Fehlerhafte Grundstücksbewertung – Sachwalterhaftung (§ 311 Abs. 3 S. 2 BGB)


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

V beauftragt den Sachverständigen D mit der Bewertung seines Grundstücks. V veranlasst D dazu, im Gutachten einen zu hohen Grundstückswert anzugeben. K schließt mit V daraufhin einen wirksamen Kaufvertrag zu einem überhöhten Preis ab.

Einordnung des Falls

Fehlerhafte Grundstücksbewertung – Sachwalterhaftung (§ 311 Abs. 3 S. 2 BGB)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Da D nicht am Vertrag beteiligt war, scheiden vertragliche und quasi-vertragliche Ansprüche des K gegen D aus.

Nein!

Verträge begründen Verpflichtungen grundsätzlich allein zwischen den am Vertrag beteiligten Parteien (Relativität der Schuldverhältnisse). Für die cic gilt nichts anderes: Dritte werden daraus grundsätzlich weder berechtigt noch verpflichtet. Eine Ausnahme bildet § 311 Abs. 3 BGB, wonach ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 Abs. 2 auch zu Personen entstehen kann, die nicht selbst Vertragspartei werden sollen. Ein solches Schuldverhältnis "entsteht insbesondere, wenn der Dritte in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den Vertragsschluss erheblich beeinflusst."(§ 311 Abs. 3 S. 2 BGB).

2. Zwischen K und D besteht ein vorvertragliches Schuldverhältnis (§ 311 Abs. 3 BGB).

Genau, so ist das!

Bei dem vorvertraglichen Schuldverhältnis nach § 311 Abs. 3 BGB handelt es sich um eine Eigenhaftung von Vertretern und Verhandlungsgehilfen. Die wichtigsten Fälle sind: (1) die Haftung desjenigen, der ein eigenes unmittelbares, wirtschaftliches Interesse an dem Vertragsabschluss hat (sog. Prokurator in rem suam) und (2) die Sachwalterhaftung. Sachwalter sind solche Personen, die wegen ihrer besonderen Sachkunde in hohem Maße das persönliche Vertrauen des Vertragspartners in Anspruch nehmen und diesem erst dadurch die Gewähr für eine ordnungsgemäße Durchführung riskanter Geschäfte geben. D nahm als Gutachter in besonderem Maße Vertrauen für sich persönlich in Anspruch und hat dadurch eine zusätzliche persönliche Gewähr für den Wert des Grundstücks übernommen. Als Sachwalter ist er in ein vorvertragliches Schuldverhältnis mit K einbezogen.

3. K hat gegen D einen Schadenersatzanspruch aus cic (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 3 S. 2, 241 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

D hat vorsätzlich falsche Angaben zum Grundstückswert gemacht und somit seine Schutzpflicht schuldhaft verletzt. Der Schaden des K besteht in der Belastung mit einem nicht (in dieser Form) gewollten Kaufvertrag. K ist so zu stellen, wie er stünde, hätte D nicht vorsätzlich ein falsches Gutachten erstellt (=Differenzhypothese). Entweder wäre dann gar kein Kaufvertrag zustande gekommen oder aber es wäre K bei ordnungsmäßiger Aufklärung gelungen, einen für ihn günstigeren Vertrag abzuschließen. Da D keine Vertragspartei ist, kann er den Vertrag nicht aufheben. K kann von D aber zumindest die Wertdifferenz zwischen dem hypothetischen und dem tatsächlichen Kaufpreis verlangen.Die Rechtsprechung greift zur Lösung der Gutachterfälle dagegen auch nach Einführung des § 311 Abs. 3 S. 2 BGB weiter auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter zurück. Mehr dazu: hier!

4. K hat gegen D deliktische Schadensersatzansprüche.

Ja!

Schadenersatzansprüche aus § 823 Abs. 1 BGB scheiden aus, da das bloße Vermögen kein absolut geschütztes Recht darstellt. Ein Schadenersatzanspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 263 StGB scheitert an der fehlenden Absicht stoffgleicher Bereicherung. Ein Anspruch aus § 826 BGB kommt aber in Betracht: Darin, dass D dem K vorsätzlich einen zu teuren Grundstückswert nannte, liegt eine sittenwidrige Schädigung. D handelte auch zumindest mit dolus directus 2. Grades (Wissen) hinsichtlich einer Vermögensschädigung des K und damit vorsätzlich. K kann von D Schadenersatz aus § 826 BGB verlangen.

5. K kann den Kaufvertrag mit V wegen arglistiger Täuschung anfechten (§ 123 Abs. 2 BGB)

Genau, so ist das!

K wurde von D arglistig über den tatsächlichen Wert des Grundstücks getäuscht. Er unterlag einem Irrtum, der ihn zum Abschluss dieses Kaufvertrages veranlasst hat. Zwar steht D nicht „im Lager“ des V. Allerdings hatte V Kenntnis von der Täuschung des D, sodass diese dem V zugerechnet wird (§ 123 Abs. 2 BGB). In Kenntnis des wahren Werts des Grundstücks wäre gar kein Kaufvertrag zustande gekommen oder aber es wäre K bei ordnungsmäßiger Aufklärung gelungen, einen für ihn günstigeren Vertrag abzuschließen. K kann seine Willenserklärung, gerichtet auf Abschluss des Kaufvertrages, anfechten.

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IHE

Ihering92

15.4.2020, 13:48:09

Der Sachverhalt enthält keine Angaben darüber, dass D mit K Kontakt hatte

EDA

Eda

29.4.2020, 09:21:00

D ist zwar nicht Vertragspartei im schuldverhältnis jedoch nimmt er in besonderem Maße Vertrauen für sich in Anspruch und beeinflusst dadurch die Vertragsverhandlungen erheblich, weshalb nach 311 III er dieselben Schutzpflichten gegenüber K hat wie V.

GEL

gelöscht

21.8.2020, 01:39:11

Man sollte noch ergänzen, dass neben 311 III auch ein Vertrag mit sw zugunsten Dritter zwischen VK und Sachverständiger in Betracht kommt, in dessen Schutzpflichten der Käufer einbezogen werden könnte

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.8.2020, 12:50:54

Hallo 18 Punkte Kandidat, danke für die Anmerkung. Der Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter, dessen Herleitung strittig ist (h.M. ergänzende Vertragsauslegung), dessen Existenz aber allgemein anerkannt ist, hat folgende Voraussetzungen: 1. Leistungsnähe des Dritten 2. Gläubigerinteresse 3. Erkennbarkeit von 1. und 2. für den Schuldner 4. Keine eigenen inhaltsgleichen vertraglichen oder quasivertraglichen Ansprüche des Dritten Rechtsfolge ist, dass der Anspruch zum Schaden gezogen wird (genau andersrum bei der Drittschadensliquidation), der Schuldner also einen weiteren Gläubiger bekommt.

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

21.8.2020, 12:54:50

Wer soll deiner Meinung nach aus so einem Vertrag dem Käufer haften, der Verkäufer oder der Gutachter? Ich würde in beiden Fällen bereits die Leistungsnähe ablehnen, der Käufer kommt weder vergleichbar wie der Verkäufer noch wie der Gutachter mit den vertraglichen Gefahren des Gutachtervertrages in Kontakt. Spätestens beim Gläubigerinteresse muss man aber herausfliegen. Denn weder Verkäufer, noch Gutachter haben ein Interesse, dass der Käufer in die vertraglichen Schutzpflichten des Gutachtervertrages einbezogen werden.

GEL

gelöscht

21.8.2020, 13:16:58

Der Käufer könnte in den Schutzbereich des Gutachtervertrags zwischen Verkäufer und Gutachter einbezogen sein. Ich würde eine Leistungsnähe durchaus bejahen, da der Käufer genauso auf das Gutachten vertraut wie der Verkäufer. Beim Einbeziehungsinteresse des Verkäufers kommt es dann auf den Einzelfall an, ob durch eine Auslegung der WE des Verkäufers nach objektivem Empfängerhorizont eine Einbeziehung des Käufers gewollt ist. Gerade deshalb sollte man es meiner Meinung nach ergänzen.

Simon

Simon

6.10.2020, 21:39:28

Sehe ich auch so. Den Vertrag mit Schutzwirkung zu Gunsten Ditter (VSD) kann man, wie ich finde, hier durchaus in Betracht ziehen. Allerdings würde ich einen Anspruch aus VSD an dessen Subsidiarität scheitern lassen. Denn der K ist nicht schutzbedürftig: Er hat ja gg G schon einen Anspruch aus §§280 I, 311 III 2, 241 2.

Simon

Simon

6.10.2020, 21:41:45

Meine natürlich einen Anspruch gg D aus §§280 I, 311 III 2, 241 II

Ira

Ira

3.11.2020, 15:07:05

Hallo „Eigentum verpflichtet“, es ist ein wenig konfus, dass der Hinweis von „18 Punkte Kandidat“ abgelehnt, jedoch keine Stellung zu den vorherigen Kommentaren genommen wird. MMn kann eine Vertragsaufhebung !des notariell beurkundeten Kaufvertrages! nicht zwischen D und K abgewickelt werden, soweit ein VSD nicht einschlägig ist. entweder muss die Lösung angepasst, oder zumindest eine Erläuterung dazu abgegeben werden. Man sollte sich auf die Richtigkeit der Lösungen verlassen dürfen. Dies geht nur, wenn diese hinreichend begründet und für den Nutzer zumindest einigermaßen nachvollziehbar sind.

TJU

Tr(u)mpeltier junior

20.12.2020, 20:49:18

Ich würde mich hier ebenfalls den Vorrednern anschließen. In den Fällen der sog. Expertenhaftung zieht die Rechtsprechung, der Jurafuchs jedenfalls sonst immer folgt, die Haftung aus VSD einer Haftung aus 311 Abs 3 regelmäßig vor. Das gläubigerinteresse könnte insoweit bestehen, als nur durch ein Gutachten auf dessen Richtigkeit der Käufer vertrauen kann, der Zweck des Verkäufers erreicht wird. Auch ist der Käufer letztlich am meisten den Folgen eines falschen Gutachtens ausgesetzt, wodurch leistungsnähe besteht. Tatsächlich dürfte es insoweit maßgeblich auf die schutzbedürftigkeit ankommen. Hier lässt sich mE nach vieles vertreten und in der Rechtsprechung werden hierzu teilweise recht widersprüchliche Entscheidungen gefällt.

TJU

Tr(u)mpeltier junior

20.12.2020, 20:53:03

Ganz spannend hierzu vom OLG Hamm zwei pferdefällen: https://jura-online.de/blog/2013/11/26/olg-hamm-vertrag-uber-durchfuhrung-einer/ OLG Hamm (Urt. v. 5.9.2013, Az. 21 U 143/12) Bzw OLG Hamm, Urteil vom 29.05.2013 - 12 U 178/12 https://openjur.de/nw/olg_hamm.html

Vulpes

Vulpes

25.1.2022, 09:31:25

Wieso fehlt D die Absicht stoffgleicher (Dritt-)Bereicherung? Das Geld das K zu viel zahlt, ist doch stoffgleich mit dem, dass V zu viel erlangt, oder nicht?

VIC

Victor

25.1.2022, 10:02:41

Aber D will sich nicht durch das zu viel gezahlte Geld des K bereichern. Vielmehr will er sich uU durch anderweitige Zahlungen des V für die Gefälligkeit bereichern. Im Hinblick V und K liegt eine stoffgleiche Bereicherung jedoch vor. Also so wäre meine Abgrenzung und mein Verständnis.

Vulpes

Vulpes

25.1.2022, 12:39:30

Der Betrug zugunsten Dritter ist aber doch ebenfalls strafbar (vgl § 263 StGB). Er hat mE also in der Absicht gehandelt den V zu bereichern.

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.1.2022, 18:29:08

Hallo ihr beiden, in der Tat genügt für den Betrug auch die Dritt

bereicherungsabsicht

. Der entscheidende Knackpunkt ist aber, dass eben Absicht, zielgerichtetes Wollen, und nicht bloß Eventualvorsatz bezüglich der stoffgleichen Bereicherung vorliegen muss. Wie Victor schon eingewandt hat, geht es D in erster Linie um seinen eigenen Vermögensvorteil, den er indes von V bekommt. Bezüglich der Bereicherung des D liegt dagegen keine Absicht vor. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

ENU

ehemalige:r Nutzer:in

28.8.2023, 13:01:12

Du meint wohl im letzten Satz den V :) Keine Absicht des D zur Bereicherung des V, oder?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

28.8.2023, 14:30:13

Hi Aleyna, danke für den Hinweis. Absolut, da ist mir leider ein Buchstabendreher unterlaufen. Beste Grüße, Lukas

JACOB

Jacob

15.4.2022, 16:24:26

Ich habe mal gehört, dass die Haftung von Gutachtern nicht unter

§ 311 III BGB

fällt, da es ansonsten zu nicht-versicherbaren Risiken führen würde. Vielleicht könnt Ihr das nach Prüfung mit aufnehmen :)

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

20.4.2022, 13:58:57

Hallo Jacob, die Rechtsprechung löst die Fälle der Gutachterhaftung in der Tat nicht über die

Sachwalterhaftung

, sondern über den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter (vgl. zB BGH NJW 2014, 2345). In der Literatur stößt dies nach wie vor auf Kritik (MüKoBGB/Gottwald, 8. Aufl. 2019, BGB § 328 Rn. 167), da die Verfasser der Schuldrechtsreform 2002 durch Einführung des § 313 Abs. 3 S. 2 BGB gerade auch diese Fälle mit umfassen wollten (MüKoBGB/Emmerich, 8. Aufl. 2019, BGB § 311 Rn. 198). Ein Grund für den Rückgriff auf den Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter ist aber in der Tat, dass hierdurch die Möglichkeit offen bleibt, im Einzelnen die Interessen der Beteiligten und insbesondere das Haftungsrisiko des Experten zu berücksichtigen. Wir haben im Fall nun noch einen Hinweis auf den alternativen Lösungsweg der Rechtsprechung ergänzt. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

JACOB

Jacob

20.4.2022, 19:35:00

Klasse; danke für die tolle Erläuterung!

QUIG

QuiGonTim

4.2.2024, 10:39:21

Müsste in dieser Alternative Lösungsweg in einer Klausur angesprochen werden?

QUIG

QuiGonTim

20.2.2024, 11:28:33

Anscheinend werden die Fälle von Literatur (culpa in contrahendo) und Rechtsprechung (Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter) unterschiedlich gelöst. Wie geht man damit in der Klausur um? Sollte man beides prüfen? Muss man sich für einen Weg entscheiden?

Kiara256

Kiara256

13.6.2024, 11:19:21

Leider funktionieren die Links zu anderen Aufgaben nicht. Die Links zu den Gesetzestexten funktionieren hingegen einwandfrei. Ist das nur mein Problem, oder ist das ein allgemeines Problem?


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