Öffentliches Recht

Staatsorganisations-Recht

Strukturprinzip Rechtsstaat

Neutralität von Amtsträgern ("Licht aus" Dügida)

Neutralität von Amtsträgern ("Licht aus" Dügida)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Oberbürgermeister OB lässt während einer Versammlung der islamfeindlichen „Dügida“-Bewegung die Beleuchtung städtischer Gebäude ausschalten. Auf seiner amtlichen Website ruft OB zur Nachahmung auf sowie dazu, sich der Gegendemonstration „Demokratie und Vielfalt“ anzuschließen. „Dügida“s Versammlungsleiterin V hält dies für rechtswidrig.

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Einordnung des Falls

Neutralität von Amtsträgern ("Licht aus" Dügida)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. V kann nach der Versammlung per Fortsetzungsfeststellungsklage rügen, dass die Maßnahmen des OB rechtswidrig waren.

Nein!

Die Fortsetzungsfeststellungsklage setzt voraus, dass die Klägerin Feststellung der Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts begehrt (§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO). Das Löschen der Gebäudebeleuchtung und die Aufrufe waren mangels Regelungswirkung keine Verwaltungsakte (§ 35 S. 1 VwVfG), sondern Realakte. V kann die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen im Wege der Feststellungsklage feststellen lassen (§ 43 Abs. 1 VwGO). Erledigt sich die Maßnahmen typischerweise so kurzfristig, dass gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptstachen nicht rechtzeitig erlangt werden kann, besteht das erforderliche Feststellungsinteresse (Rdnr. 11 ff.).
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2. Das Löschen der Beleuchtung und die Aufrufe des OB sind rechtswidrig, weil es keine gesetzliche Befugnis dafür gibt.

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach dem Vorbehalt des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) bedarf jedes staatliche Eingriffshandeln einer gesetzlichen Rechtsgrundlage. Nach umstrittener Rechtsprechung des BVerfG folge die Befugnis zu staatlichem Informationshandeln und amtlichen Äußerungen jedoch unmittelbar aus der Aufgabe der Staatsleitung (vgl. Art. 65 GG).Im Fall des OB leitet diese sich aus dem Grundsatz der Aufgabenzuweisung der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 S. 1 GG) her. Sie ist begrenzt durch den Zuständigkeitsbereich des Amtsträgers, hier also auf alle Themen der örtlichen Gemeinschaft (Ls. 1, RdNr. 16 ff.).

3. Mit seinen Maßnahmen verletzt OB das strikte Neutralitätsgebot bei amtlichen Äußerungen gegenüber V.

Nein, das trifft nicht zu!

Staatliches Informationshandeln und amtliche Äußerungen sind an Grundrechte und an Recht und Gesetz gebunden (Art. 1 Abs. 3, 20 Abs. 3 GG). Staatsorganen ist es nicht per se untersagt, am politischen Meinungskampf teilzunehmen. Wegen des Anspruchs politischer Parteien auf Chancengleichheit (Art. 21 Abs. 1 S. 1 GG) dürfen sie dabei aber nicht – wie hier - die Amtsautorität oder amtliche Ressourcen in Anspruch nehmen (Neutralitätsgebot).V kann sich mangels Eigenschaft als politische Partei und mangels einer mit politischen Parteien vergleichbaren Interessenlage darauf jedoch nicht berufen (Ls. 2, RdNr. 23 ff.).

4. Mit dem Löschen der Beleuchtung städtischer Gebäude und dem Aufruf zur Nachahmung verstößt OB gegen das Sachlichkeitsgebot bei amtlichen Äußerungen.

Ja!

Grenze amtlicher Äußerungen ist das Sachlichkeitsgebot. Danach dürfen Tatsachen nicht unzutreffend wiedergegeben werden, Werturteile nicht auf sachfremden Erwägungen beruhen und die demokratische Willensbildung nicht lenkend beeinflusst werden (Demokratieprinzip). Deshalb dürfen Amtsträger die Ebene argumentativer Auseinandersetzung nicht verlassen und Vertreter anderer Meinungen weder ausgrenzen noch diskreditieren, solange diese keine Strafgesetze verletzen.Das Löschen der Lichter und der Aufruf zur Nachahmung setze sich als symbolische Missbilligung der V argumentativ nicht mit ihr auseinander und sei für eine diskursive Auseinandersetzung nicht offen (RdNr. 26 ff.).

5. OB‘s Aufruf zur Teilnahme an der Gegendemonstration hält die Grenzen des Sachlichkeitsgebot bei amtlichen Äußerungen ein.

Nein, das ist nicht der Fall!

So noch die Vorinstanz OVG Münster: Der Aufruf zur Teilnahme an der friedlichen Gegendemonstration sei als Identifikation mit dem Motto der Gegendemonstration und als inhaltliche Auseinandersetzung mit „Dügida“ zu verstehen.Anders das BVerwG: Der Aufruf verfolge das Ziel, die Versammlung der V zu schwächen und die Gegendemo zu stärken. Er nehme damit lenkenden Einfluss auf die Grundrechtsausübung der Bürger. Der Wettbewerb zwischen gegenläufigen friedlichen Versammlungen sei aber Teil der staatsfreien demokratischen Meinungsbildung der Bevölkerung und darf staatlich nicht beeinflusst werden (RdNr. 31).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

OFAC

omnimodo facturus

7.7.2022, 14:59:39

Wie so oft überzeugt auch hier das OVG Münster.

EB

Elias Von der Brelie

2.8.2023, 15:32:42

Für mich sahen beide Meinungen gut Vertretbar aus.

DIAA

Diaa

24.7.2024, 14:35:13

Ich verstehe nicht, wieso bei der Frage zur Neutralitätsgebot auf die politische Seite der V abgestellt wird; so hieß es: "V kann sich mangels Eigenschaft als politische Partei und mangels einer mit politischen Parteien vergleichbaren Interessenlage darauf jedoch nicht berufen (Ls. 2, RdNr. 23 ff.).". Es sind doch nicht nur Parteien, die sich auf Einhaltung des Neutralitätsgebotes berufen können. Ich checke die Antwort auf die Frage nicht.

LEO

Leonie

30.7.2024, 13:28:55

Ich habe es so verstanden, dass sich die Aussage nur auf das Neutralitätsgebot iSd Chancengleichheit bei Parteien (Art. 21) bezog. Und weil V keine Partei ist, kann er/sie sich nicht auf die Ungleichbehandlung berufen, die bei Parteien rechtswidrig wäre.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

22.8.2024, 17:39:52

Danke für Deine Frage @[Diaa](211889) und danke für die zutreffende Antwort @[Leonie](260217). Nochmal zur Klarstellung @[Diaa](211889): Wie in unserer Ausarbeitung klargestellt, schützt das Neutralitätsgebot nur politische Parteien. Denn es folgt aus Art. 21 Abs. 1 GG und dem besonderen und herausgehobenen Schutz, den Parteien im Verfassungsgefüge des Grundgesetzes genießen. Politische Gruppierungen – wie hier die Dügida-Bewegung –, die keine Parteien i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GG sind, fallen nicht unter diesen besonderen Schutz. Sie werden gleichwohl durch das Sachlichkeitsgebot geschützt, das für jedes staatliche Handeln gilt. Hoffe das hilft! Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

carlotka

carlotka

19.8.2024, 13:25:22

Ich verstehe die Antwort ehrlich gesagt auch nicht ganz. Wenn ich das richtig verstehe, liegt doch eine Verletzung des Neutralitätsgebots vor. Daran ändert doch die Tatsache nichts, dass sich der Verein nicht darauf berufen kann, oder etwa doch? Für mich sind das zwei verschiedene Aspekte.

Wendelin Neubert

Wendelin Neubert

22.8.2024, 17:43:30

Hallo @[carlotka](251475)! Das Neutralitätsgebot ist hier nicht einschlägig. Denn es schützt nur politische Parteien i.S.d. Art. 21 Abs. 1 GG vor nicht-neutralen amtlichen Äußerungen. Politische Gruppierungen, die wie die Dügida-Bewegung hier im Fall keine politischen Parteien sind, können sich nicht auf das Neutralitätsgebot berufen. Staatliche Äußerungen gegenüber Gruppierungen, die keine Parteien sind, müssen sich nicht am Maßstab des Neutralitätsgebots messen lassen. Deshalb ist das Neutralitätsgebot hier nicht einschlägig (wenn Du so willst, ist sein Schutzbereich nicht eröffnet, auch wenn das dogmatisch nicht ganz zutreffend ist, weil es hier nicht um Grundrechte geht). Deshalb kommst Du gar nicht zu der Frage, ob das Neutralitätsgebot gegenüber V verletzt ist, weil V sich darauf gar nicht berufen kann. Maßstab für die Rechtmäßigkeit der amtlichen Äußerung gegenüber V ist dann allein das staatliche Sachlichkeitsgebot, das für jedes staatliche Handeln gilt. Hoffe das hilft. Beste Grüße - Wendelin für das Jurafuchs-Team

carlotka

carlotka

24.8.2024, 12:29:27

Danke für die ausführliche Antwort, das hat mir sehr geholfen! :)


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