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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Der bei Radio R beschäftigte A verhandelt mit dem TV-Sender T über eine Anstellung. T rät A, dringend seinen Vertrag mit R zu kündigen, um für die neue Stelle rechtzeitig zur Verfügung zu stehen. Direkt nach der Kündigung teilt T dem A mit, man benötige ihn doch nicht.

Einordnung des Falls

Inhalt I: Abbruch von Vertragsverhandlungen

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. T und A haben einen Arbeitsvertrag geschlossen (§ 611a BGB).

Nein, das trifft nicht zu!

Ein Vertrag kommt zustande durch zwei inhaltlich übereinstimmende Willenserklärungen, Angebot und Annahme (§§ 145, 147 BGB). T und A befanden sich jedoch nur in Vertragsverhandlungen. Ein ausdrücklicher Wille zum Abschluss eines Arbeitsvertrages lag noch nicht vor.

2. Zwischen T und A ist ein vorvertragliches Schuldverhältnis entstanden (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

Ja!

Ein vorvertragliches Schuldverhältnis entsteht: durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen (Nr. 1), die Anbahnung eines Vertrags, (Nr. 2) oder ähnliche geschäftliche Kontakte (Nr. 3). Dadurch, dass A und T direkt in Vertragsverhandlungen getreten sind, liegt ein vorvertragliches Schuldverhältnis vor (§ 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB).

3. Indem T grundlos die Vertragsverhandlungen mit A abgebrochen hat, hat er eine Schutzpflicht (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt.

Genau, so ist das!

Die Parteien sind bis zum endgültigen Vertragsschluss in ihren Entschließungen grundsätzlich frei. Auch wenn der andere Teil in Erwartung des Vertragsschlusses bereits Aufwendungen gemacht hat. Eine Pflichtverletzung besteht nur, wenn eine Partei die Verhandlungen ohne triftigen Grund abbricht, nachdem sie in zurechenbarer Weise Vertrauen auf das Zustandekommen des Vertrages erweckt hat. T hat bei Verhandlungen über den Abschluss des Arbeitsvertrages mit A das sachlich nicht begründete Vertrauen auf seine Einstellung erweckt, indem er ihn zur Kündigung seines bisherigen Arbeitsverhältnisses aufforderte und die Verhandlung anschließend grundlos abbrach.

4. T hat die Pflichtverletzung auch zu vertreten (§ 276 BGB).

Ja, in der Tat!

Schadensersatzansprüche aus c.i.c. setzen grundsätzlich voraus, dass der Verpflichteten den Verstoß gegen seine vorvertraglichen Pflichten zu vertreten hat. Für Ersatzansprüche wegen des grundlosen Abbruchs von Vertragsverhandlungen ist die Frage jedoch umstritten. Nach der hM genügt es, wenn das Vertrauen in den Vertragsabschluss in zurechenbarer Weise erweckt worden ist (Vertrauenshaftung § 122 BGB analog). T hat das Vertrauen in den Vertragsabschluss in zurechenbarer Weise erweckt.

5. A kann von T die Zahlung des von R erhaltenen Gehalts verlangen (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2 Nr. 2, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB).

Ja!

Der Schädiger hat den Geschädigten so zu stellen, wie dieser ohne das schädigende Ereignis stünde (§ 249 Abs. 1 BGB). Das schädigende Ereignis ist hier die Schaffung des Vertrauenstatbestands. Hätte T den A darüber informiert, dass der Vertrag möglicherweise doch nicht zustande kommt, hätte dieser sein derzeitiges Arbeitsverhältnis nicht sofort gekündigt. Der Schaden des T besteht daher in dem Wegfall seines Gehalts bei R, also seinen entgangenen Gewinn (§ 252 BGB). Dieses kann A von T zumindest vorübergehend ersetzt verlangen.

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lege artis

lege artis

13.4.2021, 20:52:08

Warum kein Ersatz nach 252?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

19.4.2021, 09:36:02

Hallo lege artis, das entgangene Gehalt ist in der Tat ein entgangener Gewinn nach § 252 BGB. Es ist allerdings nicht zwingend notwendig, die Norm in der Anspruchskette zu benennen. Wir haben insoweit aber den Antworttext etwas präzisiert. Danke Dir! Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Tigerwitsch

Tigerwitsch

28.4.2021, 21:49:26

In welchem Umfang könnte A den entgangenen Gewinn (§ 252 BGB) verlangen? Das wird ja mE nicht uferlos gelten, sondern nur für einen begrenzten Zeitraum.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.5.2021, 16:47:25

Spannende Frage, der Ersatz dürfte sicherlich über das Mitverschulden (§ 254 BGB) hinreichend begrenzt werden. Zum einen bereits im Hinblick auf die Kündigung des vorangegangenen Arbeitsverhältnisses. Zum anderen aber natürlich auch im Hinblick auf die Aufnahme einer neuen Beschäftigung in der Zukunft. Die Bestimmung des Ersatzes steht im Grunde im Ermessen des Gerichts (§ 287 ZPO). Dabei dürften aber Faktoren wie Alter, Arbeitsmarkt, Länge der Betriebszugehörigkeit im alten Betrieb durchaus eine Rolle spielen. Im Arbeitsrecht gilt als grobe Faustformel bei Abfindungen: 1/2 Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr. Bei diskriminierenden Nichteinstellungen gilt gem. § 15 II 2 AGG eine Obergrenze von 3 Monatsgehältern, sofern dem Arbeitgeber der Nachweis gelingt, dass der oder die Beschäftigte

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.5.2021, 16:48:57

auch bei benachteiligungsfreier Auswahl nicht eingestellt worden wäre. Dies könnten ggfs. auch in einem Fall wie dem vorliegenden Orientierungspunkte darstellen. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

Im🍑nderabilie

Im🍑nderabilie

29.8.2022, 14:32:25

Ich begreife nicht ganz, warum, beziehungsweise inwiefern, die h.M. bei diesem Fall über § 122 analog anstatt über § 276 zurechnet. Ich kann mir irgendwie keine Fallkonstellation vorstellen, bei der die Abgrenzung relevant werden könnte, weil der Abbruch von Vertragsverhandlung vermutlich immer mind. fahrlässig geschieht. Auch wird nicht ganz klar, was eigentlich genau umstritten ist, beziehungsweise was die a.A. vertritt. Könntet ihr das noch erklären? 😇

SN

Sniter

20.10.2023, 15:05:27

Hi, ich glaube da liegt ein kleines Missverständnis vor. Die hM rechnet -so wie ich das gelernt habe- schon über § 276 und nicht über § 122 zu. Die Pflichtverletzung liegt in der Fallgruppe "Nichtzustandekommen eines für den Geschädigten günstigen Vertrags" darin, dass der Schädiger einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat, den er dann enttäuscht hat - das ist ähnlich wie beim Anspruch aus § 122 BGB. Daher wird mE auf § 122 Bezug genommen.

SN

Sniter

20.10.2023, 15:08:44

Ich habe außerdem gesehen, dass es eine tvA gibt, die zum Anspruch aus §§ 280 I, 311 II, 241 II auf SE auch einen Anspruch aus § 122 BGB analog prüft; Grund sei, dass eine WE, die ausgesprochen und danach rückwirkend angefochten wird (so im Fall der Anfechtung) mit einer WE, die nicht ausgesprochen wurde, aber auf die man berechtigterweise vertraut hat (so im Fall des Nichtzustandekommens eines günstigen Vertrags), vergleichbar ist. Die hM lehnt das ab, weil die Konstruktion nicht erforderlich sei; seitdem die cic im BGB verankert ist, gibt es keine Regelungslücke mehr, die man mit der Analogie zu § 122 schließen müsste.

QUIG

QuiGonTim

2.2.2024, 22:59:37

@[Sniter](188129) Danke für deine Erklärung. :) Man kann sicherlich trefflich drüber streiten, inwiefern die hm hier richtig liegt, wenn sie Anfechtung und Abbruch von Vetragshandlung eine vergleichbare Interessenlage unterstellt. ;) Aber ich habe mir eben die gleiche Frage gestellt wie @[Im🍑nderabilie](170862). Wie sähe ein Fall aus, indem der Umweg über § 122 BGB notwendig ist, um zu einer Haftung zu gelangen?

TO

TomBombadil

19.3.2024, 19:27:09

Hallo zusammen, ich würde es gut finden, würde in der Frage nach der Pflichtverletzung direkt noch erwähnt, dass die Vertragsverhandlungen grundlos abgebrochen wurden, obwohl bereits Vertrauen geweckt wurde. Denn sonst ließe sich vermuten, dass das geweckte Vertrauen in einer Folgefrage auftaucht. (Ich meine nämlich, dass dies in einer anderen Aufgabe so gemacht wird ...)

GO

gova

27.6.2024, 15:36:54

Der Wortlaut „in zurechenbarer Weise Vertrauen erweckt“ steht sowohl in eurer Definition der Pflichtverletzung, als auch in der des Vertretenmüssens. Wie prüft man dies nun? Also prüft man Pflichtverletzung und Vertretenmüssen quasi in einem?


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