Zivilrechtliche Nebengebiete

Internationales Privatrecht

Besonderer Teil - Rom II-VO

Welches Recht findet Anwendung bei Erfolgseintritt auf internationalem Gebiet?

Welches Recht findet Anwendung bei Erfolgseintritt auf internationalem Gebiet?

21. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der deutsche D und die Spanierin S sind beide in einem Flieger nach Mexiko. Das Flugzeug fliegt unter deutscher Flagge. Während des Flugs schüttet D einen Tomatensaft über S‘ Handtasche, die nun ruiniert ist. Das Flugzeug befand sich zu diesem Zeitpunkt in hoheitsfreiem, internationalem Luftraum. S verklagt D nach ihrem Urlaub in Deutschland. ‌

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Einordnung des Falls

Welches Recht findet Anwendung bei Erfolgseintritt auf internationalem Gebiet?

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ist der Anwendungsbereich der Rom II-VO eröffnet?

Ja!

Der sachliche Anwendungsbereich der VO erfasst gesetzliche Schuldverhältnisse auf dem Gebiet des Zivil- und Handelsrechts (Art. 1 Abs. 1 Rom II-VO). Das Schuldverhältnis-begründende Ereignis muss nach dem 11.01.2009 geschehen sein (Art. 32 Rom II-VO). Die VO gilt für alle EU-Mitgliedsstaaten für Sachverhalte mit internationalem Bezug. Es liegt eine unerlaubte Handlung (Verletzung des Eigentums) vor (sachlicher Anwendungsbereich). Der Sachverhalt weist einen internationalen Bezug auf. Der räumlich-persönliche Anwendungsbereich ist eröffnet. Mangels entgegenstehenden Angaben ist davon auszugehen, dass auch der zeitliche Anwendungsbereich eröffnet ist.
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2. Vorrangig ist für die Rechtswahl nach Art. 4 Rom II-VO immer an den Erfolgsort (Abs. 1) anzuknüpfen.

Nein, das ist nicht der Fall!

Art. 4 Rom II-VO sieht drei verschiedene Anknüpfungen vor. Auf den Erfolgsort (Abs. 1) ist nur abzustellen, wenn keine vorrangige Regelung greift. Der Erfolgsort wird verdrängt, wenn (1) die Parteien ihren gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Land haben (Abs. 2) oder, wenn (2) die unerlaubte Handlung eine offensichtlich engere Verbindung zu einem anderen Staat aufweist (Abs. 3, sog. Ausweichklausel). Art. 4 Abs. 2 oder 3 Rom II-VO sind hier nicht einschlägig. Es ist deshalb auch die Grundregel des Art. 4 Abs. 1 Rom II-VO abzustellen.Eine der spezielleren Kollisonsnormen (Artt. 5-9 Rom-II-VO bzw. eine subjektive Rechtswahl liegt hier offensichtlich nicht vor.

3. Da sich das Flugzeug über staatsfreiem Gebiet befand, kann das Delikt keinem Staat zugeordnet werden.

Nein, das trifft nicht zu!

Die Bestimmung des Erfolgsort bereitet Probleme, wenn der Schaden auf staatsfreiem Gebiet eintritt. Dies gilt z.B. bei sog. Borddelikten, die sich an Bord von See- oder Luftfahrzeugen ereignen. Die Anknüpfung an den „Erfolgsort“ läuft hierbei an sich ins Leere, da sich dieser streng genommen im internationalen Niemandsland befindet. Die herrschende Auffassung schließt diese Lücke, indem sie solche Fällen dem Recht des Flaggenstaates zuordnet, in dem das Fahrzeug registriert ist. Die unerlaubte Handlung (Verletzung fremden Eigentums) ereignete sich hier auf in hoheitsfreiem, internationalem Luftraum. Das Flugzeug flog unter deutscher Flagge, sodass für S Klage deutsches materielles Recht zur Anwendung gelangt.Die Anknüpfung an den Flaggenstaat entspricht auch der hM im autonomen deutschen Kollisionsrecht sowie dem Rechtsstand anderer nationaler europäischer Rechtsordnungen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Porenta

Porenta

4.9.2024, 03:08:34

Hi, wie wäre die Konstellation zu lösen, wenn ein Deutscher mit einem Spanier in einem Flugzeug sitzt, das von Qatar Airways von Frankreich nach Mexiko fliegt? Würde dann qatarisches Recht angewendet werden? Deutsches oder Französisches?

THED

TheDustyOne

21.9.2024, 15:10:34

Nach meinem Kenntnisstand ist das sehr streitig, worauf in solchen Fällen abzustellen ist. Die Abstellung auf den Registrierungsort erscheint nur auf den ersten Blick naheliegend. Es überzeugt aber faktisch weder dogmatisch, ein Flugzeug oder Schiff als „mobiles Staatsgebiet“ anzusehen, noch ist immer eine eindeutige Erkennbarkeit für die Passagiere gegeben und vor allem ist es auch zufällig. Daran kann man pauschal nicht immer anknüpfen. Es scheint naheliegender auf die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO abzustellen und immer jeweils eine Einzelfall Ermittlung vorzunehmen, um den Interessen im konkreten Fall gerecht zu werden. Vielleicht sollte das zumindest als streitig gekennzeichnet werden.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

24.10.2024, 18:46:32

Danke für Deinen Kommentar @[TheDustyOne](111758). Hast Du noch eine Fundstelle, mit der Du den von Dir wiedergegebenen Kenntnisstand belegen könntest? Die von uns angegebenen Fundstellen kommen jedenfalls zu diesem Ergebnis. Die Ausweichklausel des Art. 4 Abs. 3 Rom II-VO kommt nur in sehr eingeschränktem Umfang zur Anwendung, also Vorsicht damit. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team


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