Haar- und Barterlass der Bundeswehr – verfassungsgemäße Grundlage


+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Nach dem Haar- und Barterlass der Bundeswehr muss das Haar männlicher Soldaten am Kopf anliegen oder so kurz sein, dass Ohren und Augen nicht bedeckt werden. Es darf Uniform- und Hemdkragen nicht berühren. Dies soll einem einheitlichen Auftreten dienen. Soldat S sieht seine Grundrechte verletzt.

Einordnung des Falls

Haar- und Barterlass der Bundeswehr – verfassungsgemäße Grundlage

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Soldaten können sich auf Grundrechte berufen.

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Ja!

Für sog. Sonderstatusverhältnisse war die Geltung der Grundrechte historisch begrenzt oder gar ausgeschlossen (Schüler (Art. 7 GG), Soldaten/Zivildienstleistende (Art. 12a, 17a GG), Beamte/Richter (Art. 33 V GG), Strafgefangene). Seit der Strafgefangenenentscheidung des BVerfG ist anerkannt, dass die Grundrechte auch in diesen Verhältnissen uneingeschränkt gelten.Soldaten können sich damit auch auf Grundrechte berufen.

2. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG schützt die körperliche Unversehrtheit des Grundrechtsträgers.

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Genau, so ist das!

Der sachliche Schutzbereich des Grundrechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG) schützt die körperliche Integrität im biologisch-physiologischen Sinn. Darunter wird zunächst zweifellos die körperliche Gesundheit verstanden. Auch die psychische Gesundheit ist erfasst. Das Recht auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG) hängt eng mit dem Recht auf Leben (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 1 GG) zusammen.

3. Ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit liegt nur dann vor, wenn dem Grundrechtsträger Schmerzen zugefügt werden.

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Nein, das trifft nicht zu!

Eingriffe in Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG liegen nach h.M. nicht nur vor, wenn Schmerzen zugefügt oder empfunden werden. Auch sonstige Schädigungen oder Gefährdungen der Gesundheit können einen Eingriff in die körperliche Unversehrtheit darstellen, wenn sie sich als üble unangemessene Behandlung von nicht unbeträchtlichem Gewicht darstellen. Eine Gesundheitsgefährdung stellt zumindest dann einen Eingriff dar, wenn eine Verletzung der körperlichen Unversehrtheit ernsthaft zu befürchten ist.

4. Der Haar- und Barterlass greift in das Grundrecht des S auf körperliche Unversehrtheit ein.

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Nein!

Nach h.M. muss ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit entweder mit einer Zufügung von Schmerzen oder einer Gesundheitsbeschädigung verbunden sein oder sich als üble unangemessene Behandlung von nicht unbeträchtlichem Gewicht darstellen.Eine solche Behandlung kann in dem geforderten Kürzen der Kopfhaare nur liegen, wenn dies zu einer Entstellung oder Verunstaltung führt. Derartigen Folgen ergeben sich aus dem Haar- und Barterlass jedenfalls nicht ohne Weiteres. Ein Eingriff in das Recht auf körperliche Unversehrtheit des S liegt folglich nicht vor (RdNr. 44).

5. Der Haar- und Barterlass greift in das Persönlichkeitsrecht des S ein.

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Genau, so ist das!

Die Vorschriften beschränken das Recht des S, über sein äußeres Erscheinungsbild auch im Dienst eigenverantwortlich zu entscheiden. Ein Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des S aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG liegt hier vor (RdNr. 43).

6. Der durch die Vorgaben des Haar- und Barterlasses begründete Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des S ist gerechtfertigt.

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Ja, in der Tat!

BVerwG: Der Haar- und Barterlass sei auf verfassungsgemäßer Grundlage (§ 4 Abs. 3 Soldatengesetz) erlassen worden. Er diene einem legitimen Ziel (einheitliches äußeres Erscheinungsbild der deutschen Streitkräfte im In- und Ausland) für das es keine milderen Mittel gäbe. Da keine „Einheitsfrisur“ verordnet, sondern lediglich äußere Grenzen gesetzt werden, innerhalb derer individuelle Gestaltungen und „modische Frisuren“ ausdrücklich erlaubt sind, ist der Haar- und Barterlass auch angemessen (RdNr. 62). Im Anschluss an eine neuere Entscheidung des BVerwG (Besohl. v. 31.01.2019 -BVerwG 1 WB 28.17), wo die fehlende Bestimmtheit des § 4 Abs. 3 SG a.F. bemängelt worden war, hat der Gesetzgeber die Regelung durch § 4 Abs. 4 SG konkretisiert.

7. Betrifft der Haar- und Barterlass den Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG)?

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Ja!

Die körperliche Unversehrtheit umfasst die körperliche Integrität im biologisch-physiologischen Sinn. Hierzu zählen auch die Haare, die zum menschlichen Körper gehören. Der Haar- und Barterlass schreibt vor, wie das Haar zu tragen ist. Der sachliche Schutzbereich des Rechts auf körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 S. 1 Alt. 2 GG) ist eröffnet.

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JonasF

JonasF

30.1.2020, 20:19:58

Das dürfte nach der neuen Entscheidung so nicht mehr ganz zutreffend sein. Vielmehr heißt es in der Pressemitteilung 10/2019 vom 31.01.2019: „Eine solche ausreichende gesetzliche Grundlage enthält – wie der 1. Wehrdienstsenat nunmehr festgestellt hat - § 4 Abs. 3 Satz 2 SG nicht. Die Norm ermächtigt jedenfalls in der seit 2017 geltenden Fassung nur zu Bestimmungen über die Uniform und die Kleidungsstücke, die mit der Uniform getragen werden. Weder dem Wortlaut der Norm noch den Gesetzgebungsmaterialien ist eindeutig zu entnehmen, dass der Erlassgeber im Sachzusammenhang mit der Festlegung einer Kleiderordnung auch zu notwendig in den privaten Lebensbereich hineinwirkenden Regelungen über die Gestaltung von Körperbestandteilen von Soldatinnen und Soldaten ermächtigt wird.“

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

26.10.2021, 11:43:24

Vielen Dank für Deinen Hinweis, Jonas! Aufgrund des von dir genannten neueren Beschlusses des BVerwG hat der Gesetzgeber reagiert und mit Wirkung vom 7.Juli 2021 den § 4 Abs. 4 Soldatengesetz eingefügt. Hier wird nun explizit auf Haar- und Barttracht, aber auc religiöse bzw. weltanschauliche Motive oder Tätowierungen abgestellt, sodass es nun wieder eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage gibt. Wir haben das auch noch als Vertiefungshinweis aufgenommen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Juramaus

Juramaus

18.2.2022, 13:12:52

Hätte einen kurzen Satz zum Zwecke des Haarerlasses begrüßt im Sachverhalt, damit man nicht auf nonexistenter Grundlage entscheiden muss, ob die Maßnahme gerechtfertigt ist!

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

21.2.2022, 19:27:26

Danke für den Hinweis, Juramaus. Den entsprechenden Hinweis haben wir nun ergänzt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JO

jomolino

12.4.2022, 15:38:11

Die letzte Frage ist aber immer noch etwas aus dem nichts heraus zu beantworten. Insgesamt sehr knapp geraten.. :/

JO

jomolino

12.4.2022, 15:40:21

Insbesondere fehlt mir ein Hinweis auf das verfassungsrechtliche Ziel eines einheitlichen Auftretens über die Uniform hinaus. Also in wie fern ist das durch den zum verwechseln gleichen Haarschnitt besser gewährleistet als dadurch das lange Haare nicht offen getragen werden dürfen und nicht ins Gesicht fallen Dürfen, als milderes Mittel?

Rick-energie🦦

Rick-energie🦦

19.12.2022, 21:48:02

Lief heute im StEx Hamburg als VB, wobei nur § 4 Abs. 3 SG abgedruckt war

sunnypi

sunnypi

22.10.2023, 20:27:14

Examenstreffer Hessen Oktober 2023


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