Kündigung eines Zeitsoldaten wegen Verweigerung des Handschlags für Frauen aus religiösen Gründen
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
S ist seit drei Jahren Soldat auf Zeit. Es besteht der Verdacht, dass er sich in einem religiösen Radikalisierungsprozess befindet. Er weigert sich u.a. aus religiösen Gründen, Frauen die Hand zu geben. S wird deshalb fristlos aus dem Dienst entlassen und klagt nun dagegen.
Einordnung des Falls
Kündigung eines Zeitsoldaten wegen Verweigerung des Handschlags für Frauen aus religiösen Gründen
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 11 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ermächtigungsgrundlage für die von S angefochtene Entlassungsverfügung ist § 55 Abs. 5 SG (Soldatengesetz).
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja!
2. Soldaten trifft eine Dienstpflicht, sich zur Begrüßung gegenseitig die Hand zu geben.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Nein, das ist nicht der Fall!
3. S hat durch seine Weigerung, Frauen die Hand zu geben, die ihm obliegende Dienstpflicht zum Eintreten für die freiheitlich demokratische Grundordnung (§ 8 SG) verletzt.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja, in der Tat!
4. Die Betätigung eines Glaubens wird verfassungsrechtlich von der Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG) geschützt.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja!
5. Soldaten der Bundeswehr sind als Angehörige der öffentlichen Gewalt grundrechtsverpflichtet (Art. 1 Abs. 3 GG) und können sich deshalb gegenüber ihrem Dienstherrn nicht auf Grundrechte berufen.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Nein, das ist nicht der Fall!
6. Die Annahme einer Dienstpflichtverletzung des S verletzt seine verfassungsrechtlich geschützte Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1, Abs. 2 GG).
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Nein, das trifft nicht zu!
7. Darüber hinaus hat S auch gegen seine Dienstpflicht verstoßen, durch sein Verhalten dem Ansehen der Bundeswehr sowie der Achtung und dem Vertrauen vor seinem Amt gerecht zu werden (§ 17 Abs. 2 SG).
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja!
8. S hat seine Dienstpflichten auch schuldhaft verletzt.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Genau, so ist das!
9. Ein Verbleiben des S im Dienst würde die „militärische Ordnung der Bundeswehr“ (§ 55 Abs. 5 SG) ernstlich gefährden.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja, in der Tat!
10. Auch das „Ansehen der Bundeswehr“ (§ 55 Abs. 5 SG) wäre durch ein Verbleiben des S im Dienst ernstlich gefährdet.
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Ja!
11. Wenn die Voraussetzungen des § 55 Abs. 5 SG vorliegen, muss die zuständige Behörde den betroffenen Soldaten fristlos entlassen (sog. gebundene Entscheidung).
Diese Rechtsfrage lösen [...Wird geladen] der Jurist:innen in Studium und Referendariat richtig.
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurafuchs kostenlos testen
GingerCharme
18.4.2020, 11:43:52
Bei der ersten Frage ist die Norm aus dem Soldatengesetz nicht eingepflegt, könnte man noch nachholen, damit man direkt wie gewohnt in der App den Gesetzeswortlaut vor Augen hat. Übrigens tolle App und gute Arbeit die ihr leistet!

Christian Leupold-Wendling
19.4.2020, 23:46:03
Hi, danke vielmals für die Blumen! Freuen wir uns sehr drüber. Gesetz ist jetzt auch korrekt verlinkt. Herzl Gruß
Philipp Paasch
12.9.2022, 22:52:35
Die Entscheidung ist so beim besten Willen nicht nachzuvollziehen. Frauen anders zu begrüßen ist eine Sache des persönlichen Geschmacks. Auch wie die Schlagkraft der Truppe gefährdet sein soll, ist vollkommen an den Haaren herbeigezogen. Da sind wohl noch andere vermeintliche Gründe aufgetreten, die sich im Urteil nicht wiederfinden. 🙈

Nora Mommsen
13.9.2022, 11:32:10
Hallo Philipp Paasch, die Bundeswehr ist dem Grundgesetz verpflichtet und dieses schreibt die Gleichstellung von Mann und Frau vor. Im privaten Rahmen einen Unterschied zu machen ist eine Sache des persönlichen Geschmacks, im dienstlichen Rahmen gerade nicht. Zudem hat das Gericht hier weiter gedacht als nur über den Handschlag. Wenn S "schon" beim Handschlag einen Unterschied macht, ist es nicht fernliegend, dass dies auch im Rahmen eines Einsatzes geschieht. Der Bogen zur Schlagkraft der Truppe ist weit, aber in einer im schlimmsten Fall bewaffneten Kampfsituation möchte sich wohl keiner auf Zweifel verlassen müssen, ob das Verhalten im Zusammenspiel mit Männern und Frauen jeweils gleich verlässlich und vorhersehbar ist. Dies war die Ratio des Gerichts. Aufgrund der besonderen Stellung und den besonderen Aufgaben der Bundeswehr ist ein strenger Maßstab anzulegen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

GilgameshTG
13.12.2022, 19:17:14
Ungleichbehandlung als "Frage des Geschmacks" zu bezeichnen halte ich insbesondere für Juristen fragwürdig.
n00b
25.1.2023, 16:32:08
Der Kommentar könnte noch als "Recht auf Vergessen III" Rechtsgeschichte schreiben. Konnte ich mir jetzt nicht verkneifen.
SoBobo
27.4.2023, 13:44:52
Die Klageart müsste doch dann eine Feststellungsklage gewesen sein, oder?
QuiGonTim
3.12.2023, 19:05:32
Nach dem Beschluss des OVG richtete sich die Klage vor dem VG gegen den Entlassungsbescheid. Dem würde ich aus dem Bauch heraus VA-Qualität einräumen und hier eher von einer Anfechtungsklage ausgehen.
Strand Spaziergang
11.5.2023, 22:16:40
Was ist praktische Konkordanz?
GingerCharme
11.5.2023, 23:32:08
Den Wortursprung kann ich jetzt nicht genau erklären, ich glaube es stammt aus biblischen Verzeichnissen und diente einer Bildung von Reihenfolgen. Gemeint ist aber, dass mehrere Grundrechte betroffen sind, sodass eine Rechtfertigung nicht auf die Wahrung des einen gestützt werden kann, ohne das andere zu missachten/benachteiligen. Deshalb müssen beide "im Wege der praktischen Konkordanz in schonenden Ausgleich" gebracht werden. Sprich: man ist sich bewusst, dass ein Grundrechts(-träger) den kürzeren ziehen muss, wenn man jedoch gewissenhaft abwägt, welches Grundrecht wie betroffen ist und ob es Alternativlösungen gibt, dann lässt sich eventuell eine Lösung finden, durch die möglichst geringe Nachteile für beide Grundrechtspositionen entstehen. Dies ist mWn besonders bei sich gegenüberstehenden, vorbehaltlos garantierten Grundrechten der Fall. Hoffe das hilft, war frei aus der Hüfte geschossen, vielleicht hat ja noch jemand etwas zu ergänzen ☺️
Strand Spaziergang
13.5.2023, 10:27:46
Deine Erklärung hat mir sehr geholfen☺️ Super, vielen Dank☺️