+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K ist Mitglied des Vereins B. Sie begehrt von B die Aufnahme in die Vereinsgruppe der Stadtbachfischer. Die Gruppe, welche nach der Satzung nur Männern offensteht, fischt am traditionellen Fischertag den Stadtbach aus. B lehnt Ks Antrag ab.
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Einordnung des Falls
Fischen nur für Männer? - Ärger am Memminger Fischteich
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 13 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. K erhebt Klage vor dem AG Memmingen. Damit dieses über den Streit entscheiden kann, dürfte der Streit nicht gemäß § 40 Abs. 1 VwGO den Verwaltungsgerichten zugewiesen sein.
Genau, so ist das!
Für die Frage, ob über eine Streitigkeit die ordentlichen Gerichte oder die Verwaltungsgerichte zu entscheiden haben, kommt es nach den §§ 13 GVG, 40 Abs. 1 S. 1 VwGO, darauf an, ob die Streitigkeit zivilrechtlich oder öffentlich-rechtlich ist. Entscheidend ist dabei, dieNatur des Rechtsverhältnisses, aus dem der Klageanspruch hergeleitet wird.
Hier begehrt K den Zugang zu einer Untergruppe eines privatrechtlich organisierten Vereins. Der Zugang zu den einzelnen Untergruppen des Vereins orientiert sich an der Vereinssatzung und ist damit privatrechtlicher Natur (RdNr. 17).
Der Verein als juristische Person des Privatrechts kann nur privatrechtlich handeln, sodass bei Streitigkeiten über den Zugang zum Verein (Ob) oder über die Ausgestaltung des Vereinsverhältnisses (Wie) immer der Zivilrechtsweg eröffnet ist. Anders ist dies bei juristischen Personen des öffentlichen Rechts, die ihr Nutzungsverhältnis auch privatrechtlich ausgestalten können. Hier kann dann im Einzelfall nach der sog. Zwei-Stufen-Theorie zu entscheiden sein, ob eine privat- oder öffentlich-rechtliche Streitigkeit vorliegt.
Weitere Zulässigkeitsprobleme bestanden nicht, sodass Ks Klage insgesamt zulässig war.
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2. Ks Klage ist begründet, wenn sie gegen B einen Anspruch auf Aufnahme in die Vereinsgruppe der Stadtbachfischer hat.
Ja, in der Tat!
Die Klage ist begründet, wenn dem Kläger der von ihm geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten zusteht.
K begehrt in erster Linie die Aufnahme in die Gruppe der Stadtbachfischer bzw. die Möglichkeit, auch als Frau am jährlichen Ausfischen des Stadtbachs teilnehmen zu dürfen. Ihre Klage ist somit begründet, wenn ihr ein solcher Anspruch gegen B zusteht.
Alternativ bzw. hilfsweise beantragte K festzustellen, dass die entsprechende Satzung des B, in welcher nur männlichen Mitgliedern den Zugang zur Gruppe der Stadtbachfischer gewährt wird, unwirksam ist.
Ab hier befindest Du Dich in der Klausur wieder auf bekanntem Terrain. Denn nun gilt es alle in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen zu prüfen.
3. K hat gegen B einen Anspruch auf Aufnahme in die Stadtbachfischergruppe aus Art. 3 Abs. 1 bzw. 2 GG, da B als privatrechtlich organisierter Verein unmittelbar an die Grundrechte gebunden ist.
Nein!
Nach Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte alle Träger öffentlicher Gewalt. Private, auch juristische, Person des Privatrechts sind dagegen nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden (keine unmittelbare Drittwirkung), sondern vielmehr zunächst Grundrechtberechtigte.
B ist als privatrechtlicher Verein somit nicht unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Ein Anspruch der K lässt sich somit nicht unmittelbar auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) stützen.
Als einzige anerkannte Ausnahme folgt eine unmittelbare Drittwirkung eines Grundrechts aus Art. 9 Abs. 3 S. 1 und 2 GG (Koalitionsfreiheit), weil diese dort im Wortlaut angeordnet wird („… ist für jedermann … gewährleistet. Aberdeen, die dieses Recht einschränken…, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig.“).
4. B ist somit gar nicht an Grundrechte gebunden und hat diese nicht zu beachten.
Nein, das ist nicht der Fall!
Die Grundrechte entfalten als objektive Wertentscheidung unserer Verfassung auch Wirkung im Privatrecht. Hier wirken sie mittelbar durch eine Auslegung der zivilrechtlichen Generalklauseln wie §§ 138, 242, 826 BGB auch in Rechtsverhältnissen zwischen Privaten (sog. mittelbare Drittwirkung).
Die Vereinsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) gewährt B grundsätzlich die Freiheit über die eigene Organisation und den Satzungsinhalt zu bestimmen. Gleichzeitig gehört die Vereinsfreiheit zu den Grundrechten, welche die Rechte Dritter eingrenzen – z.B. durch eine Beschränkung der Mitgliedschaft. Dem kann durch die mittelbare Geltung von Grundrechten über privatrechtliche Vorschriften begegnet werden (RdNr. 22 f.). B kann somit mittelbar an Grundrechte gebunden sein.
Insbesondere in zivilrechtlichen Klausuren ist die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte sehr beliebt, da sie Verknüpfungen zwischen den Rechtsgebieten herstellt. 5. K könnte gegen B einen Anspruch auf Aufnahme in die Fischergruppe aus § 826 BGB haben, wenn B über eine Monopolstellung verfügt und K ein wesentliches Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft hat.
Ja, in der Tat!
In Verbindung mit den Grundrechten, die im Rahmen der Auslegung privatrechtlicher Generalklauseln wie § 826 BGB mittelbar Geltung erlangen, kann sich ein solcher Anspruch auf Aufnahme in den Verein oder eine seiner Untergliederungen ergeben bzw. ein entsprechender Aufnahmezwangs des Vereins. Ein solcher Anspruch kann sich in Anlehnung an § 826 BGB ergeben, wenn der Verein im sozialen oder wirtschaftlichen Bereich über eine Monopolstellung verfügt und ein wesentliches Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht (RdNr. 23).
Es ist somit zunächst zu prüfen, ob B eine derartige Monopolstellung besitzt. 6. B ist der einzige Verein, der den Fischertag durchführt, einen traditionellen Festtag in Memmingen und fester Bestandteil im sozialen Kalender der Stadtgesellschaft. Kommt ihm somit eine Monopolstellung zu?
Ja!
Ein Aufnahmeanspruch aus § 826 BGB setzt voraus, dass der Verein über eine überwiegende Machtstellung (Monopolstellung) im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich verfügt und der Bewerber deswegen zur Verfolgung seiner berechtigten Interessen auf die Mitgliedschaft angewiesen ist. Dies kann auch bei regionalen Vereinen der Fall sein, wenn es z.B. an zumutbaren Alternativen fehlt und der Verein im regionalen Bereich einzigartig ist (RdNr. 24).
B ist der einzige Verein, der einen Fischertag in Memmingen ausrichtet. Er regelt exklusiv und selbstständig, wer am Fischertag auf welche Weise teilnimmt. Fischerkönig kann nur werden, wer Mitglied im Fischertagsverein ist und dafür zugelassen wird. Zudem verfügt sowohl der Verein als auch der Fischertag eine erhebliche soziale Bedeutung in Memmingen. B verfügt somit über eine Einzigartigkeit im regionalen Bereich 7. Ein Anspruch der K aus § 826 BGB ist aber ausgeschlossen, weil B ein Geselligkeitsverein ist und deswegen nicht, auch nicht mittelbar, an die Grundrechte gebunden ist.
Nein, das ist nicht der Fall!
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass reine Geselligkeitsvereine auch dann keiner Grundrechtsbindung unterliegen, wenn sie in einer Region einzigartig sind. Ein solcher Geselligkeitsverein liegt vor, wenn der Vereinszweck nur oder zumindest vorwiegend die Förderung der Geselligkeit der Mitglieder zum Gegenstand hat (RdNr. 27 f.).
Nach Bs Satzung gehören Heimatpflege, Kultur und der Umweltschutz und nicht die reine Geselligkeit innerhalb des Vereins zu den Vereinszwecken. Ferner beschränkt der Verein seine Tätigkeit nicht auf einen internen Mitgliederkreis, sondern seine Tätigkeiten besitzen erhebliche Außenwirkung und soziales Prestige, wie insbesondere der Fischertag zeigt. Somit ist B kein reiner Geselligkeitsverein und damit mittelbar an die Grundrechte Gebunden (RdNr. 27 f.).
8. Ein berechtigtes Interesse der K an der Aufnahme in die Gruppe der Stadtbachfischer ergibt sich aus Art. 3 Abs. 2 GG, der über § 826 BGB mittelbare Wirkung im Rechtsverhältnis zwischen B und K entfaltet.
Ja, in der Tat!
Art. 3 Abs. 2 GG bestimmt: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Daraus resultiert ein Anspruch auf Gleichberechtigung. Über § 826 BGB i.V.m. der mittelbaren Grundrechtsbindung haben auch Vereine Art. 3 Abs. 2 GG zu beachten: Jedem Mitglied steht grundsätzlich innerhalb des Vereins ein Anspruch auf Gleichbehandlung durch die Vereinsorgane zu. Dies verbietet eine ungerechtfertigte, sachwidrige oder willkürliche Schlechterstellung einzelner Mitglieder(RdNr. 30).
K kann somit aus dem aus Anspruch auf Gleichberechtigung (Art. 3 Abs. 2 GG), den auch B zu beachten hat, ein berechtigtes Interesse an der Aufnahme in die Stadtfischergruppe ableiten (RdNr. 29 f.).
Für eine Bindung des B an Art. 3 Abs. 2 GG und ein entsprechendes berechtigtes Interesse der K führte das Gericht zusätzlich die Organisation des B als gemeinnütziger Verein. Denn Art. 3 Abs. 2 GG ist insbesondere dann von einem Verein zu beachten, wenn er Subventionsempfänger ist oder durch seine Gemeinnützigkeit und die dadurch bedingten Steuervorteile in vergleichbarer Weise staatlich gefördert wird (RdNr. 31). 9. Auch aus dem Umstand, dass es K ohne eine Aufnahme in die Gruppe der Stadtbachfischer nicht möglich ist, in vollem Umfang am Fischertag teilzunehmen, folgt ein berechtigtes Interesse.
Ja!
Der Fischertag ist in Memmingen einzigartig und es gibt dort keine vergleichbare Veranstaltung. Eine Teilnahme an diesem Event ist K ohne die Aufnahme in die Gruppe der Stadtbachfischer, deren Mitglieder als einzige den Stadtbach ausfischen dürfen und somit zum Fischerkönig gekrönt werden können, nicht möglich. K hat somit ein berechtigtes Interesse, in die Gruppe aufgenommen zu werden (RdNr. 32).
10. Der Anspruch aus § 826 BGB ist ausgeschlossen, wenn ein sachlich rechtfertigender Grund für die Ungleichbehandlung der K besteht oder diese aus anderen Gründen gerechtfertigt ist.
Genau, so ist das!
Eine Ungleichbehandlung von Frauen kann aufgrund zwingender biologischer Gründe gerechtfertigt sein. Bestehen solche nicht, kommt eine Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung nur aufgrund kollidierendem Verfassungsrecht in Betracht (RdNr. 34 f.).
Auch wenn das Ausfischen des Stadtbaches anstrengend sein mag, ist kein Grund erkennbar, warum Frauen hierzu nicht in der Lage sein sollten. Mangels eines zwingenden biologischen Grundes kommt eine Rechtfertigung somit nur durch kollidierendes Verfassungsrecht in Betracht (RdNr. 34 f.)
11. Kann die Vereinsautonomie (Art. 9 Abs. 1 GG) und Bs darauf gründendes Interesse an der Wahrung der Tradition als kollidierendes Verfassungsrecht die Ungleichbehandlung der K rechtfertigen?
Nein, das trifft nicht zu!
Die Beantwortung der Frage, ob kollidierendes Verfassungsrecht eine Ungleichbehandlung rechtfertigen kann, erfordert eine umfassende Interessenabwägung. Das erstrebte Ziel darf sich nicht auf andere Weise erreichen lassen (RdNr. 37 ff.).
Ursprünglich führten ausschließlich Männer das Ausfischen des Stadtbachs durch, weswegen sich B auf diese Tradition berief, um den Ausschluss von Frauen vom Stadtbachfischen zu rechtfertigen. Allerdings zeigten eine Reihe von Indizien, wie eine offene Kleiderordnung und die Erweiterung der zum Ausfischen Berechtigten auf erst kürzlich in Memmingen Lebende und Weggezogene, dass der Verein die traditionellen Restriktionen des Fischertagsvereins mit der Zeit aufgeweicht hat. Somit sei nicht ersichtlich, warum B die Brauchtumspflege unmöglich sein soll, wenn auch Frauen zum Stadtbachfischen zugelassen sind. Somit überwogen die Interessen der K (RdNr. 37 ff.).
12. Hat K somit einen Anspruch gegen B auf Aufnahme in die Vereinsuntergruppe der Stadtbachfischer aus § 826, 249 Abs. 1 BGB i.V.m. der mittelbaren Drittwirkung des Art. 3 Abs. 2 GG?
Ja!
Die Voraussetzungen des Anspruchs liegen vor. Insbesondere ist die Ungleichbehandlung der K nicht durch zwingende sachliche Gründe oder die Tradition gerechtfertigt. K hat somit einen Aufnahmeanspruch gegen B aus § 826 i.V.m. § 249 Abs. 1 BGB.
Ein gleichgerichteter Anspruch ergibt sich auch aus § 18 Abs. 2 AGG. Denn gemäß § 18 Abs. 1 Nr. 2 AGG gelten die Vorschriften des AGG entsprechend für die Mitgliedschaft oder die Mitwirkung in einer Vereinigung, die eine überragende Machtstellung im wirtschaftlichen oder sozialen Bereich innehat, wenn ein grundlegendes Interesse am Erwerb der Mitgliedschaft besteht. Diese Voraussetzungen liegen aus den o.g. Gründen vor (RdNr. 48 f.). 13. Die Klage der K ist begründet.
Genau, so ist das!
K hat einen Anspruch gegen B auf Aufnahme in die Untergruppe der Stadtbachfischer aus §§
826, 249 Abs. 1 BGB i.V.m. der mittelbaren Drittwirkung des Art. 3 Abs. 2 GG sowie aus § 18 Abs. 2 AGG. Somit ist ihre zulässige Klage auch begründet.
Dieser eher atypisch daherkommende Fall eignet sich hervorragend sowohl für eine zivilrechtliche als auch eine öffentlich-rechtliche Examensklausur. Die wesentlichen Normen (§ 826 BGB) und Rechtsinstitute (mittelbare Drittwirkung) müssen bekannt sein, aber ihre Anwendung ist hier anspruchsvoll und ausführlich herauszuarbeiten. Argumentative Parallelen zu bekannten Entscheidungen – etwa zur Stadionverbote-Entscheidung des BVerfG – führen dazu, dass die Grundgedanken der Entscheidung als bekannt vorausgesetzt werden dürfen. Der kuriose Sachverhalt ermöglicht eine detaillierte Argumentation mit den Besonderheiten des Einzelfalls. § 18 Abs. 2 AGG eröffnet eine weitere Punktedifferenzierung. Der Fall ist ein gefundenes Fressen für alle Prüfungsämter!