Öffentliches Recht
Examensrelevante Rechtsprechung ÖR
Entscheidungen von 2020
Versammlungsrechtliches Verbot des Zeigens der Reichskriegsflagge
Versammlungsrechtliches Verbot des Zeigens der Reichskriegsflagge
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Nach einem Erlass des Innensenators von B soll das Zeigen von Reichskriegsfahnen in der Öffentlichkeit als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Die N meldet eine Versammlung an. Dabei sollen als Protest entsprechende Fahnen gezeigt werden. Dies wird mit einer Auflage verboten.
Diesen Fall lösen [...Wird geladen] der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Versammlungsrechtliches Verbot des Zeigens der Reichskriegsflagge
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 12 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Die N muss gegen die für sofort vollziehbar erklärte Auflage den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO beantragen, um die Versammlung wie geplant durchführen zu können.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. Der Antrag ist begründet, soweit nach freier richterlicher Interessenabwägung das Aussetzungsinteresse der N das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt.
Genau, so ist das!
3. Ermächtigungsgrundlage für die Auflage ist § 15 Abs. 1 Alt. 2 VersG.
Ja, in der Tat!
4. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung vorliegt.
Ja!
5. Das Zeigen der Flaggen stellt eine Form der Meinungsäußerung dar, sodass die Beschränkungen der Versammlung Art. 5 Abs. 2 GG berücksichtigen müssen.
Genau, so ist das!
6. Wenn das Zeigen der Reichskriegsflagge gegen ein Strafgesetz verstößt, liegt eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit vor.
Ja, in der Tat!
7. Das Zeigen der Reichskriegsflaggen allein erfüllt die Straftatbestände der §§ 86a Abs. 1 Nr. 1, 130 StGB.
Nein!
8. Der Erlass des Innensenators hinsichtlich des Zeigens von Reichskriegsflaggen ist ein allgemeines Gesetz. Daraus kann sich eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit ergeben.
Nein, das ist nicht der Fall!
9. Eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit liegt vor, wenn Verstöße gegen § 118 Abs. 1 OWiG zu erwarten sind.
Ja, in der Tat!
10. Das Zeigen der Flaggen als Meinungsäußerung stellt keinen Verstoß gegen § 118 Abs. 1 OWiG dar. Eine Beschränkung der Meinungsfreiheit kann darauf nicht gestützt werden.
Ja!
11. Es fehlt auch an einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Ordnung.
Genau, so ist das!
12. Der Tatbestand des § 15 Abs. 1 Alt. 2 VersG ist nicht erfüllt. Die Auflage ist rechtswidrig.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
Fischerino
25.1.2024, 11:49:54
Hier scheinen sich ein paar Fehler in die Lösung eingeschlichen zu haben. 1. bei der Frage, ob der Tatbestand eine Gefahr für die
öffentliche Sicherheit und Ordnungerfordert, wäre wohl richtigerweise auch darauf hinzuweisen, dass die Gefahr "unmittelbar" sein muss 2. die Begriffe
öffentliche Sicherheit und Ordnungwerden hier ein bisschen durcheinander gebracht. § 118 Abs. 1 OWiG ist Teil der öffentlichen Sicherheit. Dass mangels Verstoß hiergegen auch kein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung vorliegt, scheint keine ganz logische Konsequenz zu sein. Auch im zitierten Urteil wird dahingehend anders zwischen öffentlicher Sicherheit und öffentlicher Ordnung unterschieden (vgl. Rn. 21 ff und Rn. 27 ff.)
CR7
24.4.2024, 16:14:14
Yes, ich war auch etwas verwirrt. Die öffentliche Ordnung ist ja insoweit subsidiär zur öffentlichen Sicherheit, § 118 OWiG zählt aber schon zur öffentlichen Sicherheit. :-)
judith
13.8.2024, 11:59:02
Ich kann meinen Vorredner:innen nur zustimmen und möchte nochmal die Mods von @jurafuchs darauf aufmerksam machen, verbunden mit der Bitte die Antworten anzupassen, oder uns hier aufzuklären :D
Sebastian Schmitt
15.10.2024, 10:46:49
Hallo @[Fischerino](148221), vielen Dank Dir für die Hinweise und den anderen, @[CR7](145419) und @[judith ](160833), für die Ergänzungen. Hinsichtlich des ersten genannten Punkts hast Du völlig Recht, wir haben das jetzt klargestellt. Zum zweiten Punkt kann ich die Verwirrung durchaus nachvollziehen. Das Problem besteht deshalb, weil über § 118 I OWiG das Kriterium der öffentlichen Ordnung auch in die Kategorie der öffentlichen Sicherheit eingeführt wird. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung als "zweite Kategorie" kann eben auch ein Verstoß gegen die öffentliche Sicherheit sein, wenn darin gleichzeitig ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung iSd § 118 I OWiG zu sehen ist. Die Frage ist jetzt natürlich, ob es sich bei diesen "beiden öffentlichen Ordnungen", also der eigenen Kategorie einerseits und der in § 118 I OWiG genannten andererseits, um dieselben Begriffe handelt, was also der verbleibende Anwendungsbereich der öffentlichen Ordnung als eigene Kategorie ist. Das ist leider nicht ganz klar und darüber kann man gut diskutieren. Einige sehen hier gewisse, aber iE wohl eher kleinere Unterschiede, andere gar keine - und halten dementsprechend einen Schutz explizit der öffentlichen Ordnung durch Polizeigesetze und ähnliches für überflüssig. Auch die entscheidenden Gerichte scheinen mir hier etwas zu "schwimmen", jedenfalls finde ich die Differenzierung sowohl im Urteil des OVG als auch des erstinstanzlichen VG nicht eindeutig (beide verlinkt in unseren Quellen). Zur Vertiefung mag es für den einen oder anderen sinnvoll sein, die entsprechenden Passagen mal zu überfliegen. Wir haben jetzt jedenfalls versucht, diese Differenzierung nocht etwas besser in der Aufgabe darzustellen. ME ist (und war) das in der Aufgabe aber nicht "falsch", wenn man sich die Problematik einmal klargemacht hat. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team