Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Tatbestand der Willenserklärung

Postkarten in Kirche (ad incertas personas)

Postkarten in Kirche (ad incertas personas)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

M besichtigt die Elisabethkirche in Marburg. Sie nimmt eine der in der Kirche ausliegenden Postkarten an sich und wirft, wie auf dem Aushang verlangt, €0,50 in den Opferstock.

Diesen Fall lösen 92,3 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Postkarten in Kirche (ad incertas personas)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Aus Sicht eines Dritten hat der Kirchenvorstand durch Auslegen der Postkarten und Anbringen des Aushangs ein Angebot zum Abschluss eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) abgegeben.

Genau, so ist das!

Das Angebot (§ 145 BGB) zum Abschluss eines Kaufvertrags erfordert eine Willenserklärung. Diese setzt im objektiven Tatbestand ein äußerlich erkennbares Verhalten voraus, das auf das Vorliegen eines Handlungswillens, eines Erklärungsbewusstseins (Rechtsbindungswille) und eines Geschäftswillens schließen lässt.Die Auslage der Postkarten und der Vermerk, der Kaufpreis solle in den Opferstock geworfen werden, ist aus Sicht eines Dritten dahingehend zu verstehen, dass der Kirchenvorstand gegenüber den Kirchenbesuchern rechtsverbindlich einen Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) abgeben möchte.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. Das Angebot ist jedoch nichtig, da es die Person des Vertragspartners (Teil der essentialia negotii) nicht bestimmt.

Nein, das trifft nicht zu!

Dem objektiven Tatbestand muss sich die Rechtsfolge, auf deren Herbeiführung die Erklärung gerichtet ist, eindeutig entnehmen lassen: Die Erklärung muss inhaltlich bestimmt sein. Beim Kaufvertrag muss sich aus dem Antrag ergeben, wer Verkäufer und Käufer sein soll, was verkauft wird und wie hoch der Kaufpreis ist (essentialia negotii). Der Antrag muss aber nicht selbst bereits alle essentialia negotii enthalten, sondern nur Kriterien für ihre Festlegung. Ein Antrag kann deshalb sowohl an eine bestimmte Person als auch an einen begrenzten Personenkreis oder die Allgemeinheit gerichtet sein (= ad incertas personas).Das Angebot der Kirche richtet sich an alle Besucher. Es überlässt dem Annehmenden die Festlegung der Person des Käufers.

3. Ms Verhalten lässt auf das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens schließen. Sie hat das Angebot angenommen.

Ja!

Die Annahme ist eine Willenserklärung, mit der das Einverständnis mit dem Antrag ausgedrückt wird. Ein Rechtsbindungswille im Rahmen des objektiven Tatbestands liegt vor, wenn der Erklärende sich aus Sicht eines Dritten in irgendeiner Weise rechtlich erheblich erklären will. Der Wille kann ausdrücklich oder konkludent (durch schlüssiges Verhalten) erklärt werden.Dass M eine Postkarte an sich nimmt und wie verlangt €0,50 in den Opferstock hineinwirft, kann aus Sicht eines Dritten nur als konkludente Erklärung dahingehend verstanden werden, dass M die Postkarte kaufen möchte.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

Jurafuchs kostenlos testen


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Vulpes

Vulpes

26.11.2019, 01:17:09

Für mich eindeutig ein Fall von

invitatio ad offerendum

. Bitte um Aufklärung, da alle Merkmale der iao erfüllt sind.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

28.11.2019, 11:41:45

Hi, danke für die Frage. Eine

invitatio ad offerendum

liegt dann nicht vor, wenn der Erklärende eine rechtsverbindliche Willenserklärung abgegeben hat. Hier hat der Kirchenvorstand genau das getan: "Das Verhalten des Kirchenvorstands, in der Kirche Postkarten auszulegen und mittels Vermerk darauf hinzuweisen, dass der Kaufpreis für die entnommenen Karten in den Opferstock geworfen werden soll, ist aus Sicht eines Dritten als eine rechtsverbindliche Erklärungshandlung dahingehend zu verstehen, dass der Kirchenvorstand gegenüber den Kirchenbesuchern einen Antrag auf Abschluss eines Kaufvertrags (§ 433 BGB) abgeben möchte." Er riskiert auch keine Verträge, die er nicht erfüllen kann (wie z.B. bei einer Auslage im Schaufenster oder in einem Versandhauskatalog). Denn sein Angebot bezieht sich nur auf die tatsächlich ausliegenden Postkarten.

AM

Amod

18.1.2020, 01:13:31

Ist die i a o nicht deshalb ausgeschlossen, weil hier ein hinreichend bestimmter (bestimmbarer) Adressatenkreis (Kirchenbesucher) vorliegt ?

LUI

Luis344

24.4.2020, 20:23:56

Es kommt dem Kirchenvorstand - etwa im Gegensatz zum Supermarkt - gerade nicht darauf an, wer Vertragspartner ist. Mithin scheidet eine iao aus.

🦊LEXD

🦊LEXDEROGANS

26.2.2020, 21:37:57

Ob die Formulierung „Bitte“ ein tragfähiges Argument für die These ist, dass es sich beim Opferstock nur um ein

Gefälligkeitsverhältnis

handelt (lediglich Spende)?🤔

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

26.2.2020, 22:26:06

Wir glauben: nein.

Agit

Agit

31.3.2020, 16:41:46

Nein tut es nicht. Es ist nur eine höfliche sozialgesellschaftliche anerkannte Geste ein Angebot mit „Bitte“ zu beginnen und wenn man richtig freundlich ist, mit „Danke“ zu beenden. Die Bestandteile des Angebots sind so bezeichnet, dass der Bestimmtheit genüge getan ist. Preis 50 Cent, Vertragsgegenstand Postkarte, Personenkreis unbestimmt; aber ist wegen ad incertas Personas als anerkannten Ausnahmerechtssatz vollkommen ausreichend. Wäre es anders könnten antizipierte Erklärungen wie diese hier keinen Zugang mehr im Rechtsverkehr finden. Und das kann wenn der Ökonomie nicht sein.

TOB

Tobias

5.8.2020, 10:10:53

Warum ist in der Aussage keine invitaio ad incertas personas zu sehen?

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

5.8.2020, 20:10:54

Hi Tobias, danke für die Frage. Was meinst Du genau:

invitatio ad offerendum

oder

offerta ad incertas personas

?

TOB

Tobias

5.8.2020, 20:16:50

Oh Entschuldigung. Ich meine die invitaio an offerendum. Ich hätte so argumentiert, dass seitens der Kirche kein Rechtsbindungswille vorliegt, damit sie einer etwaigen Schadensersatzpflicht entgeht, wenn keine Karten mehr vorhanden sind. Ähnlich wie bei Auslagen in Geschäften.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

5.8.2020, 20:21:42

Kein Problem! Dazu gibt es bereits einen Thread zu diesem Fall. Das Angebot ist nach 133,157 BGB so zu verstehen, dass es auf die tatsächlich vorhandenen Postkarten beschränkt ist.

TOB

Tobias

5.8.2020, 20:48:43

Alles klar. Vielen Dank

ASC

Annemarie Schwertfeger

2.10.2020, 20:19:39

Das ist Vergleichbar mit einem Zigarettenautomaten, dort liegt auch nicht der andere Vertragspartner vor, aber das Angebot ist an einen unbestimmten Personenkreis gerichtet, nämlich zahlungswillige Interessenten, es handelt sich um sog.

Offerta ad incertas personas

S.

s.t.

2.9.2021, 21:23:18

Ist das ein Offerta ad personas? Der Kirche ist es ja egal, wer das annimmt ?

Jen:ny

Jen:ny

3.9.2021, 09:59:22

Ja genau, das ist eine. 😉👍

Jen:ny

Jen:ny

3.9.2021, 20:53:01

Nachtrag: Du kannst statt des lat. Rechtsausdrucks auch einfach vom „Angebot an die Allgemeinheit“ sprechen. Im Endeffekt ist es ja wichtig, dass Du die Rechtsfigur kennst und von der bloßen Einladung zur Abgabe eines Angebots (

invitatio ad offerendum

) unterscheiden kannst. Dazu steht ja auch etwas im Erklärungstext.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community

Weitere für Dich ausgwählte Fälle

Jurafuchs

Ausstellen von Tieren im Schaufenster (Invitatio ad offerendum)

A fertigt leidenschaftlich gerne kleine Häkeltiere an. Jedes Tier ist ein Unikat. Nachdem sie ihren Onlineshop bei DaWanda aufgeben musste, hat sie in Berlin-Schöneberg einen kleinen Laden eröffnet. Im Schaufenster hat sie 10 ihrer Tiere mit Preisschildern ausgestellt.

Fall lesen

Jurafuchs Illustration zum Hamburger Parkplatzfall (BGH 14.7.1956 , V ZR 223/54 , NJW 1956, 1475): F fährt durch die Schranke in ein Parkhaus. In der Einfahrt sind auf einem Plakat die Parkgebühren aufgelistet.

Hamburger Parkplatzfall (BGH 14.7.1956 , V ZR 223/54 , NJW 1956, 1475): examensrelevante Rechtsprechung | Jurafuchs

Der Hamburger Parkplatzfall ist das Musterbeispiel der sogenannten „Protestatio facto contraria non valet“ (lat.: ein Widerspruch entgegen dem (tatsächlichen) Handeln gilt nicht). Dies ist eine Regel aus dem römischen Recht, wonach ein zum Ausdruck gebrachter Vorbehalt unwirksam ist, der mit dem gleichzeitigen, eigenen Verhalten faktisch in Widerspruch steht. Ein solches Verhalten verstößt auch gegen Treu und Glauben (§ 242 BGB).

Fall lesen