Strafrecht

Strafrecht Allgemeiner Teil

Objektive Zurechnung

Kein atypischer Kausalverlauf („Autobahndrängelfall“)

Kein atypischer Kausalverlauf („Autobahndrängelfall“)

23. November 2024

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leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
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Klassisches Klausurproblem

Testfahrer F nähert sich auf der Autobahn mit hoher Geschwindigkeit der B. F unterschreitet den nötigen Sicherheitsabstand deutlich. B erschrickt und lenkt ihr Auto ruckartig auf die rechte Spur. Sie verliert die Kontrolle, prallt gegen einen Baum und stirbt.

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Einordnung des Falls

Autobahndrängelfall LG Karlsruhe, NJW 2005, 915 (kein atypischer Kausalverlauf)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. F ist der Tod der B objektiv zuzurechnen.

Ja, in der Tat!

Objektiv zurechenbar ist ein Erfolg, wenn der Täter (1) eine rechtlich missbilligte Gefahr geschaffen und (2) sich genau diese Gefahr im Erfolg realisiert hat. Ein atypischer Kausalverlauf ist gegeben, wenn dieser so sehr außerhalb der allgemeinen Lebenserfahrung liegt, dass mit ihm vernünftigerweise nicht gerechnet zu werden braucht.F hat sich grob verkehrswidrig verhalten. Es handelt sich nicht um einen außergewöhnlichen Kausalverlauf, wenn ein massiv bedrängter Fahrer ein abruptes Ausweichmanöver vornimmt. Es liegt zudem nahe, dass aus dem Ausweichmanöver ein folgenschwerer Unfall erwächst.
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2. F hat den Tod der B kausal verursacht.

Ja!

Rspr. und hL bestimmen die Kausalität überwiegend nach der Äquivalenztheorie (= conditio-sine-qua-non-Formel). Eine Handlung ist danach kausal, wenn sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele.Hätte sich F nicht mit hoher Geschwindigkeit der B genähert, ohne dabei den erforderlichen Sicherheitsabstand einzuhalten, hätte sich B nicht erschreckt und wäre nicht infolge der unkontrollierten Ausweichreaktion tödlich verunglückt.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

🦊²

🦊²

28.10.2020, 17:04:16

Könnnte die

objektive Zurechnung

nicht am Normzweck scheitern?

Eigentum verpflichtet 🏔️

Eigentum verpflichtet 🏔️

28.10.2020, 20:02:34

Hallo, da liegt sicher ein Knackpunkt unseres Falles. Wie du in unserem Fall lesen kannst, hat das LG Karlsruhe hier die

objektive Zurechnung

bejaht. Der Normzweck des Sicherheitsabstands erschöpft sich nicht im notwendigen Bremsweg, sondern erstreckt sich auch darauf, andere Verkehrsteilnehmer nicht zu erschrecken. Demnach

Schutzzweck der Norm

hier (+), aA nur schwer vertretbar.

CH

Christiane

23.11.2021, 20:41:02

Könnte es nicht auch ein eigenverantwortliches Dazwischentreten der B sein?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

24.11.2021, 10:02:52

Hallo Christiane, sehr gute Frage! Der Täter muss sich indes auch die negativen Folgen zurechnen lassen, die aufgrund eines nachvollziehbaren Verhaltens des Opfers ausgelöst wurden. Nur weil B also erschrickt und infolgedessen fehlerhaft zur Seite lenkt, schließt das die Verantwortlichkeit des F nicht aus. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

DeliktusMaximus

DeliktusMaximus

3.8.2022, 11:45:57

Prüft man den atypischen Kausalverlauf nicht innerhalb der Kausalität und nicht erst in der objektiven Zurechnung?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

3.8.2022, 11:54:00

Hallo DeliktusMaximus, für die Bejahung der Kausalität ist es erst einmal irrelevant, wie wahrscheinlich ein Kausalverlauf ist. Es genügt nach der conditio-sine-qua-non-Formel, dass die Handlung des Täters nicht hinweggedacht werden kann, ohne, dass der tatbestandsmäßige Erfolg entfallen würde. Da allein das Abstellen auf den Kausalzusammenhang aber zu einer sehr ausufernden Strafbarkeit führen würde, wird dies in der Literatur durch das Kriterium der objektiven Zurechnung begrenzt (die Rspr. löst dies über den subjektiven Tatbestand, indem sie bei den entsprechenden Fällen den

Vorsatz

verneint). Im Rahmen der objektiven Zurechnung wird sodann u.a. geprüft, ob ein

atypischer Kausalverlauf

vorlag. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team

FERD

Ferdinand

6.12.2023, 12:01:40

Gibt es einen Unterschied zwischen einem atypischen und einem außergewöhnlichen Kausalverlauf?

Nora Mommsen

Nora Mommsen

8.12.2023, 11:22:53

Hallo Ferdinand, herzlich willkommen im Jurafuchs-Forum! Ich nehme an, dass dir der Begriff außergewöhnlicher Kausalverlauf auch im Rahmen einer Strafrechtsvorlesung begegnet ist. Da diese Terminologie nicht legal definiert ist, gibt es für diese Problematik eine Reihe von Bezeichnungen. Die des atypischen Kausalverlaufs ist wohl die gebräuchlichste. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

ZLA

Zlatan1328

19.12.2023, 12:25:06

Ist hier auch eine aA vertretbar?

Bubbles

Bubbles

19.12.2023, 12:59:06

Das BayOblG hatte mal (wurde vom BGH abgelehnt) vertreten, dass allein aus der - auch erheblichen - Unterschreitung des Sicherheitsabstandes noch keine konkrete Gefährdung des Vordermannes hergeleitet werden könne. Es müssten weitere Umstände hinzukommen, die die ernstliche Befürchtung begründen, dieses Unterschreiten könne gerade im gegebenen Fall zu einem Auffahren führen. (BGH NJW 1969, 939; BayOblG NJW 1968, 1800) Daher könnte man mMn theoretisch argumentieren, dass allein durch das Unterschreiten des Sicherheitsabstandes noch keine rechtlich missbilligte Gefahr iSd objektiven Zurechnung geschaffen wurde.

HGWrepresent

HGWrepresent

15.10.2024, 20:53:29

Zeit Verbrechen hat einen ganz spannenden Podcast zu dem Fall gemacht, wer sich tiefer informieren möchte


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