Nutzungsersatz nach Nacherfüllung (§ 439 Abs. 6 BGB) Unternehmer


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Neues Kaufrecht 2022
Klassisches Klausurproblem

Senior-Partnerin P bestellt für die Kanzleiküche einen Jura-Kaffeevollautomaten. Nach einem Jahr mahlt der Automat keine Kaffeebohnen mehr, was auf einem irreparablen Herstellungsfehler beruht. P verlangt vom Kaffeemaschinenprofi V Nachlieferung.

Einordnung des Falls

Nutzungsersatz nach Nacherfüllung (§ 439 Abs. 6 BGB) Unternehmer

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. P kann Lieferung eines neuen Kaffeevollautomaten verlangen (§ 439 Abs. 1 Alt. 1 BGB).

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Genau, so ist das!

Ist die Sache mangelhaft, kann der Käufer die Lieferung einer anderen gleichartigen und gleichwertigen mangelfreien Sache (Nachlieferung) verlangen (§ 439 Abs. 1 Alt. 2 BGB). Beim Gattungskauf muss dann ein anderes Exemplar aus der vereinbarten Gattung geleistet werden. P kann verlangen, dass ihr anderer, neuer Jura-Kaffeevollautomat übergeben wird.

2. Verlangt der Käufer die Lieferung einer neuen Sache, muss er die alte zurückgewähren.

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Nein, das trifft nicht zu!

Liefert der Verkäufer zum Zwecke der Nacherfüllung eine mangelfreie Sache, so kann er vom Käufer Rückgewähr der mangelhaften Sache nach Maßgabe der §§ 346-348 BGB verlangen (§ 439 Abs. 6 S. 1 BGB). Es handelt sich hierbei um eine Rechtsfolgenverweisung. Der Rückgewähranspruch des Verkäufers ergibt sich dann aus § 439 Abs. 6 S. 1 iVm § 346 Abs. 1 BGB. § 439 Abs. 6 BGB n.F. entspricht dem bis zum 31.12.2021 geltenden § 439 Abs. 5 BGB a.F.Der Rückgewähranspruch muss vom Verkäufer nicht geltend gemacht werden, er kann auch auf eine Rückgabe der mangelhaften Sache verzichten.

3. Der Verkäufer kann die alte Sache herausverlangen, ist aber nicht verpflichtet, sie zurückzunehmen.

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Nein!

Der Verkäufer hat nicht nur einen Rückgewähranspruch, sondern damit korrespondierend auch eine Rücknahmepflicht (§ 439 Abs. 6 S. 2 BGB n.F.). Die Rücknahmepflicht des Verkäufers dient der Herstellung des ursprünglich vertragsgemäßen Zustands und damit dem Erfüllungsinteresse. Sie ist die Kehrseite der ursprünglichen Abnahmepflicht des Käufers (§ 433 Abs. 2 BGB).V ist verpflichtet, den alten Vollautomaten zurückzunehmen. Dies war bereits bisher in der Rspr. anerkannt. Seit dem 1.1.2022 ist in § 439 Abs. 6 S. 2 BGB n.F. ausdrücklich geregelt, dass der Verkäufer die ersetzte Sache auf seine Kosten zurückzunehmen hat. Bis zur Gesetzesänderung wurde die Rücknahmepflicht auf § 433 Abs. 2 BGB analog gestützt.

4. P muss zwar die Sache zurückgewähren, aber keinen Nutzungsersatz leisten.

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Nein, das ist nicht der Fall!

Aus der Rechtsfolgenverweisung auf die §§ 346ff. BGB folgt auch, dass der Verkäufer vom Käufer Wertersatz für die Nutzung der mangelhaften Sache für die Zeit zwischen Lieferung der mangelhaften Sache und Ersatzlieferung verlangen kann (§§ 439 Abs. 6 S. 1 iVm § 346 Abs. 1, Abs. 2 S. 1 Nr. 1 BGB).Das ergibt sich aus dem uneingeschränkten Verweis des § 439 Abs. 6 S. 1 BGB. Außerdem erhält der Käufer mit der Ersatzlieferung eine neue Sache und gibt dafür eine gebrauchte Sache zurück (neu für alt), sodass es angemessen ist, dem Verkäufer die gezogenen Gebrauchsvorteile zu vergüten.

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S.

s.t.

4.9.2021, 17:28:48

Ich finde es verwirrend, dass man in der Frage von eine Pflicht des Verkäufers spricht, im Gesetz aber eindeutig kann (!) drinnen steht... ist das eine Interpretation eurerseits ?

TA

Taylaw

30.9.2021, 22:51:40

Hi! :) Dem Wortlaut nach, da hast du recht, kann man nicht zwangsläufig eine Rücknahmepflicht des Verkäufers annehmen. Über den Wortlaut hinaus nimmt jedoch die herrschende Meinung in Literatur und Rechtsprechung eine Rücknahmepflicht des Verkäufers an. Argumentiert wird dabei unter anderem mit der Wertung des § 439 II BGB und generellen Billigkeitserwägungen; so hat meist der Käufer ein berechtigtes und auch schutzwürdiges Interesse daran, dass ihm eine defekte Sache auch wieder abgenommen wird. Ausführlich kannst du das ganze Nachlesen im BeckOGK/Höpfner BGB § 439 Rn. 112 :)

BE

Benji

21.4.2022, 18:02:03

Ich würde das "kann" hier so interpretieren, dass der Verkäufer keine Rücknahme'forderungs'pflicht hat, aber auf Anfrage eine Rücknahme'abnahme'pflicht.

Juramaus

Juramaus

25.4.2022, 17:21:19

BenBo das "Kann" ist mittlerweile sowieso veraltet, jetzt "hat" der Verkäufer die Sache zurückzunehmen!

Eichhörnchen I

Eichhörnchen I

9.5.2022, 13:35:16

Schuldet P deshalb Nutzungsersatz weil diese nicht als Verbraucher, sondern als Unternehmerin handelt? Beim Verbrauchsgüterkauf entfällt wegen Paragraf 475 Abs. 3 BGB ja die Pflicht zur Zahlung einer Nutzungsentschäfigung. Beste Grüße

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

9.5.2022, 18:45:45

Hallo Eichhörnchen, in der Tat muss P hier für den Einsatz des Automaten den entsprechenden Nutzungsersatz zahlen, wenn sie Nachlieferung verlangt. Es liegt kein Verbrauchsgüterkauf vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Ranii

Ranii

11.11.2022, 14:04:52

Vielleicht könnte man noch ergänzen, dass die Rücknahmepflicht früher begründet wurde mit 433 II analog

Nora Mommsen

Nora Mommsen

12.11.2022, 12:49:08

Hallo Leo Lee, danke für die Anmerkung. Den Hinweis haben wir ergänzt :) Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

PK

Punkt Komma

11.7.2023, 18:17:52

Hallo, ich hab einen vergleichbaren Fall gefunden, in welchem der BGH in einem Urteil vom 26. November 2008 (Aktenzeichen VIII ZR 200/05) erklärte, dass ein Käufer den Mangel einer Ware selbst nach deren Nutzung reklamieren kann und der Verkäufer in diesem Fall vom Käufer keinen Wertersatz für die bereits erfolgte Nutzung verlangen kann. Dass würde nicht vereinbar sein mit den Verbrauchsgüterrichtlinien der EU. Nun bin ich etwas verwirrt. Könnte mir hier jemand weiter helfen?

DA

David.

13.7.2023, 20:01:38

Die Fälle sind nicht vergleichbar, bei dem Fall hier handelt es sich nicht um einen Verbrauchsgüterkauf.

Fuller at H(e)art

Fuller at H(e)art

14.8.2023, 22:10:16

M.E. ist die Frage nach der Rückgewährpflicht des Käufers unglücklich gestellt. Den Käufer trifft dem Grunde nach eine Rückgewährpflicht gemäß 439 VI 1, 346 I, damit muss er die mangelhafte Sache (grundsätzlich) zurückgewähren. Der Anspruch ist allenfalls nicht fällig mangels Verlangen des Verkäufers (der Wortlaut des 439 VI 1 legt nahe, dass es sich um einen verhaltenen Anspruch handelt).

Sambajamba10

Sambajamba10

4.11.2023, 10:00:29

Verstehe ich es richtig, dass die Wertersatzpflicht aber nur greift, wenn die Rückgewähr oder Herausgabe der alten Sache unmöglich geworden ist (§ 346 II)?

QU

QuasimodoFacturus

4.11.2023, 14:36:18

Das stimmt zumindest in Bezug auf die mangelhafte Kaufsache selbst. Deren Rückgewähr schuldet der Käufer, falls der Verkäufer dies verlangt, nach den §§ 346ff. Das wird in der Aufgabe ja super erklärt. Die Herausgabe in Natur ist der Regelfall und der Wertersatz nur die Ausnahme, zum Beispiel bei Unmöglichkeit der Herausgabe. Die erlangten Gebrauchsvorteile des Käufers bis zur Geltendmachung seiner Mängelrechte stellen Nutzungen dar, die sich in Natur nicht herausgeben lassen. Insofern findet bei diesen tatsächlich immer die Wertersatzpflicht Anwendung. Ausnahmen gelten für Verbrauchsgüterkäufe, welcher im Fall aber nicht vorlag.

Sambajamba10

Sambajamba10

4.11.2023, 15:17:59

Ich verstehe es jetzt, danke!


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