+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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Rentnerin Rita, deutsche Staatsangehörige, liebt Nicaragua. Sie beantragt die nicaraguanische Staatsangehörigkeit, die ihr von Nicaragua auch verliehen wird. Die zuständige deutsche Behörde teilt Rita mit, dass sie ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat. Rita will das nicht.

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Einordnung des Falls

Grundfall

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Das Grundgesetz schützt deutsche Staatsangehörige vor dem Entzug ihrer Staatsangehörigkeit.

Ja, in der Tat!

Dies bestimmt Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Art. 16 Abs. 1 GG ist nur äußerst selten Gegenstand von Klausuren und kommt eher mal als Zusatzfrage in einer mündlichen Prüfung dran. Hier sind absolute Basiskenntnisse und gute Arbeit am Normtext ausreichend.
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2. Ist nach Art. 16 Abs. 1 GG jede Form des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit verfassungsrechtlich untersagt?

Nein!

Nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG ist der Entzug der Staatsangehörigkeit untersagt. Nach Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG ist hingegen der Verlust der Staatsangehörigkeit zulässig, sofern er auf Grund eines Gesetzes erfolgt und der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird. In der Folge stellt sich die Frage, in welchem Verhältnis der Entzug (Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG) und der Verlust (Art. 16 Abs. 1 S. 2 GG) der Staatsangehörigkeit zueinander stehen.

3. Der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG ist verboten. Bedeutet dies, dass jeder Verlust der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen verboten ist?

Nein, das ist nicht der Fall!

Der Entzug der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG) ist nicht identisch mit dem Verlust der Staatsangehörigkeit gegen den Willen des Betroffenen. Denn dann würde die Regelung des Art. 16 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG keinen Sinn ergeben, wonach der Verlust gegen den Willen des Betroffenen zulässig ist, wenn der Betroffenen dadurch nicht staatenlos wird. Damit enthält Art. 16 Abs. 1 GG drei Konstellationen: (1) Verlust der Staatsangehörigkeit mit Willen des Betroffenen (Art. 16 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 GG), (2) Verlust der Staatsangehörigkeit ohne Willen des Betroffenen, aber mit der Möglichkeit, den Verlust zu beeinflussen (Art. 16 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG); (3) Entzug der Staatsangehörigkeit, also Verlust ohne den Willen und ohne Zutun und Beeinflussbarkeit des Betroffenen (Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG). Der kategoriale Schutz vor Entzug der Staatsangehörigkeit (Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG) erklärt sich vor dem Hintergrund der historischen Praxis, unliebsame Personen auszubürgern.

4. Dass Rita hier die deutsche Staatsangehörigkeit verloren hat, stellt einen Entzug dar und verstößt gegen Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG.

Nein, das trifft nicht zu!

Nach Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG ist der Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit verfassungsrechtlich verboten. Entzug meint den Verlust der Staatsangehörigkeit gegen den Willen, ohne dass der Betroffene den Verlust zumutbar beeinflussen konnte. Rita hat hier selbst entschieden, eine ausländische Staatsangehörigkeit - die von Nicaragua - zu erwerben. Dass sie in der Folge die deutsche Staatsangehörigkeit gemäß §§ 17 Abs. 1 Nr. 2, 25 StAG verliert, geschieht zwar gegen ihren Willen. Sie konnte dies aber selbst beeinflussen, da sie selbst sich für die Beantragung und Annahme einer ausländischen Staatsangehörigkeit entschieden hat. Es liegt kein Fall von Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG, sondern von Art. 16 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 GG vor. Der Verlust erfolgte gegen ihren Willen, aber auf gesetzlicher Grundlage. Rita ist dadurch auch nicht staatenlos geworden (Art. 16 Abs. 1 S. 1 GG a.E.).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

G0D0FM

G0d0fMischief

29.8.2024, 13:53:29

§ 25 StAG wurde aufgehoben, sodass fortan auch die Mehrstaatlichkeit generell hingenommen wird, vgl. https://www.bva.bund.de/DE/Services/Buerger/Ausweis-Dokumente-Recht/Staatsangehoerigkeit/Beibehaltung/_documents/Hinweis_Gesetz.html#:~:text=Durch%20das%20neue%20Gesetz%20soll,Juni%202024%20entfallen%20wird.


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