Zivilrecht
BGB Allgemeiner Teil
Anfechtung der Willenserklärung
Anfechtung der automatischen WE bei Irrtum in der Invitatio
Anfechtung der automatischen WE bei Irrtum in der Invitatio
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K bestellt im Onlineshop des V einen Laptop für €245 und erhält eine automatische Versandbestätigung. V erklärt die Anfechtung, weil er sich beim Einstellen des Preises in seinem Shop-Backend vertippt habe. Der Preis sollte eigentlich €2.650 betragen.
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Einordnung des Falls
Anfechtung der automatischen WE bei Irrtum in der Invitatio
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. V hat mit Einstellen des Laptops für €245 ein verbindliches Angebot „ad incertas personas“ abgegeben.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. K hat durch die Bestellung ein Angebot (§ 145 BGB) abgegeben, den Laptop für €245 zu kaufen.
Genau, so ist das!
3. V hat das Angebot des K durch die automatische Auftrags- und Lieferbestätigungs-E-Mail angenommen (§ 147 BGB).
Ja, in der Tat!
4. V kann das Einstellen des Laptops anfechten, weil er sich vertippt hat (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs.1 Alt. 2 BGB).
Nein!
5. V kann seine Annahmeerklärung wegen Erklärungsirrtums anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
iustus
5.11.2020, 00:11:10
Ich meine mal gelesen zu haben, dass eine bloße Bestellbestätigung keine Annahmeerklärung ist. Irre ich mich da?
Eigentum verpflichtet 🏔️
5.11.2020, 16:23:53
Hallo iustus, kann es sein, dass du die automatische Bestellzugangsbestätigung ("Wir haben ihren Auftrag erhalten") meinst? Eine solche stellt grds. nur eine Bestätigung des Eingangs des Angebots des Bestellers dar (vgl. § 312i Abs. 1 Nr. 3 BGB und unsere 3. Antwort). Hier erfolgt aber eine Versandbestätigung, das heißt der Verkäufer bestätigt, dass er die Ware für den Versand vorbereitet hat und versendet. Darin liegt konkludent die Annahme (
§ 147 BGB) des Angebots des Käufers.
Alexander2
2.5.2022, 23:46:57
Deshalb achten viele Versandhändler darauf, keine „Auftragsbestätigung“ o. Ä. ohne Prüfung zu versenden und eben explizit zu schreiben dass die automatische Bestellbestätigung keine Annahme darstellt.
Justinian
17.4.2023, 09:26:12
Aber ist das Angebot auf der Website dann überhaupt eine Invitatio, wenn V ohnehin jedes „Angebot“ annimmt? Immerhin ist das Argument bei der Invitatio ja, dass V sich einen Vertragsschluss vorenthalten will, aufgrund des Risikos zu viele Verträge schließen zu müssen und dann Schadensersatzpflichtig zu werden.
silasowicz
7.8.2023, 12:42:26
Das würde mich auch interessieren, im Zweifel kann man bei körperlichen Gegenständen ja auf die begrenzte Anzahl verweisen, aber wie sieht es bei digitalen Produkten aus, die potenziell unbegrenzt verfügbar sind (z.B. Downloads oder Softwarelizenzen)? Wäre ja auch recht interessant im Hinblick auf die kürzlichen Neuerungen zu Kaufverträgen über digitale Produkte...
Seriouz0G
17.4.2023, 22:17:33
Das Problem des sich von der
invitatio ad offerendumfortwirkenden Irrtums ist mir bekannt. Allerdings stelle ich mir die Frage, ob man vorliegend auch von einem Inhaltsirrtum ausgehen könnte? Mit der Argumentation, dass V zwar das erklärt, was er erklären will, sich aber über die rechtliche Bedeutung seiner (Annahme)Erklärung irrt. Und zwar dahingehend, dass er glaubt, seine Annahmeerklärung bezöge sich auf den ursprünglich gewollten Preis, wohingegen er unbewusst das Angebot zum fehlerhaften Kaufpreis annimmt. Zwar ist er in jedem Fall - egal, ob Erklärungs - oder Inhaltsirrtum - nach § 119 zur Anfechtung berechtigt, so dass eine genaue Einordnung ja de facto obsolet wäre. Trotzdem wäre es interessant zu wissen, ob dies ebenfalls vertretbar ist.
Dogu
29.5.2023, 16:41:40
Naja V hat ja bei der Abgabe der Annahme überhaupt nicht gedacht. Es war ein automatischer Prozess. Insofern finde ich es nachvollziehbarer, auf das Fortwirken des Irrtums bei der Speicherung des Preises abzustellen. Ansonsten würdest Du ja auf die Programmierung der automatischen Bestätigung abstellen. Zu dieser steht aber nichts im Sachverhalt.
cann1311
20.11.2023, 12:52:36
Lief bei mir in der kleinen Übung im zweiten Semester.. unglaublich was man hier alles wiederfindet
Lea
11.12.2023, 12:23:41
Wieso stellt eine automatische Versandbestätigung eine Annahmeerklärung dar, eine Buchungsbestätigung bei einem Flug (wie in dem Fall mit der Buchung unter Mr. Unbekannt) aber noch nicht? Ich verstehe da nicht ganz, wo der Unterschied zwischen den Erklärungen liegt.
Paulah
11.12.2023, 13:48:06
Bei dem Flug für Mr. Unbekannt war ja schon das Angebot oberfaul. Es wurde trotz des Hinweises, dass es nicht möglich ist, für eine unbekannte Person zu buchen, abgegeben. Die Begründung, warum die Buchungsbestätigung keine wirksame Annahme ist, lautet dort: Auch bei einem automatisierten Buchungssystem ist für die Auslegung der Willenserklärung das Verständnis eines menschlichen Adressaten maßgeblich und ein solcher hätte erkannt, dass für einen unbekannten Passagier gebucht werden soll. Wäre in dem Flug-Fall die Buchung für eine konkrete Person erfolgt, wäre die Buchungsbestätigung auch eine wirksame Annahme gewesen.
Lea
11.12.2023, 15:42:25
Okay danke :)
Rechthaber
27.4.2024, 11:41:21
Muss man nicht noch ansprechen, ob in der automatischen Versandbestätigung überhaupt eine Willenserklärung liegen kann, wegen Fehlen des
Handlungswillens, da im maßgeblichen Zeitpunkt der "automatisierten Annahmeerklärung" die Erklärung ja ohne menschliches Zutun und somit kein vom menschlichen Willen beherrschbares Verhalten darstellt. Ich hätte auf eine vorweggenommene Willenserklärung iSe antizipierten Willenserklärung mit Gestaltung des Programms und damit Einpreisen des Preises abgestellt, bei dem der Erklärungsirrtum ja durchaus berücksichtigt werden kann. Wird ja auch ähnlich im Strafrecht beim Urkundsbegriff gehandhabt, bei der Frage ob ein Parkticket eine Urkunde sein kann, weil im Zeitpunkt des Ausstellers keine menschliche
verkörperte Gedankenerklärungvorliegt aber auch hier eine antizipierte Gedankenerklärung durch Programmierung des Ticketautomaten konstruiert wird. Würde mich auf eine Antwort freuen, vielen Dank im Voraus. Liebe Grüße Marcel
Pilea
30.4.2024, 08:51:08
Finde ich auch eine interessante Frage. Soweit ich weiß, wird sowohl bei Willenserklärungen, die zuvor durch manuelle Dateneingabe von einem Computer erzeugt werden, als auch bei durch Software erzeugte und übermittelte Willenserklärungen, die Willenserklärung angenommen. Dadurch, dass vom Menschen eingespeiste Daten verarbeitet werden bzw. ein menschengemachtes Programm ausgespielt wird, kann nach hM die Erklärung dem betreffenden Menschen zugerechnet werden.
QuiGonTim
23.10.2024, 14:26:56
Liegt nicht eher ein Inhaltsirrtum vor? V wollte gerade das erklären, was mit der Versandbestätigung ausgedrückt werden sollte (Ich nehme dein Angebot an.). Die Fehlvorstellung bezieht sich vorliegend auf den Bedeutungsgehalt der Erklärung (Höhe des angetragenen Kaufpreises), also den Inhalt.
Tobias Krapp
24.10.2024, 16:09:07
Hallo @[QuiGonTim](133054), das ist hier wirklich etwas knifflig. Grundsätzlich ist es auch beim Erklärungsirrtum so, dass das Geäußerte nicht dem Gewollten entspricht. Es bestehen lediglich unterschiedliche Bezugspunkte: Beim Erklärungsirrtum ist der Bezugspunkt die äußere (technische) Erklärungshandlung, beim Inhaltsirrtum der Erklärungsinhalt. Der V hat hier der Versandbestätigung dem Inhalt beigemessen, dass er dachte, sie bedeute eine Annahme zu dem Preis, zu dem er den Laptop eingestellt hatte. Und genauso war es auch. Dass dieser Preis nicht dem Gewollten entsprach, war nur Resultat dessen, dass er sich beim Einstellen vertippt hat, also die äußere Erklärungshandlung nicht dem Gewollten entsprach. Dieser Fehler bezog sich zwar nur auf die invitatio, setzte sich dann aber bei der Annahme fort. Er wollte die Annahme also in der äußeren Gestalt so nicht abgeben. Insoweit ist es nicht nur relevant, dass er äußerlich ausdrücken wollte, wie du sagst "Ich nehme dein Angebot an", sondern dass er sagen wollte "Ich nehme dein Angebot zu Preis x an". Wenn er "x" in der äußeren Form so nicht sagen wollte, ist das ein Erklärungsirrtum, und so ist es hier. Ein Inhaltsirrtum wäre das nur, wenn er zwar x sagen wollte, aber der Meinung war, das heißt y (zB wenn ich aufgrund mangelnder Englischkenntnisse denke, "one hundred" heißt 1000). Ich hoffe, das hat weitergeholfen! Viele Grüße - für das Jurafuchsteam - Tobias