43 Abs. 3 EGBGB klar, dass auch Teile des Erwerbstatbestands, die im Ausland verwirklicht wurden, zu berücksichtigen sind. Das bedeutet, dass sich die Frage, ob A die Kette im Wege der Ersitzung erworben hat, ausschließlich nach deutschem Sachenrecht (§ 937 BGB) richtet. Für den für die Ersitzung maßgeblichen Zeitraum ist auch die Zeit, die in X verbracht wurde, zu berücksichtigen.

4. Nach deutschem Recht hat A im Wege der Ersitzung Eigentum an der Kette erworben (§ 937 BGB).

Ja, in der Tat!

Ein Eigentumserwerb kraft Gesetzes ist im Wege der Ersitzung möglich. Voraussetzung ist, dass (1) eine bewegliche Sache (2) zehn Jahre (3) im Eigenbesitz ist und (4) der Besitzer bis zum Ende des Ersitzungszeitraums gutgläubig ist. Eigenbesitzer ist, wer eine Sache als ihm gehörend besitzt (§ 872 BGB). A hat die Kette zehn Jahre besessen. Dabei ist auch der Zeitraum, den sie davon in X verbracht hat, zu berücksichtigen (Art. 43 Abs. 3 EGBGB). Sie ging davon aus, dass die Kette in ihrem Eigentum steht. Die Voraussetzungen der Ersitzung liegen also nach deutschem Recht vor. A hat Eigentum erworben.
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