Anfechtung der automatischen WE bei Irrtum in der Invitatio


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K bestellt im Onlineshop des V einen Laptop für €245 und erhält eine automatische Versandbestätigung. V erklärt die Anfechtung, weil er sich beim Einstellen des Preises in seinem Shop-Backend vertippt habe. Der Preis sollte eigentlich €2.650 betragen.

Einordnung des Falls

Anfechtung der automatischen WE bei Irrtum in der Invitatio

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V hat mit Einstellen des Laptops für €245 ein verbindliches Angebot „ad incertas personas“ abgegeben.

Nein!

Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die der Vertragsschluss einem anderen so angetragen wird, dass das Zustandekommen des Vertrags nur von dessen Einverständnis abhängt. Würde V sich durch das Einstellen des Laptops bereits rechtlich binden wollen, könnte eine unbegrenzte Zahl an Personen, durch Annahmen Vertragsschlüsse zustande bringen. V würde Gefahr laufen, Verträge zu schließen, die er nicht erfüllen kann, weil er nur begrenzt über Laptops verfügt. Mangels Rechtsbindungswillen liegt daher eine bloße Aufforderung zur Abgabe eines Angebots („invitatio ad offerendum“) vor.

2. K hat durch die Bestellung ein Angebot (§ 145 BGB) abgegeben, den Laptop für €245 zu kaufen.

Genau, so ist das!

Ein Angebot ist eine empfangsbedürftige Willenserklärung, durch die einem anderen der Vertragsschluss so angetragen wird, dass er es mit einem bloßen „Ja“ annehmen kann. In der Bestellung des K auf der Internetseite des V liegt ein solches Angebot.

3. V hat das Angebot des K durch die automatische Auftrags- und Lieferbestätigungs-E-Mail angenommen (§ 147 BGB).

Ja, in der Tat!

Die Annahme (§ 147 BGB) ist eine grundsätzlich empfangsbedürftige Willenserklärung, die auf die Herbeiführung eines Vertragsschlusses gerichtet ist. Sie kann ausdrücklich erklärt werden oder durch schlüssiges Verhalten (konkludent) erfolgen. Das gilt jedenfalls für solche konkludenten Handlungen, in denen der Annahmewille aus der Sicht des Antragenden „aktiv“ zum Ausdruck kommt. Aus Sicht eines objektiven Betrachters, in Anbetracht der Verkehrsanschauung (§§ 133, 157 BGB), stellt sich die automatische E-Mail als Annahme des Angebots dar. Der Text (Bestellung werde versandt) bringt zum Ausdruck, dass V sich binden möchte. Es handelt sich nicht um eine bloße Bestellzugangsbestätigung (§ 312i Abs. 1 Nr. 3 BGB).

4. V kann das Einstellen des Laptops anfechten, weil er sich vertippt hat (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs.1 Alt. 2 BGB).

Nein!

Zwar vertippte sich V bei Einspeisung des Preises auf der Website und unterlag dahingehend einem Erklärungsirrtum (§ 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Die Angebotseinstellung ist jedoch lediglich invitatio ad offerendum und damit keine anfechtbare Willenserklärung. Anfechtungsgegenstand kann damit nur die automatisch generierte Erklärung (Bestätigungs-E-Mail) sein. Ein bei Abgabe der Invitatio vorliegender Erklärungsirrtum kann jedoch auf die zum Vertragsschluss führende Erklärung fortwirken, wenn diese in der Erwartung richtiger Einpreisung erstellt wird.

5. V kann seine Annahmeerklärung wegen Erklärungsirrtums anfechten (§§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 Alt. 2 BGB).

Genau, so ist das!

V kann die automatisch generierte Annahmeerklärung wegen Erklärungsirrtums anfechten. Er vertippte sich bei der Einspeisung des Preises. Der insofern beim Einstellen des Laptops vorliegende Erklärungsirrtum wirkte bei der Annahmeerklärung fort, da diese unmittelbar und automatisch in der Erwartung richtiger Einpreisung erstellt wird. Damit unterlag V einem Erklärungsirrtum, der auch ursächlich für die Abgabe der Willenserklärung war.

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IUS

iustus

5.11.2020, 00:11:10

Ich meine mal gelesen zu haben, dass eine bloße Bestellbestätigung keine Annahmeerklärung ist. Irre ich mich da?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

5.11.2020, 16:23:53

Hallo iustus, kann es sein, dass du die automatische Bestellzugangsbestätigung ("Wir haben ihren Auftrag erhalten") meinst? Eine solche stellt grds. nur eine Bestätigung des Eingangs des Angebots des Bestellers dar (vgl. § 312i Abs. 1 Nr. 3 BGB und unsere 3. Antwort). Hier erfolgt aber eine Versandbestätigung, das heißt der Verkäufer bestätigt, dass er die Ware für den Versand vorbereitet hat und versendet. Darin liegt konkludent die Annahme (§

147 BGB

) des Angebots des Käufers.

Alexander2

Alexander2

2.5.2022, 23:46:57

Deshalb achten viele Versandhändler darauf, keine „Auftragsbestätigung“ o. Ä. ohne Prüfung zu versenden und eben explizit zu schreiben dass die automatische Bestellbestätigung keine Annahme darstellt.

Justinian

Justinian

17.4.2023, 09:26:12

Aber ist das Angebot auf der Website dann überhaupt eine Invitatio, wenn V ohnehin jedes „Angebot“ annimmt? Immerhin ist das Argument bei der Invitatio ja, dass V sich einen Vertragsschluss vorenthalten will, aufgrund des Risikos zu viele Verträge schließen zu müssen und dann Schadensersatzpflichtig zu werden.

SI

silasowicz

7.8.2023, 12:42:26

Das würde mich auch interessieren, im Zweifel kann man bei körperlichen Gegenständen ja auf die begrenzte Anzahl verweisen, aber wie sieht es bei digitalen Produkten aus, die potenziell unbegrenzt verfügbar sind (z.B. Downloads oder Softwarelizenzen)? Wäre ja auch recht interessant im Hinblick auf die kürzlichen Neuerungen zu Kaufverträgen über digitale Produkte...

SER

Seriouz0G

17.4.2023, 22:17:33

Das Problem des sich von der invitatio ad offerendum fortwirkenden Irrtums ist mir bekannt. Allerdings stelle ich mir die Frage, ob man vorliegend auch von einem Inhaltsirrtum ausgehen könnte? Mit der Argumentation, dass V zwar das erklärt, was er erklären will, sich aber über die rechtliche Bedeutung seiner (Annahme)Erklärung irrt. Und zwar dahingehend, dass er glaubt, seine Annahmeerklärung bezöge sich auf den ursprünglich gewollten Preis, wohingegen er unbewusst das Angebot zum fehlerhaften Kaufpreis annimmt. Zwar ist er in jedem Fall - egal, ob Erklärungs - oder Inhaltsirrtum - nach § 119 zur Anfechtung berechtigt, so dass eine genaue Einordnung ja de facto obsolet wäre. Trotzdem wäre es interessant zu wissen, ob dies ebenfalls vertretbar ist.

Dogu

Dogu

29.5.2023, 16:41:40

Naja V hat ja bei der Abgabe der Annahme überhaupt nicht gedacht. Es war ein automatischer Prozess. Insofern finde ich es nachvollziehbarer, auf das Fortwirken des Irrtums bei der Speicherung des Preises abzustellen. Ansonsten würdest Du ja auf die Programmierung der automatischen Bestätigung abstellen. Zu dieser steht aber nichts im Sachverhalt.

CAN

cann1311

20.11.2023, 12:52:36

Lief bei mir in der kleinen Übung im zweiten Semester.. unglaublich was man hier alles wiederfindet

LEA

Lea

11.12.2023, 12:23:41

Wieso stellt eine automatische Versandbestätigung eine Annahmeerklärung dar, eine Buchungsbestätigung bei einem Flug (wie in dem Fall mit der Buchung unter Mr. Unbekannt) aber noch nicht? Ich verstehe da nicht ganz, wo der Unterschied zwischen den Erklärungen liegt.

Paulah

Paulah

11.12.2023, 13:48:06

Bei dem Flug für Mr. Unbekannt war ja schon das Angebot oberfaul. Es wurde trotz des Hinweises, dass es nicht möglich ist, für eine unbekannte Person zu buchen, abgegeben. Die Begründung, warum die Buchungsbestätigung keine wirksame Annahme ist, lautet dort: Auch bei einem automatisierten Buchungssystem ist für die Auslegung der Willenserklärung das Verständnis eines menschlichen Adressaten maßgeblich und ein solcher hätte erkannt, dass für einen unbekannten Passagier gebucht werden soll. Wäre in dem Flug-Fall die Buchung für eine konkrete Person erfolgt, wäre die Buchungsbestätigung auch eine wirksame Annahme gewesen.

LEA

Lea

11.12.2023, 15:42:25

Okay danke :)

RECH

Rechthaber

27.4.2024, 11:41:21

Muss man nicht noch ansprechen, ob in der automatischen Versandbestätigung überhaupt eine Willenserklärung liegen kann, wegen Fehlen des

Handlungswille

ns, da im maßgeblichen Zeitpunkt der "automatisierten Annahmeerklärung" die Erklärung ja ohne menschliches Zutun und somit kein vom menschlichen Willen beherrschbares Verhalten darstellt. Ich hätte auf eine vorweggenommene Willenserklärung iSe antizipierten Willenserklärung mit Gestaltung des Programms und damit Einpreisen des Preises abgestellt, bei dem der Erklärungsirrtum ja durchaus berücksichtigt werden kann. Wird ja auch ähnlich im Strafrecht beim Urkundsbegriff gehandhabt, bei der Frage ob ein Parkticket eine Urkunde sein kann, weil im Zeitpunkt des Ausstellers keine menschliche verkörperte Gedankenerklärung vorliegt aber auch hier eine antizipierte Gedankenerklärung durch Programmierung des Ticketautomaten konstruiert wird. Würde mich auf eine Antwort freuen, vielen Dank im Voraus. Liebe Grüße Marcel

Pilea

Pilea

30.4.2024, 08:51:08

Finde ich auch eine interessante Frage. Soweit ich weiß, wird sowohl bei Willenserklärungen, die zuvor durch manuelle Dateneingabe von einem Computer erzeugt werden, als auch bei durch Software erzeugte und übermittelte Willenserklärungen, die Willenserklärung angenommen. Dadurch, dass vom Menschen eingespeiste Daten verarbeitet werden bzw. ein menschengemachtes Programm ausgespielt wird, kann nach hM die Erklärung dem betreffenden Menschen zugerechnet werden.


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