Zivilrecht

Schuldrecht Allgemeiner Teil

Erlöschen des Schuldverhältnisses

Leistung erfüllungshalber - Verwertung nach verkehrsüblicher Sorgfalt

Leistung erfüllungshalber - Verwertung nach verkehrsüblicher Sorgfalt

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V verkauft K ihren Plattenspieler für €500. K hat kein Geld, aber einen von Nowitzki signierten Basketball (Wert: €500). V soll sich zunächst daraus befriedigen. V verkauft den Basketball zum „Freundschaftspreis“ von €50 und verlangt von K Zahlung des verbleibenden Kaufpreises.

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Einordnung des Falls

Leistung erfüllungshalber - Verwertung nach verkehrsüblicher Sorgfalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hatte V anfangs einen Anspruch darauf, dass K den geschuldeten Kaufpreis zahlt (§ 433 Abs. 2 BGB)?

Genau, so ist das!

Durch einen Kaufvertrag wird der Käufer zur Zahlung des versprochenen Kaufpreises verpflichtet (§ 433 Abs. 1 BGB) . V und K haben einen Kaufvertrag geschlossen. K ist verpflichtet, den geschuldeten Kaufpreis zu zahlen.
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2. Ist durch die Übergabe des Basketballs, Vs Kaufpreisforderung durch Erfüllung erloschen?(§ 362 BGB)

Nein, das trifft nicht zu!

Der Anspruch des Gläubigers erlischt, wenn die geschuldete Leistung an ihn bewirkt wird (§ 362 Abs. 1 BGB). Dies ist der Fall, wenn der richtige Schuldner dem richtigen Gläubiger die richtige Leistung am richtigen Ort zur richtigen Zeit erbracht hat. Soweit ein Erfolg geschuldet ist, ist die Leistung erst bewirkt, wenn der Leistungserfolg eingetreten ist.Die geschuldete Leistung ist die Zahlung von €500. K hatte kein Geld und konnte diese Leistung nicht bewirken.

3. Ist durch die Übergabe des Basketball, Vs Kaufpreisforderung durch Leistung an Erfüllung statt erloschen (§ 364 Abs. 1 BGB)?

Nein!

Eine Leistung an Erfüllung statt liegt vor, wenn die Parteien sich einig sind, dass durch die Leistung die ursprüngliche Leistungspflicht erlischt (§ 364 Abs. 1 BGB), unabhängig davon, ob der Wert des hingegebenen Gegenstands dem der geschuldeten Leistung entspricht. Besteht dagegen zwar eine Verwertungspflicht, obliegt das Verwertungsrisiko dem Schuldner, so liegt bloß eine Leistung erfüllungshalber vor. V und K haben vereinbart, dass V sich vorrangig durch Verwertung des Basketball befriedigen sollte. Das Verwertungsrisiko sollte dagegen bei K verbleiben. Somit liegt eine Leistung erfüllungshalber vor.

4. Kann V nach Verwertung des Basketballs die verbleibenden €450 von K verlangen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Durch die Vereinbarung "Leistung erfüllungshalber" wird zwischen den Parteien ein Rechtsverhältnis eigener Art begründet. Der Gläubiger ist dabei verpflichtet, sich aus dem Leistungsgegenstand mit verkehrsüblicher Sorgfalt zu befriedigen. Verletzt er diese Verpflichtung, so steht dem Schuldner bezüglich der ursprünglichen Forderung ein Leistungsverweigerungsrecht (§ 273 Abs. 1 BGB) zu. Durch den Verkauf zum Freundschaftspreis hat V nicht die im Verkehr übliche Sorgfalt an den Tag gelegt und K kann seinerseits die Zahlung der noch offenen €450 verweigern (§ 273 Abs. 1 BGB).Der Gläubiger macht sich zudem schadensersatzpflichtig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

18.7.2022, 19:18:21

Im vorliegenden Fall hat K ja den Basketball bereit veräußert. Bezüglich des Anspruchs auf

Befriedigung

aus dem Leistungsgegenstand mit der verkehrsüblichen Sorgfalt liegt also die Unmöglichkeit im Sinne des § 275 Abs. 1 Var. 1 BGB vor. Inwiefern wirkt dies auf das Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB ein?

LexSuperior

LexSuperior

18.7.2022, 19:27:33

Das Zurückbehaltungsrecht bezieht sich auf die übrigen 450€. Die Gläubigerin hat die Pflicht zur Befriedung mit verkehrsüblicher Sorgfalt denklogisch VOR der Veräußerung. Meines Erachtens wäre es unbillig hier 275 BGB anzunehmen, da allein die Gläubigerin sich pflichtwidrig verhält. Es könne demnach keine Einschränkungen des 273 I BGB geben. So zumindest mein erstes Gefühl. Ich bin auch gespannt was die jurafüchse dazu zu sagen haben :)

Nora Mommsen

Nora Mommsen

9.8.2022, 11:10:58

Hallo QuiGonTim, die Unmöglichkeit hinsichtlich der Rückgabe des Basketballs trotz ausgebliebenem Eintritt der Erfüllung hinsichtlich der Kaufpreisforderung begründet also erst die dauerhafte Einrede des § 273 Abs. 1 BGB. Nach der Rechtsprechung des BGH gibt die

Leistung erfüllungshalber

dem Leistenden das Recht, die Bezahlung der Kausalforderung bis zur Rückgabe der

erfüllungshalber

hingegebenen Sache zu verweigern (BGH, NJW 1996, 1961)- Hieraus ergibt sich ein ständiges

Leistungsverweigerung

srecht des Schuldners - also der K - für den Fall, dass die Verlustgefahr der Sache entsprechend der getroffenen Abrede auf den Gläubiger übergegangen ist und dieser die Sache nicht zurückgeben kann, weil die Sache verkauft worden ist. LexSuperior hat es genau richtig dargestellt. V hat die Unmöglichkeit der ausreichenden

Befriedigung

ebenso wie die Unmöglichkeit der unbeschadeten Rückgabe der Sache für den Fall der ausbleibenden

Befriedigung

selbst herbeigeführt durch pflichtwidriges Verhalten. Erst dadurch entsteht das dauerhafte Zurückbehaltungsrecht. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

Pilea

Pilea

12.11.2022, 15:02:02

Ich verstehe nicht, wie der Zusammenhang zu §273 I ist - welche zwei Ansprüche stehen sich gegenüber? Ich dachte, es geht um eine

Leistungspflicht

verletzung.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

14.11.2022, 11:41:33

Hallo Pilea, vielen Dank für Deine Frage. Hier ist einerseits K verpflichtet, den Kaufpreis zu bezahlen und andererseits V verpflichtet, den

erfüllungshalber

erhaltenen Basketball an K wieder zurückzugeben. Solange V den Baskeball nicht zurückgibt, kann K die Bezahlung der restlichen Kaufpreissumme verweigern. Schau Dir hierzu gerne auch noch einmal den parallelen Thread an. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tim

Tim

9.5.2023, 13:08:36

Inwiefern macht sich der Gläubiger (V) nun hier Schadensersatzpflichtig? Welchen Schaden soll er denn ggf. ersetzen?

Carl Wagner

Carl Wagner

21.5.2023, 12:40:17

Vielen Dank für deine Frage, Tim! Ich verstehe deine Frage so, dass K keinen Schaden habe, weil sie ja die Restzahlung des Kaufpreises verweigern kann, § 273 I BGB. --- (1) Nach h.M. wird bei

Leistung erfüllungshalber

im Rahmen der Auslegung regelmäßig eine Stundung angenommen, so dass die Hauptforderung materiell-rechtlich nicht durchsetzbar (Fällig wird verschoben) ist, solange bis Erfüllung eintritt oder der Versuch anderweitiger

Befriedigung

scheitert (vgl. Nachweise Staudinger/Kern (2022) BGB § 364, Rn. 26 oder MüKoBGB/Fetzer, 9. Aufl. 2022, BGB § 364 Rn. 14). ---(2) Vorliegend hat V ihre Verwertungspflicht, mit verkehrsüblicher Sorgfalt

Befriedigung

zu suchen, verletzt, indem sie den Ball für 10% des Verkehrswertes verkauft hat. Einerseits könnte man nun argumentieren, dass die Stundung der h.M. - die eigentlich nur temporär gelten sollte bis zur Erfüllung / Scheitern der

Befriedigung

- wegen Schuld der V permanent wirkt. Die Verwertung ist nicht aus Gründen gescheitert wie zB, dass der Ball in Wahrheit gar nicht von einem berühmten Basketballer stammt, etc., sondern nur wegen V. Nach dieser Argumentation käme es schon gar nicht auf § 273 I BGB an. ---(3) Andererseits stellt die Verletzung der Verwertungspflicht durch V eine Verletzung des Rechtsverhältnisses zwischen K und V dar. Dieses ist ein Rechtsverhältnis eigener Art, dass einem Auftrag ähnelt (=Auftrag, den Ball ordnungsgemäß zu verwerten)(Staudinger/Kern (2022) BGB § 364, Rn. 25). Da dieses ein Schuldverhältnis darstellt, sind die §§ 280 ff. BGB eröffnet. Der BGH behandelt in diesem Kontext Fälle des

Abhandenkommen

s von Schecks. Der Gläubiger erhält einen Scheck, verliert diesen aber und hat dies auch zu vertreten. Hier kann der Scheckgeber einen Schadensersatzanspruch geltend machen und dem Gläubiger im Kausalverhältnis entgegenhalten. (BGH, Urteil vom 29. März 2007 – III ZR 68/06 –, Rn. 8 und 15, juris). In unserem Fall verliert K Eigentum im Wert von 500 € und erlangt nur Erfüllungswirkung iHv 50 €. Jetzt könnte man sagen, dass K auch noch eine ewige Stundung für die 450 € erlangt und somit kein Schaden besteht. Selbst wenn man der h.M. hier folgt, wird es trotzdem immer darauf hinauslaufen, dass es auf die Auslegung im Einzelfall ankommt: Sollte nur die Fälligkeit hinausgeschoben werden? Sollte ein

Leistungsverweigerung

srecht eingeräumt werden? Sollte lediglich die Klagbarkeit ausgeschlossen werden (= wirkt nur prozessrechtlich)? - Je nachdem, was das Auslegungsergebnis ergibt, kann man in einer Klausur einen Schaden verneinen oder bejahen. Jedenfalls klingt ein

Leistungsverweigerung

srecht aus § 273 I BGB (dogmatisch) besser als eine "ewige Stundung". Besteht ein Schadensersatzanspruch wegen eines pflichtwidrig niedrigen Verkauferlöses (hier Differenz 450 €), dann kann dieser im Rahmen des

Leistungsverweigerung

srecht aus § 273 I BGB dem anderen Anspruch entgegengehalten werden. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

Tim

Tim

21.5.2023, 13:26:34

Super, lieben Dank für die ausführliche Beantwortung, Carl! Ist dann nicht sogar eine anschließende Aufrechnung denkbar, um den ganzen Komplex abzuschließen? Wenn ich es richtig verstehe steht V dann ja immer noch ein (nicht durchsetzbarer) Anspruch auf 450,00 € aus dem Kaufvertrag zu, wohingegen K dann ein Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe zugesprochen wird. Folglich könnte doch K dann aufrechnen.

Carl Wagner

Carl Wagner

21.5.2023, 13:44:30

Nach meiner EInschätzung stimme ich dir da voll zu. Tatsächlich findet sich gar nicht so sehr Literatur dazu, aber nach den allgemeinen Grundsätzen können wechselseitige gleichartige Ansprüche verrechnet werden. Eine Aufrechnung bei

Leistung erfüllungshalber

wurde zB in OLG Celle, Urteil vom 5. 2. 1970 - 7 U 152/69, Fundstelle OLGZ 1970, 450 versucht (Besonderheit war hier auch, dass die abgetretene Forderung mit einer Sicherungs

übereignung

verbunden war). Da V spätestens nach der Pflichtverletzung und der Erhebung der Einrede durch K keinen durchsetzbaren Anspruch (§ 273 I BGB) mehr hat, kann dann nur K aufrechnen. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

Tim

Tim

21.5.2023, 14:08:28

Hat nicht auch V wiederum ein Zurückbehaltungsrecht aus § 273 Abs. 1 BGB? Vielen Dank für die Antworten!

Carl Wagner

Carl Wagner

21.5.2023, 14:21:44

§ 273 I BGB setzt einen fälligen Anspruch voraus. Geht man mit der h.M. und bejaht eine Stundung, dann wird diese Fälligkeit ja gerade hinausgeschoben und ist derzeit nicht gegeben. Daher hat dann V keinen fälligen Anspruch auf Kaufpreiszahlung. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

Tim

Tim

21.5.2023, 14:30:33

Dann könnte K nun ja tatsächlich die Zahlung von 450,00 € verlangen? Womit V - freilich pflichtwidrig, selbstverantwortlich - nicht nur 450,00 € entgangen sind, sondern er gleichzeitig noch einmal 450,00 € an K zahlen müsste.

Carl Wagner

Carl Wagner

21.5.2023, 14:48:19

Man muss sich bei diesem Ergebnis bewusst machen, dass V schließlich auch pflichtwidrig und vorsätzlich gehandelt hat. K kann das Begehren auf Kaufpreiszahlung mit einem

Leistungsverweigerung

srecht abwehren. Außerdem muss man sich bewusst machen, dass es letztlich auf die Auslegung ankommt: Ist tatsächlich die Fälligkeit verschoben worden (Stundung), ggf. doch ein

Leistungsverweigerung

srecht vereinbart worden oder sogar nur die Klage prozessual ausgeschlossen? Je nachdem ändert sich der Fall. (1) Man kann wie in früherer Antwort schon argumentieren, es läge kein Schaden vor, weil letztlich eine ewige Stundung oder

Leistungsverweigerung

srecht gegeben ist. Damit vermeidet man dieses doch etwas seltsam anmutende Ergebnis, dass K auf einmal V in Anspruch nehmen kann. (2) Wenn man aber trotz

Leistungsverweigerung

srecht kraft Auslegung (nicht § 273 I BGB) oder ewiger Stundung einen Schaden bejaht, dann muss K diesen auch geltend machen können. Wenn K diesen geltend gemacht hat, hört logischerweise auch die Stundung und auch ein

Leistungsverweigerung

srecht (egal ob aus Auslegung oder § 273 I BGB) auf. Dann muss K der V 450 € bezahlen. (3) Am Ende empfiehlt sich doch eher einen Schaden abzulehnen, um diese seltsame Haftungskonstellation zu vermeiden. Viele Grüße - Carl für das Jurafuchs-Team

Tim

Tim

21.5.2023, 14:50:31

Ah, ok! Jetzt verstehe ich den ganzen Mechanismus. Herzlichen Dank Carl! Beste Grüße Tim

VALA

Vanilla Latte

7.10.2023, 10:30:44

Wäre das dann ein SE neben der Leistung? Also 280 I des "Verwertungsvertrages"? Den man dann bei Schaden des K ablehnen würde.

VALA

Vanilla Latte

6.10.2023, 23:13:38

Woraus würde man den SEA ableiten? Ist das ein Schuldverhältnis bzw worin liegt es?

Paulah

Paulah

7.10.2023, 07:57:58

In einem anderen Thread zu diesem Fall hat Carl Wagner recht genau erklärt, woraus sich die Ansprüche ableiten (können).

Fuller at H(e)art

Fuller at H(e)art

19.5.2024, 12:44:09

M.E. ist das Zurückbehaltungsrecht als Ansatzpunkt falsch gewählt. Es entspricht überwiegender Auffassung, dass 273 I im Falle gleichartiger Ansprüche nicht zur Anwendung gelangt, sondern allein eine Aufrechnung in Betracht kommt. Etwas anderes mag nur im Falle eines abweichenden schutwürdigen Interesses gelten, dafür ist hier aber nichts bestellt. Dass ein Weg über das Zurückbehaltungsrecht hier nicht richtig sein kann, weist sich auch auf Rechtsfolgenseite. Eine Zug um Zug Leistung von

Geld

ist erkennbar sinnlos.


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