Anscheinsvollmacht

21. November 2024

4,8(28.865 mal geöffnet in Jurafuchs)

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs
Tags
Klassisches Klausurproblem

Angestellte A bestellt oft Büromaterial bei B für U, obwohl sie dazu nicht berechtigt ist. U wundert sich zwar, dass das Büromaterial nie ausgeht, denkt sich aber nichts dabei. Als eines Tages ein besonders großes Paket von B ankommt, verweigert U die Zahlung.

Diesen Fall lösen 76,9 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.

Einordnung des Falls

Anscheinsvollmacht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A hat bei den Bestellungen jeweils eine eigene Willenserklärung in fremdem Namen abgegeben (§ 164 Abs. 1 BGB).

Ja, in der Tat!

Eine Hilfsperson gibt eine eigene Willenserklärung ab, wenn sie aus Sicht eines objektiven Empfängers über ein gewisses Maß an Entschließungsfreiheit verfügt. Die Willenserklärung gilt als in fremdem Namen abgegeben, wenn nach außen erkennbar ist, dass sie für einen anderen, nämlich den Vertreter gelten soll. A konnte erkennbar selbst entscheiden, welche Materialien sie bestellt und handelte damit erkennbar mit einem gewissen Maß an Entschließungsfreiheit. Ferner hat sie ausdrücklich im Namen des U gehandelt.
Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und tausende Fälle wie diesen selbst lösen.
Erhalte uneingeschränkten Zugriff alle Fälle und erziele Spitzennoten in
Jurastudium und Referendariat.

2. U hat A durch seine Untätigkeit konkludent eine Vollmacht zur Bestellung von Büromaterial erteilt.

Nein!

Die Erteilung rechtsgeschäftlicher Vertretungsmacht kann durch eine ausdrückliche oder konkludente Willenserklärung erfolgen. Auch eine konkludente Willenserklärung erfordert jedoch einen entsprechenden Rechtsbindungswillen des Handelnden. Für einen objektiven Beobachter muss erkennbar der Wille hervortreten, dass der Handelnde Vertretungsmacht erteilen möchte. Allein aus dem Umstand, dass U nichts gegen die Bestellungen der A unternahm, lässt sich nicht entnehmen, dass er der A eine entsprechende Vollmacht erteilen wollte. Vielmehr wusste er gar nichts davon, dass A die Bestellungen regelmäßig tätigt.

3. A konnte U wirksam gegenüber B verpflichten, da eine Duldungsvollmacht bestand.

Nein, das ist nicht der Fall!

Eine Duldungsvollmacht hat nach h.M. die Rechtsnatur einer Rechtsscheinvollmacht (nach a.A. handelt es sich um eine konkludent erklärte Vollmacht). Sie setzt voraus: (1) Der Vertreter tritt im Namen des Geschäftsherrn auf (=Rechtsschein), (2) der Geschäftsherr ist geschäftsfähig, kennt und duldet das Verhalten (=Zurechenbarkeit), (3) der Geschäftsgegner nimmt eine Disposition (Vertragsschluss) vor im Vertrauen auf den Rechtsschein (=Kausalität), (4) Geschäftsgegner ist gutgläubig (entsprechend § 173 BGB). Nach h.M. kann schon ein einmaliges Gewährenlassen eine Duldungsvollmacht begründen, wiederholtes Dulden ist demnach nicht erforderlich. Begründet liegt dies darin, dass es bei der Duldungsvollmacht um wissentliches Dulden geht. Bei positiver Kenntnis ist der Geschäftsherr bereits bei einmaligem Auftreten und Dulden nicht schutzwürdig. U wusste nichts von den Bestellungen der A. Er hatte keine positive Kenntnis davon, sondern allenfalls fahrlässige Unkenntnis.

4. A konnte U wirksam gegenüber B verpflichten, da eine Anscheinsvollmacht bestand.

Ja, in der Tat!

Eine Anscheinsvollmacht setzt voraus: (1) Der Vertreter tritt von gewisser Dauer und mit gewisser Häufigkeit im Namen des Geschäftsherrn auf (=Rechtsschein), (2) der Geschäftsherr ist geschäftsfähig, er kennt die unbefugte Vertretung nicht, hätte sie aber erkennen können (=Zurechenbarkeit), (3) der Geschäftsgegner nimmt eine Disposition (Vertragsschluss) vor im Vertrauen auf den Rechtsschein (=Kausalität), (4) Geschäftsgegner ist gutgläubig (entsprechend § 173 BGB). A nimmt wiederholt Bestellungen für U vor. U hatte keine Kenntnis davon. Bei pflichtgemäßer Sorgfalt hätte U die nicht autorisierten Bestellungen aber erkennen und verhindern können. Es bestand eine Anscheinsvollmacht.
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen
Jurafuchs
Eine Besprechung von:
Jurafuchs Brand
facebook
facebook
facebook
instagram

Jurafuchs ist eine Lern-Plattform für die Vorbereitung auf das 1. und 2. Juristische Staatsexamen. Mit 15.000 begeisterten Nutzern und 50.000+ interaktiven Aufgaben sind wir die #1 Lern-App für Juristische Bildung. Teste unsere App kostenlos für 7 Tage. Für Abonnements über unsere Website gilt eine 20-tägige Geld-Zurück-Garantie - no questions asked!


Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

FW

FW

5.11.2024, 19:21:33

Ist mehrmaliges Auftreten notwendig oder reicht bereits das einmalige Auftreten aus?

MerkurMagie

MerkurMagie

11.11.2024, 19:15:51

Bei einer

Duldungsvollmacht

genügt einmaliges Auftreten. Bei einer

Anscheinsvollmacht

ist hingegen nach h.M. ein mehrmaliges Auftreten erforderlich. Dadurch wird der Wertung Rechnung getragen, dass der Vertretene bei der

Duldungsvollmacht

wenigstens

positive Kenntnis

über dieses eine Mal hatte und es sofort hätte unterbinden können. Bei einer

Anscheinsvollmacht

weiß der Vertretene (wenn auch schuldhaft) nichts von dem Rechtsschein.


Jurafuchs 7 Tage kostenlos testen und mit 15.000+ Nutzer austauschen.
Kläre Deine Fragen zu dieser und 15.000+ anderen Aufgaben mit den 15.000+ Nutzern der Jurafuchs-Community
Dein digitaler Tutor für Jura
Jetzt kostenlos testen