Aufrechnung durch einen Gesamtschulder

19. Mai 2025

11 Kommentare

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Lawra (L) und Justus (J) mieten von Vermieter V eine Wohnung. V kommt vorbei um die €1000 Miete einzutreiben. Da V kurz zuvor Js Rennrad beschädigt hat (Schaden: €1000), möchte J aufrechnen. V wendet ein, dies sei nicht möglich. Er verlange die volle Miete von L und nicht von J.

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Einordnung des Falls

Aufrechnung durch einen Gesamtschulder

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. L und J sind als Gesamtschuldner jeweils einzeln verpflichtet, die gesamte Miete zu bezahlen (§ 535 Abs. 2, 421 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Gesamtschuld liegt nach h.M. vor, wenn (1) mehrere Schuldner zur Erbringung der vollen Leistung verpflichtet sind, (2) der Gläubiger diese nur einmal fordern darf, (3) ein gleichartiges Leistungsinteresse vorliegt und (4) die Schuldner gleichstufig haften. Haben sich die Schuldner vertraglich zur Erbringung der Leistung verpflichtet, so sind sie im Zweifel zur vollen Leistung verpflichtet (§ 427 BGB).Eine explizite Abrede besteht nicht, weswegen L und J jeweils in voller Höhe für die Miete haften. Es handelt sich um den gleichen Leistungsgegenstand und sie haften auch gleichrangig.
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2. Muss L noch einmal zahlen, wenn J die geschuldete Miete bereits in voller Höhe bezahlt?

Nein!

Zwar steht dem Gläubiger gegen die Gesamtschuldner jeweils ein eigenes Forderungsrecht zu. Er ist indes nur berechtigt, die Forderung einmal zu verlangen (§ 421 S. 1 BGB). Die Erfüllung der Forderung durch einen Gesamtschuldner, befreit auch die übrigen Gesamtschuldner von ihrere Leistungspflicht gegenüber dem Gläubiger (Gesamtwirkung, § 422 Abs. 1 S. 1 BGB).Achtung: Abweichend von § 362 Abs. 1 BGB sind die übrigen Gesamtschuldner nur gegenüber dem Gläubiger von der Leistungspflicht befreit. Die Forderung erlischt nicht, sondern geht (teilweise) auf den leistenden Gesamtschuldner über (§ 426 Abs. 2 S. 1 BGB).

3. Tritt die Gesamtwirkung bei der Gesamtschuld nur bei Leistung durch Erfüllung ein (§ 422 Abs. 1 BGB)?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Gesamtwirkung tritt nicht nur bei der Leistung durch Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) ein. Vielmehr ordnet § 422 Abs. 1 S. 2 BGB diese Wirkung auch bei Erfüllungssurraten, wie z.B. der Aufrechnung an.

4. Kann V die Aufrechnung durch J dadurch verhindern, dass er die Leistung nur von L verlangt?

Nein, das trifft nicht zu!

Dem Gläubiger steht kein Zurückweisungsrecht zu. Ein Gesamtschuldner kann auch dann die Gesamtwirkung nach § 422 Abs. 1 BGB bewirken, er nicht direkt vom Gläubiger in Anspruch genommen wird. Im Hinblick auf die Wirkung der Aufrechnung ist unerheblich, dass V die Miete nur von L verlangt. Liegen die Voraussetzungen der Aufrechnung vor (Aufrechnunglage, -erklärung, kein Ausschluss), werden L und J beide von ihrer Leistungspflicht gegenüber V befreit.Gesamtschuldner können nur mit eigenen Forderungen aufrechnen, nicht aber mit der Forderung eines anderen Gesamtschuldners (§ 422 Abs. 2 BGB). Denn das Verfügen über eine fremde Schuld ist unzulässig.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

CR7

CR7

6.3.2023, 15:17:50

Ich verstehe hier nicht so recht, ob jetzt V die L Anspruch nehmen kann oder nicht. Warum kann V die L nicht in Anspruch nehmen?

SE.

se.si.sc

6.3.2023, 15:41:19

Ergebnis ist, dass V die L NICHT in Anspruch nehmen kann. Wie in der Lösung dargestellt, liegt das an der Wirkung der

Aufrechnung

durch J nach § 422 I 2 BGB. Danach wirkt die vorgenommene

Aufrechnung

durch J auch zugunsten von L als anderem Gesamt

schuld

ner, wie es § 422 I 1 BGB bestimmt. Zum Verständnis kann man sich zunächst ein Zweipersonenverhältnis zwischen V und J vorstellen, dann ist das Ergebnis klar: J rechnet auf, die Mietforderung des Vermieters erlischt nach §

389 BGB

. Die Frage ist jetzt, ob sich daran bei Gesamt

schuld

nern etwas ändert. Einer der Gesamt

schuld

ner rechnet wirksam auf, der Gläubiger verlangt von einem anderen Gesamt

schuld

ner Zahlung. Das soll nach § 422 I BGB eben gerade nicht gehen. Das leuchtet auch ein, sonst würde der Gläubiger die Forderung ja zwei Mal erhalten. Die

Erfüllung

durch einen der Gesamt

schuld

ner muss daher notwendigerweise Gesamtwirkung haben und (auch) für die anderen Gesamt

schuld

ner gelten.

CR7

CR7

6.3.2023, 15:58:06

Wow. Vielen Dank für deine ausführliche Antwort :-)

Jurakatze1987

Jurakatze1987

28.8.2023, 22:23:31

Bei der Antwort fehlt im ersten Kästchen von oben ein Wort.

CR7

CR7

19.6.2024, 17:03:54

Genau, es fehlt im Maßstab ein „wenn“.

Juan

Juan

2.4.2025, 15:04:00

Tut es immer noch...

OKA

okalinkk

29.3.2025, 11:33:38

ist es so, dass sobald ein

Schuld

ner mit einer Forderung aufrechnet, welche ihm selbst zusteht, diese

Aufrechnung

allen Gesamt

schuld

nern gegenüber wirkt gem 422 I 2 BGB. Dabei ist es unerheblich, ob der zur

Aufrechnung

berechtigte Gesamt

schuld

ner oder der andere Gesamt

schuld

ner (der selbst nicht aufrechnen kann, weil ihm die Forderung nicht zusteht) vom Gläubiger in Anspruch genommen wird. 422 II BGB sagt lediglich, dass der eine

Schuld

ner, dem diese Forderung nicht zusteht, nicht SELBST mit dieser

fremd

en Forderung aufrechnen kann? sobald aber ein anderer Gesamt

schuld

ner mit einer Forderung, welche diesem zusteht aufrechnet, wirkt das auch für den anderen Gesamt

schuld

ner gem 422 I 2 BGB?

paulmachtexamen

paulmachtexamen

15.4.2025, 17:58:59

Könnte denn L für J aufrechnen, wenn J nicht aufrechnen möchte? Quasi nach dem RGed des 770 II.

LMA

Lt. Maverick

7.5.2025, 13:39:47

Nein, das regelt § 422 II BGB ausdrücklich. Es fehlt bereits an der Gegenseitigkeit, da L die Forderung gegen V selbst nicht zusteht, sondern nur J. J könnte berechtigte Gründe dafür haben die

Aufrechnung

nicht zu erklären. Vielleicht besteht noch eine andere Forderung des V gegen J, die dem J lästiger ist als die Mietforderung, sodass die

Aufrechnung

in Bezug auf diese andere Forderung erfolgen soll. Darüber hinaus kann es sein, dass die L dem J gegenüber unzuverlässiger als der V ist. J möchte dann seine Forderung (€1000) gegen V nicht durch

Aufrechnung

verlieren und der L „ewig“ hinterherrennen, um seinen Ausgleich zu erhalten.


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