Auswirkungen auf Übereignung

19. Mai 2025

12 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Kaufhaus-Chefin K nimmt bei Bank B ein Darlehen über €100.000 auf. K und B einigen sich, dass K der B alle gegenwärtig und künftig in ihrem Geschäft befindlichen Waren als Sicherheit übereignet. Der durchschnittliche Wert der Waren im Geschäft beträgt €500.000, was B bewusst ausnutzt.

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Einordnung des Falls

Auswirkungen auf Übereignung

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Der zwischen K und B geschlossene Sicherungsvertrag (§ 311 Abs. 1 BGB) ist aufgrund anfänglicher Übersicherung sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB).

Ja!

Ein Rechtsgeschäft ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt. Dies ist bei anfänglicher Übersicherung der Fall. Eine anfängliche Übersicherung liegt vor, wenn (1) bereits bei Vertragsschluss gewiss ist, dass im Verwertungsfall ein auffälliges Missverhältnis zwischen realisierbarem Wert der Sicherheit und der gesicherten Forderung vorliegen wird (Schätzwert des Sicherungsgegenstandes weit über 150 % der zu sichernden Forderung) und dies (2) auf einer verwerflichen Gesinnung des Sicherungsnehmers beruht. Ein solches Missverhältnis ist gegeben (Sicherung liegt 500 % über dem Nennwert der zu sichernden Forderung). Zudem lässt die B die Interessen der K leichtfertig unberücksichtigt.
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2. Da die Sicherungsübereignung als Verfügungsgeschäft grundsätzlich sittlich neutral ist, ist sie trotz anfänglicher Übersicherung nicht sittenwidrig und unwirksam.

Nein, das ist nicht der Fall!

Zwar ist das Verfügungsgeschäft in Form der Übereignung grundsätzlich sittlich neutral. Da allerdings vorliegend die Sittenwidrigkeit gerade im Vollzug der Leistung liegt, führt der Verstoß der Sicherungsabrede gegen § 138 Abs. 1 BGB nicht nur zur Nichtigkeit des Verpflichtungsgeschäfts (Sicherungsvertrag), sondern auch zur Nichtigkeit der Verfügung.Beachte: Wenn der nichtige Sicherungsvertrag zugleich die Vereinbarung des Besitzkonstituts enthält, fehlt bereits ein Tatbestandsmerkmal für die Sicherungsübereignung. Dann ist sie schon deshalb unwirksam.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

DAN

Daniel

10.10.2022, 13:37:25

Könnt ihr den Vertiefungshinweis noch Mal erläutern? Irgendwie stehe ich da auf dem Schlauch

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.1.2023, 14:38:09

Sehr gerne Daniel! Der Vertiefungshinweis sollte darauf aufmerksam machen, dass ggfs. eine Inzidentprüfung notwendig ist. Die

Sicherungsübereignung

richtet sich nach §§ 929 S.1,

930 BGB

. Statt einer Übergabe bedarf es hier eines Besitzmittlungskonstitutes, also eines "

Rechtsverhältnis

ses, vermöge dessen der Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt". Ein solches liegt vor, wenn der Veräußerer die Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnis besitzt, vermöge dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist (§ 868 BGB). Ein ähnliches

Rechtsverhältnis

stellt hier die

Sicherungsabrede

dar, dass der Sicherungsgeber (K) bis zur Tilgung des Darlehens die Sachen weiter besitzen darf. Wird diese Abrede nun innerhalb des

Sicherungsvertrag

s getroffen, so ist sie im Falle der

Übersicherung

bereits zusammen mit den

schuld

rechtlichen Vereinbarungen nichtig und es liegt schon kein Besitzmittlungskonstitut vor. Damit fehlt es bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen einer

Übereignung

nach §§ 929 S. 1,

930 BGB

. Es muss dann also nicht gesondert geprüft werden, ob eine an sich wirksame

Übereignung

ausnahmsweise wegen § 138 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Ich hoffe, es ist nun etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ajboby90

ajboby90

5.12.2023, 13:26:34

Moment mal - Achtung! Das

Besitzmittlungsverhältnis

braucht im Rahmen einer 930

Übereignung

grade NICHT rechtswirksam zu sein. Entscheidend ist nur, dass irgendein Herausgabeanspruch des Erwerbers besteht (z.B. §§ 812, 985, GoA) und der unmittelbare Besitzer durch dessen Anerkennung Besitzmittlungswillen hat. BGH NJW 1955, 499. Es scheitert hier also nicht schon an der

Übereignung

.

CR7

CR7

14.1.2024, 19:10:46

Ich würde hier @[ajboby90](222400) zustimmen und bitte um Überprüfung!!

Juraddicted

Juraddicted

16.1.2025, 14:54:58

Gibt es hier ein Update :)?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

22.4.2025, 13:43:48

Hallo @[ajboby90](222400), @[CR7](145419) und @[Juraddicted](96780), Ihr habt Recht damit, dass das

Rechtsverhältnis

nicht wirksam sein muss. Dennoch ist die Frage im vorliegenden Fall umstritten. Eine wohl überwiegende Meinung in der Literatur sieht die Voraussetzungen der

Übereignung

hier nicht als erfüllt an. Dies wird damit begründet, dass zwar ein dem

Besitzmittlungsverhältnis

zugrundeliegendes

Rechtsverhältnis

nicht

erforderlich

ist, allerdings ein Herausgabeanspruch nach herrschender Meinung Voraussetzung ist und dieser mangels des

Sicherungsvertrag

s nicht vorliegt. Insbesondere kann ein Herausgabeanspruch auch nicht mit § 985 BGB begründet werden, da ein solcher ja gerade erst durch die

Übereignung

entstehen würde und somit nicht bereits auf Seite der Voraussetzungen vorliegen kann. Die Gegenansicht geht davon aus, dass die tatsächliche Anerkennung eines Herausgabeanspruchs beziehungsweise die tatsächliche Herausgabebereitschaft des

Besitzmittler

s ausreichend ist und die

Übereignung

daher wirksam sein kann. Schön dargestellt sind die Ansichten bei BeckOK BGB/Fritzsche, 73. Ed. 1.2.2025, BGB § 868 Rn. 16-17. Für beide Ansichten finden sich Argumente in BGH-Urteilen. So sagte er früher explizit, dass ein wirksamer Herausgabeanspruch bestehen muss, BGH NJW 1953, 1506. Neuerdings stellt er im Wortlaut eher auf die "Anerkennung eines Herausgabeanspruchs" ab, BGH NJW 2016, Rn. 23. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall und der

Sicherungsübereignung

hat sich der BGH nicht ausdrücklich positioniert, sondern vielmehr nur die Unwirksamkeit der

Übereignung

aufgrund von §

138 BGB

angenommen, ohne auf die Voraussetzungen von

§ 930 BGB

einzugehen. Ein echtes Richtig oder Falsch wird es daher nicht geben, ich halte beides für gut vertretbar. Wichtig ist nur, zu erkennen, dass das Problem vorliegend nicht das Bestehen des

Rechtsverhältnis

ses ist (dieses ist nach ganz hM nicht

erforderlich

), sondern eben das Bestehen des Herausgabeanspruchs. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

iPhone von Jannik

iPhone von Jannik

9.5.2025, 17:29:35

Besteht nicht ein Herausgabeanspruch aus 812 I 1 Alt. 1 BGB?

IS

IsiRider

20.11.2022, 20:23:30

Liegt hier

Fehleridentität

vor?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

22.11.2022, 13:38:04

Hallo IsiRider, in der Tat liegt hier ein Fall der

Fehleridentität

vor, da das Geschäft sowohl auf Verpflichtungs- als auch auf Verfügungsebene aus demselben Grund nichtig ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MenschlicherBriefkasten

MenschlicherBriefkasten

10.4.2025, 17:45:53

In der Falllösung ist zu lesen, dass hier eine

verwerflich

e Gesinnung vorliegen muss für die Bejahung der Sittenwidrigkeit. Im Jurafuchs-Schema zu §

138 BGB

steht wiederum, das eine solche Gesinnung

erforderlich

sei: "Eine

verwerflich

e Gesinnung ist nicht

erforderlich

. Den Parteien muss die Sittenwidrigkeit als solche nicht bewusst gewesen sein. Ausreichend ist grundsätzlich die Kenntnis oder die grobfahrlässige Unkenntnis derjenigen Umstände, die zur Bewertung der Sittenwidrigkeit führen." (https://wissen.jurafuchs.de/schema/jqmw2op/sittenwidrigkeit-%C2%A7-138-bgb) Was ist denn nun richtig?

Tim Gottschalk

Tim Gottschalk

22.4.2025, 14:16:50

Hallo @[MenschlicherBriefkasten](151200), das liegt daran, dass vorliegend ein wucherähnliches Geschäft in Form der anfänglichen

Übersicherung

vorliegt. Für diese verlangt der BGH, anders als für § 138 Abs. 1 BGB allgemein, dass eine

verwerflich

e Gesinnung vorliegen muss. Begründet wird dies mit der Nähe zu § 138 Abs. 2 BGB, der ja auch explizit mit "unter Ausbeutung" ein verstärktes subjektives Element voraussetzt. In diesem Zusammenhang spricht der BGH regelmäßig von der

verwerflich

en Gesinnung, ist dabei jedoch selbst etwas widersprüchlich. Teilweise sagt der BGH, dass die

verwerflich

e Gesinnung Voraussetzung für das wucherähnliche Geschäft wäre (NJW 2010, 363 Rn. 6), teilweise, dass die Sittenwidrigkeit insbesondere bei

verwerflich

er Gesinnung vorliegt, was ja schon so klingt, als ob auch daneben noch Raum ohne

verwerflich

e Gesinnung für die Sittenwidrigkeit wäre. Im Ergebnis werden die Unterschiede gering sein, da einerseits die

verwerflich

e Gesinnung aufgrund des objektiven Missverhältnisses vermutet wird und andererseits das bewusste Ausnutzen ausreicht. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team


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