Unbarmherzige, gefühllose Gesinnung fehlt

22. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die 23-jährige T weist eine weit unterdurchschnittliche Intelligenz auf. Ihre Persönlichkeit ist durch auffallende Gemütsarmut und Willensschwäche gekennzeichnet. Überforderungsbedingt füttert sie ihren einjährigen Sohn S nicht mehr. S stirbt infolge akuten Verhungerns.

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Einordnung des Falls

Unbarmherzige, gefühllose Gesinnung fehlt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T hat den objektiven Tatbestand einer "grausamen" Tötung (§§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 2, 13 Abs. 1 StGB) verwirklicht.

Ja, in der Tat!

Grausam tötet, wer dem Opfer aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art zufügt, die über das für die Tötung erforderliche Maß hinausgehen. Entscheidend ist eine in objektiver Hinsicht hochgradig schmerzvolle Tötungsaktion. BGH: Verhungern verursache regelmäßig besonders starke körperliche und seelische Schmerzen (RdNr. 8). Da S an den Folgen akuter Mangelernährung starb, liegt hier eine grausame Tötung vor.
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2. T hatte Vorsatz bezüglich der Grausamkeit der Tötung (§ 211 Abs. 2 Gr. 2 Var. 2 StGB).

Nein!

Der Vorsatz muss sich auf alle objektiven Tatbestandsmerkmale beziehen (Umkehrschluss aus § 16 StGB). "Grausamkeit" ist ein tatbezogenes, objektives Mordmerkmal. Der Täter hat Vorsatz bezüglich der Grausamkeit, wenn er die Umstände kennt und will, die den Leidenszustand des Opfers bedingen. Rspr. und h.M. fordern zudem, dass die Vorgehensweise einer gefühllosen, unbarmherzigen Gesinnung entspringt. Diese ergibt sich regelmäßig bereits aus dem vom Vorsatz getragenen, objektiv grausamen Verhalten. Auffällige Eigenarten der Persönlichkeit des Täters und seine besondere seelische Situation zur Zeit der Tat sowie sein sonstiges Verhalten gegenüber dem Opfer können gegen eine gefühllose Gesinnung sprechen. Dazu zählen eine gravierende intellektuelle Minderbegabung und hochgradig affektive Erregung. Ts Persönlichkeit spricht hier dagegen.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FABIA

Fabian

20.5.2020, 04:13:00

Die Minderbegabung sollte noch straferhöhend wirken, denn dadurch ist die Gesellschaft ja noch mehr gefährdet als wenn jemand Verstand hat.

Christian Leupold-Wendling

Christian Leupold-Wendling

20.5.2020, 12:05:02

Hi Fabian, Danke für Deinen Beitrag! Das ist ein nachvollziehbarer Gedanke angesichts der schwer zu ertragenden Tat. Gefährlichkeit des Täters für die Gesellschaft ist uE aber nicht das entscheidende Kriterium. Es geht bei den Mordmerkmalen der 2. Gruppe (Heimtücke, Grausamkeit,

Gemeingefährlich

e Tatmittel) darum, besonders gefährliche und

verwerflich

e Ausführungsarten der Tötung zu erfassen. Speziell beim Mordmerkmal „Grausamkeit“ setzt die Rechtsprechung subjektiv voraus, dass die Tat von einer „gefühllosen und mitleidlosen Gesinnung getragen ist.“ Erhebliche psychische Störungen oder auch schwerer

Rauschzustand

stehen dem entgegen.

/Q

/qwas

22.1.2024, 21:44:07

Außerdem ist das ein bestimmter Fall, in dem man mit Fabian ggf. eine erhöhte Gefährlichkeit annehmen kann. Den auch durchschnittlich intelligente Leute können die Tat ja begehen (wie in anderen Fällen vor dem BGH). Diese sind auch insofern besonders gefährlich, dass sie Straftaten viel "effektiver" und damit auch tödlicher planen können. Man kann auch die Frage auf werfen, ob es wirklich gefährlicher ist, wenn Personen ein Unrecht nicht einsehen können oder wenn sie es nicht einsehen wollen.

Tigerwitsch

Tigerwitsch

14.2.2021, 13:54:09

Wieso kann man nicht über die Schuld (Schuldunfähigkeit oder verminderte Schuldfähigkeit) zu einer Straflosigkeit bzw Strafmilderung kommen? Oder ist im vorliegenden Fall das wesentliche Stichwort „Überforderung“ der T?

Speetzchen

Speetzchen

16.2.2021, 00:27:55

Dies kann ggf. der Fall sein, hier sollte wahrscheinlich nur das Mordmerkmal erklärt werden. Zu beachten sind aber die hohen Anforderungen an eine Schuldunfähigkeit.  Die Feststellung setzt voraus, dass in der Person des T letztlich nicht nur Eigenschaften und Verhaltensweisen hervorgetreten sind, die sich im Rahmen dessen halten, was bei schuldfähigen Menschen anzutreffen und übliche Ursache für strafbares Verhalten ist Hierzu gehören etwa Eigenschaften wie Stimmungsschwankungen, geringe Frustrationstoleranz, Tendenz zu Streitereien und Impulsivität; diese sind nicht ohne weiteres dazu geeignet, eine Person in einen Zustand erhebl

Speetzchen

Speetzchen

16.2.2021, 00:29:43

erheblich verminderter Schuldfähigkeit zu versetzen.

ena_magneto

ena_magneto

3.3.2021, 14:05:07

Wäre es aber hier nicht eher ein Fall der verminderten Schuldfähigkeit bzw. Schuldunfähigkeit?

Vulpes

Vulpes

3.3.2021, 15:02:17

Hi ✌️ Ich glaube, dass es hier keine entweder oder Frage ist. Einerseits wird festgestellt, dass T nicht den erforderlichen

Vorsatz

für einen grausamen Mord aufweist. Unabhängig davon würde ich dir Recht geben, dass T wohl aufgrund ihrer Minderbegabung nur eine gem. § 49 Abs. 1 StGB gemilderte Strafe wegen Totschlag (§ 212 StGB) zu erwarten hat.

AG

agi

7.10.2024, 23:42:31

Könnte man hier nicht sogar aufgrund der Minderbegabung und Überforderung den

Vorsatz

bzgl §212 verneinen und auf den §222 abstellen?

EL

Elisa

25.5.2023, 11:12:02

Wenn man die Grausamkeit so definiert, dass die Zufügung der Schmerzen “aus gefühlloser, unbarmherziger Gesinnung” heraus erfolgt sein muss, fliegt man dann in diesem Fall nicht schon direkt bei der Grausamkeit raus? Denn diese Gesinnung hatte die T ja eigentlich nicht.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

26.5.2023, 12:36:18

Hallo Elisa, danke für deine Frage. Tatsächlich ist die übliche Definition hier ggfs. irreführend. Im objektiven Tatbestand sind die objektiven Merkmale zu prüfen. Bei der Grausamkeit also das Hinzufügen von Qualen und Schmerzen über das "übliche" Maß hinaus. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

SY

sy

6.10.2024, 08:57:36

Liebes Team, soweit ich mich erinnere, war es doch so, dass man bei dem MM der Heimtücke bei kleinen Kindern nicht auf die arg und wehrlosigkeit des Kindes,sondern auf das eines schutzbereiten Drittens abstelle - Mutti z.B. Beim Durchgehen dieses Falles habe ich mich gefragt, wie genau der Unterschied zu dem Mordmerkmal der Graumsamkeit zu begründen ist : bei der arg und wehrlosigkeit wird eine kognitive Unterscheidungsfähigkeit und Einsichtnahmefähigkeit gefordert, eine solche haben Babies noch nicht.Bei der Graumsamkeit geht es jedoch um tatsächliche Schmerzen, welche sich bereits dann als gegeben erweisen und objektiv manifestieren, wenn das Baby aufgrund der unzulänglichen Befriedigung seiner minimalen Bedürfnisse (Hunger Durts etc.) oder aber tätlicher Gewalt schreit und weint etc. Hat das einen Erklärungswert, was ich hier zusammengeschustert habe? I


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