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Käuferanfechtung (§ 119 II) / potentieller Mangel

Käuferanfechtung (§ 119 II) / potentieller Mangel

24. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Klassisches Klausurproblem

Autofan A kauft bei Händler H eine gebrauchte Mercedes-Benz S-Klasse. Bei Vertragsschluss geht A davon aus, dass sie 2009 erstmals zugelassen worden ist, vereinbart wird dies aber nicht. A hat sich aber in der Erstzulassung verlesen: In Wahrheit steht dort nicht 2009, sondern 2003.

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Einordnung des Falls

Käuferanfechtung (§ 119 II) / potentieller Mangel

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Weil A dachte, das Auto sei 2009 gebaut worden, irrte er über eine verkehrswesentliche Eigenschaft (§ 119 Abs. 2 BGB).

Ja, in der Tat!

Der Eigenschaftsirrtum berechtigt zur Anfechtung, wenn der Erklärende über verkehrswesentliche Eigenschaften der Sache irrt. Eigenschaften einer Sache sind alle wertbildenden Faktoren. Sie sind verkehrswesentlich, wenn sie von der Verkehrsanschauung oder der Parteienabrede als wesentlich anzusehen sind. Das Alter eines Wagens hat maßgebliche Bedeutung für seine Wertschätzung und ist somit eine verkehrswesentliche Eigenschaft.
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2. Das Auto ist sachmangelhaft, weil es nicht 2009, sondern 2003 gebaut wurde (§ 434 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1, Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).

Nein!

Die falsche Vorstellung vom Datum der Erstzulassung stellt keinen Sachmangel dar, da keine Beschaffenheitsvereinbarung abgeschlossen wurde (§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB) und das Datum der Erstzulassung nichts an der Funktionsfähigkeit des Autos ändert (§ 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB).§ 434 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB n.F. = § 434 Abs. 1 S. 1 BGB a.F; § 434 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 BGB n.F. = § 434 Abs. 2 S. 2 BGB a.F.

3. A könnte seine Willenserklärung, mit der der Kaufvertrag zustande gekommen ist, wegen Eigenschaftsirrtums anfechten (§ 119 Abs. 2 BGB).

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach hM ist die Anfechtung des Käufers wegen eines Eigenschaftsirrtums ausgeschlossen, wenn der Irrtum eine verkehrswesentliche Eigenschaft betrifft, deren Fehlen gleichzeitig einen (potenziellen) Sachmangel begründet (§§ 434f. BGB). Die §§ 437 ff. BGB enthalten insoweit eine abschließende Sonderregelung. Der Ausschluss gilt nach wohl hM nicht nur dann, wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt. Es reicht bereits aus, dass die Eigenschaft Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung hätte sein können.Begründung: Ein Käufer, der auf eine bestimmte Beschaffenheit Wert legt, die noch nicht im Rahmen des objektiven Fehlerbegriffs relevant ist, muss sie eben vereinbaren. Bei Abweichungen hat er dann Mängelrechte (§ 437 BGB). Unterlässt er dies oder gelingt es ihm nicht, hat er keine Mängelrechte und damit auch kein Rücktrittsrecht. Dann kann er aber auch nicht seine einseitige Vorstellung über eine bestimmte Eigenschaft verwenden, um sich im Wege der Irrtumsanfechtung vom Vertrag zu lösen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

BIE

Bienenschwarmverfolger

26.11.2022, 10:55:40

Die Anfechtung wegen Inhaltsirrtums dürfte hier aber durchgehen, oder?

BIE

Bienenschwarmverfolger

26.11.2022, 10:58:24

Oder wohl eher wegen Erklärungsirrtums 😅

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.11.2022, 18:35:08

Hallo Bienenschwarmverfolger, danke für deine Fragen. Hier liegen weder ein Inhalts- noch ein Erklärungsirrtum vor. A irrt weder über den Bedeutungsgehalt des Jahres (sagt 2003 und meint 2009, weil er denkt 2003 bedeutet 2009) oder verspricht sich versehentlich. Somit gehen die schon mangels Vorliegend des Anfechtungsgrundes nicht durch. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

BIE

Bienenschwarmverfolger

26.11.2022, 18:46:46

Ich würde schon sagen, dass das Jahr der Erstzulassung, wenn der Verkäufer den Käufer vor Vertragsschluss darüber informiert (so verstehe ich den SV), auch (

konkludent

) Bestandteil des Kaufvertrages bzw. der Willenserklärungen wird. Wenn dann der Käufer sich verliest und objektiv „2003“ erklärt, aber subjektiv davon ausgeht, „2009“ erklärt zu haben, dürfte das ein Erklärungs- oder Inhaltsirrtum sein (Abgrenzung finde ich da sehr schwierig). Oder missinterpretiere ich den Sachverhalt?

Ala

Ala

17.10.2024, 13:05:29

Ich sehe es so wie @[Bienenschwarmverfolger](121419). Könnte ein Moderator dazu noch einmal Stellung nehmen bitte? 🙏🏻 @[

Nora Mommsen

](178057) In einem anderen Fall (BGH, 15.02.2017) über den Kauf eines e-bikes, der meiner Meinung nach sehr mit dem vorliegenden Fall vergleichbar ist, führt ihr folgendes aus: „K kann wegen Inhaltsirrtums anfechten, wenn Wille und Erklärung auseinander fallen. K muss also, ohne dies zu bemerken, gegenüber V aus dessen Sicht etwas anderes zum Ausdruck gebracht haben, als er tatsächlich erklären wollte. Dies gilt selbst dann, wenn K das Angebot nicht zu Ende gelesen hat, solange er sich von dessen Inhalt eine bestimmte, allerdings unrichtige Vorstellung gemacht hat und dadurch bei dessen Annahme einem Irrtum unterlag. K ging fälschlicherweise davon aus, ein Angebot i.Hv. €100 anzunehmen, wobei der Kaufpreis objektiv bei €2.600 lag. Er kann daher nach §§ 142 Abs. 1, 119 Abs. 1 Alt. 1 BGB seine Annahmeerklärung anfechten.“ Die Ausführungen finden sich hier: BGB AT - Anfechtung - „Inhaltsirrtum 1“.

Sophix58

Sophix58

18.7.2023, 08:50:43

Bleibt in einem solchen Fall der Käufer dann gänzlich ohne Rechte? Wenn die Anfechtung ausgeschlossen ist aber ja auch das Mängelgewährleistungsrecht, weil ja tatsächlich kein Mangel vorliegt, dann ist das Ergebnis doch irgendwie seltsam...

MAS

Max S

24.7.2023, 00:05:34

Ich habe noch nicht genauer recherchiert, aber bspw. Hemmer vertritt (bzw. vertrat nach alten KaufR) das anders. Zumindest 119 II BGB soll anwendbar sein, wenn mangels Mangel 437 BGB nicht greift. (Keine Verdrängung der Anfechtung weil keine Anwendbarkeit des Gewährleistungsrechts)

CR7

CR7

19.10.2023, 11:34:17

Ich kann die Begründung in der Aufgabe leider beim MüKo, § 119 II, Rn. 32 nicht finden, da hat sich aber seit 2018 bestimmt was geändert, so dass es vielleicht an anderer Stelle steht. Man muss sich eben auch fragen, warum die Gewährleistungsrechte nicht anwendbar sind. Wenn kein Mangel vorliegt, greifen auch keine Gewährleistungsrechte, so dass ich aber trotzdem die Anfechtungsmöglichkeit haben muss, wenn das objektiv Erklärte und das subjektiv Gewollte auseinanderfallen.

FW

FW

5.11.2024, 13:46:11

@[CR7](145419) Genau, sehe ich auch so. Man muss auch bedenken, dass es für den Verkäufer nicht unbillig ist, da er ja Ansprüche aus § 122 oder ggf. c.i.c. geltend machen kann. Zwar trägt er hierbei das Insolvenzrisiko, jedoch ist er das ja auch durch den Vertrag bewusst eingegangen.

SCH

Schwanzanwaltschaft

16.5.2024, 18:39:50

Gilt das erst ab

Gefahrübergang

b.z.w. Übergabe der Sache oder ist die Anfechtung auch schon vor Übergabe ausgeschlossen.

LELEE

Leo Lee

17.5.2024, 15:52:01

Hallo Schwanzanwaltschaft, vielen Dank für die sehr gute Frage! Das ist eine sehr gute Frage und dein Gefühl ist völlig richtig, dass es nicht so „klar“ sein kann; denn das ist in der Tat umstritten! Allerdings liegt es nach der Ratio von Mängelrechten (Recht zur zweiten

Andienung

) näher, bereits vor

Gefahrübergang

aber nach Vertragsschluss die Anfechtung auszuschließen, da der Mangel ebenfalls als eine Art

Eigenschaftsirrtum

darstellt und durch die Anfechtung eben das Recht zur zweiten

Andienung

nicht untergraben werden soll. Ansonsten würde es rein vom zeitlichen Zufall (i.Ü. ein sehr häufiges Argument im Zivilrecht) abhängen, ob jemand anfechten kann oder nicht! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Westermann § 437 Rn. 54 sehr empfehlen :). Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

SCH

Schwanzanwaltschaft

17.5.2024, 16:00:30

Vielen Dank, für die sehr gute Antwort. LG

Ala

Ala

17.10.2024, 13:17:58

„Es reicht bereits aus, dass die Eigenschaft Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung hätte sein können.“ Gibt es überhaupt Fälle, in denen eine Anfechtung wegen

Eigenschaftsirrtum

s im Rahmen eines Kaufvertrags NICHT vom Gewährleistungsrecht gesperrt wird?

MAS

Mar St

9.11.2024, 08:30:50

Hallo Jurafüchse! Vielleicht ist es für mich noch zu früh, aber irgendwie fällt mir gerade kein Fall ein, in dem ein

Eigenschaftsirrtum

nicht auch ein potenzieller Sachmangel wäre. Dann wäre ja theoretisch eine Anfechtung wegen § 119 II nahezu nie möglich. Könnt ihr mir auf die Sprünge helfen und Beispiele nennen, in denen ein solcher Irrtum nicht zugleich auch einen (potenziellen) Sachmangel darstellt?

LELEE

Leo Lee

10.11.2024, 11:31:11

Hallo Mar St, vielen Dank für die sehr gute und wichtige Frage! Vorab: Du hast völlig Recht mit deinem Gefühl, dass ein Mangel immer auch einen

Eigenschaftsirrtum

i.S.d. 119 II darstellt, da die Mangelfreiheit/Mangelhaftigkeit auch eine Eigenschaft darstellt. Und wenn ich eine Ware kaufe, gehen ich auch davon aus, dass diese Ware mangelfrei ist, weshalb auch dann immer ein Irrtum bzgl. dieser Eigenschaft vorliegt. Ein klassischer Fall, in denen 119 II ohne einen Mangel vorliegt ist etwa, wenn der Käufer einen Goldring kaufen möchte und sich deshalb beim Juwelier einen ganz bestimmten Ring aussucht, dieser Ring aber nur vergoldet ist. Achte insofern, dass in den "reinen" 119 II-Fällen der

Eigenschaftsirrtum

auch fast immer einen Inhaltsirrtum zugleich darstellt! Hierzu kann ich i.Ü. die Lektüre vom MüKo-BGB 9. Auflage, Armbrüster § 119 Rn. 135 ff. sehr empfehlen :)! Liebe Grüße – für das Jurafuchsteam – Leo

FW

FW

18.11.2024, 19:32:35

Warum soll die nicht korrekte Erstzulassung kein objektiver Sachmangel sein?


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