Auswirkungen auf Übereignung
19. Mai 2025
12 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Kaufhaus-Chefin K nimmt bei Bank B ein Darlehen über €100.000 auf. K und B einigen sich, dass K der B alle gegenwärtig und künftig in ihrem Geschäft befindlichen Waren als Sicherheit übereignet. Der durchschnittliche Wert der Waren im Geschäft beträgt €500.000, was B bewusst ausnutzt.
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Einordnung des Falls
Auswirkungen auf Übereignung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Der zwischen K und B geschlossene Sicherungsvertrag (§ 311 Abs. 1 BGB) ist aufgrund anfänglicher Übersicherung sittenwidrig (§ 138 Abs. 1 BGB).
Ja!
Jurastudium und Referendariat.
2. Da die Sicherungsübereignung als Verfügungsgeschäft grundsätzlich sittlich neutral ist, ist sie trotz anfänglicher Übersicherung nicht sittenwidrig und unwirksam.
Nein, das ist nicht der Fall!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Daniel
10.10.2022, 13:37:25
Könnt ihr den Vertiefungshinweis noch Mal erläutern? Irgendwie stehe ich da auf dem Schlauch

Lukas_Mengestu
3.1.2023, 14:38:09
Sehr gerne Daniel! Der Vertiefungshinweis sollte darauf aufmerksam machen, dass ggfs. eine Inzidentprüfung notwendig ist. Die
Sicherungsübereignungrichtet sich nach §§ 929 S.1,
930 BGB. Statt einer Übergabe bedarf es hier eines Besitzmittlungskonstitutes, also eines "
Rechtsverhältnisses, vermöge dessen der Erwerber den mittelbaren Besitz erlangt". Ein solches liegt vor, wenn der Veräußerer die Sache als Nießbraucher, Pfandgläubiger, Pächter, Mieter, Verwahrer oder in einem ähnlichen Verhältnis besitzt, vermöge dessen er einem anderen gegenüber auf Zeit zum Besitz berechtigt oder verpflichtet ist (§ 868 BGB). Ein ähnliches
Rechtsverhältnisstellt hier die
Sicherungsabrededar, dass der Sicherungsgeber (K) bis zur Tilgung des Darlehens die Sachen weiter besitzen darf. Wird diese Abrede nun innerhalb des
Sicherungsvertrags getroffen, so ist sie im Falle der
Übersicherungbereits zusammen mit den
schuldrechtlichen Vereinbarungen nichtig und es liegt schon kein Besitzmittlungskonstitut vor. Damit fehlt es bereits an den Tatbestandsvoraussetzungen einer
Übereignungnach §§ 929 S. 1,
930 BGB. Es muss dann also nicht gesondert geprüft werden, ob eine an sich wirksame
Übereignungausnahmsweise wegen § 138 Abs. 1 BGB unwirksam ist. Ich hoffe, es ist nun etwas klarer geworden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ajboby90
5.12.2023, 13:26:34
Moment mal - Achtung! Das
Besitzmittlungsverhältnisbraucht im Rahmen einer 930
Übereignunggrade NICHT rechtswirksam zu sein. Entscheidend ist nur, dass irgendein Herausgabeanspruch des Erwerbers besteht (z.B. §§ 812, 985, GoA) und der unmittelbare Besitzer durch dessen Anerkennung Besitzmittlungswillen hat. BGH NJW 1955, 499. Es scheitert hier also nicht schon an der
Übereignung.

CR7
14.1.2024, 19:10:46
Ich würde hier @[ajboby90](222400) zustimmen und bitte um Überprüfung!!

Juraddicted
16.1.2025, 14:54:58
Gibt es hier ein Update :)?

Tim Gottschalk
22.4.2025, 13:43:48
Hallo @[ajboby90](222400), @[CR7](145419) und @[Juraddicted](96780), Ihr habt Recht damit, dass das
Rechtsverhältnisnicht wirksam sein muss. Dennoch ist die Frage im vorliegenden Fall umstritten. Eine wohl überwiegende Meinung in der Literatur sieht die Voraussetzungen der
Übereignunghier nicht als erfüllt an. Dies wird damit begründet, dass zwar ein dem
Besitzmittlungsverhältniszugrundeliegendes
Rechtsverhältnisnicht
erforderlichist, allerdings ein Herausgabeanspruch nach herrschender Meinung Voraussetzung ist und dieser mangels des
Sicherungsvertrags nicht vorliegt. Insbesondere kann ein Herausgabeanspruch auch nicht mit § 985 BGB begründet werden, da ein solcher ja gerade erst durch die
Übereignungentstehen würde und somit nicht bereits auf Seite der Voraussetzungen vorliegen kann. Die Gegenansicht geht davon aus, dass die tatsächliche Anerkennung eines Herausgabeanspruchs beziehungsweise die tatsächliche Herausgabebereitschaft des
Besitzmittlers ausreichend ist und die
Übereignungdaher wirksam sein kann. Schön dargestellt sind die Ansichten bei BeckOK BGB/Fritzsche, 73. Ed. 1.2.2025, BGB § 868 Rn. 16-17. Für beide Ansichten finden sich Argumente in BGH-Urteilen. So sagte er früher explizit, dass ein wirksamer Herausgabeanspruch bestehen muss, BGH NJW 1953, 1506. Neuerdings stellt er im Wortlaut eher auf die "Anerkennung eines Herausgabeanspruchs" ab, BGH NJW 2016, Rn. 23. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Fall und der
Sicherungsübereignunghat sich der BGH nicht ausdrücklich positioniert, sondern vielmehr nur die Unwirksamkeit der
Übereignungaufgrund von §
138 BGBangenommen, ohne auf die Voraussetzungen von
§ 930 BGBeinzugehen. Ein echtes Richtig oder Falsch wird es daher nicht geben, ich halte beides für gut vertretbar. Wichtig ist nur, zu erkennen, dass das Problem vorliegend nicht das Bestehen des
Rechtsverhältnisses ist (dieses ist nach ganz hM nicht
erforderlich), sondern eben das Bestehen des Herausgabeanspruchs. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team

iPhone von Jannik
9.5.2025, 17:29:35
Besteht nicht ein Herausgabeanspruch aus 812 I 1 Alt. 1 BGB?
IsiRider
20.11.2022, 20:23:30

Lukas_Mengestu
22.11.2022, 13:38:04
Hallo IsiRider, in der Tat liegt hier ein Fall der
Fehleridentitätvor, da das Geschäft sowohl auf Verpflichtungs- als auch auf Verfügungsebene aus demselben Grund nichtig ist. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

MenschlicherBriefkasten
10.4.2025, 17:45:53
In der Falllösung ist zu lesen, dass hier eine
verwerfliche Gesinnung vorliegen muss für die Bejahung der Sittenwidrigkeit. Im Jurafuchs-Schema zu §
138 BGBsteht wiederum, das eine solche Gesinnung
erforderlichsei: "Eine
verwerfliche Gesinnung ist nicht
erforderlich. Den Parteien muss die Sittenwidrigkeit als solche nicht bewusst gewesen sein. Ausreichend ist grundsätzlich die Kenntnis oder die grobfahrlässige Unkenntnis derjenigen Umstände, die zur Bewertung der Sittenwidrigkeit führen." (https://wissen.jurafuchs.de/schema/jqmw2op/sittenwidrigkeit-%C2%A7-138-bgb) Was ist denn nun richtig?

Tim Gottschalk
22.4.2025, 14:16:50
Hallo @[MenschlicherBriefkasten](151200), das liegt daran, dass vorliegend ein wucherähnliches Geschäft in Form der anfänglichen
Übersicherungvorliegt. Für diese verlangt der BGH, anders als für § 138 Abs. 1 BGB allgemein, dass eine
verwerfliche Gesinnung vorliegen muss. Begründet wird dies mit der Nähe zu § 138 Abs. 2 BGB, der ja auch explizit mit "unter Ausbeutung" ein verstärktes subjektives Element voraussetzt. In diesem Zusammenhang spricht der BGH regelmäßig von der
verwerflichen Gesinnung, ist dabei jedoch selbst etwas widersprüchlich. Teilweise sagt der BGH, dass die
verwerfliche Gesinnung Voraussetzung für das wucherähnliche Geschäft wäre (NJW 2010, 363 Rn. 6), teilweise, dass die Sittenwidrigkeit insbesondere bei
verwerflicher Gesinnung vorliegt, was ja schon so klingt, als ob auch daneben noch Raum ohne
verwerfliche Gesinnung für die Sittenwidrigkeit wäre. Im Ergebnis werden die Unterschiede gering sein, da einerseits die
verwerfliche Gesinnung aufgrund des objektiven Missverhältnisses vermutet wird und andererseits das bewusste Ausnutzen ausreicht. Liebe Grüße Tim - für das Jurafuchs-Team