Normalfall Rücktritt § 323 / Fristsetzung
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Steuerberaterin S kauft beim Media Markt (M) ein Microsoft Surface Pro. Als sie das Gerät im Büro auspackt, bemerkt sie, dass das Display defekt ist. S setzt dem M per E-Mail eine unangemessen kurze Nachlieferungsfrist von einem Tag.
Einordnung des Falls
Normalfall Rücktritt § 323 / Fristsetzung
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Ist die Kaufsache bei Gefahrübergang mangelhaft, kann der Käufer unter weiteren Voraussetzungen vom Vertrag zurücktreten (§§ 437 Nr. 2 BGB).
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Genau, so ist das!
2. Um zurücktreten zu können, muss S dem M eine Frist zur Nacherfüllung setzen (§ 323 Abs. 1 BGB).
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Ja, in der Tat!
3. Eine wirksame Fristsetzung zur Nacherfüllung setzt voraus, dass ein konkreter Zeitraum genannt wird.
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Nein!
4. Weil die von S gesetzte Frist unangemessen kurz ist, ist die Fristsetzung unwirksam.
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Nein, das ist nicht der Fall!
5. Nach Ablauf einer angemessenen Frist kann S zurücktreten und den gezahlten Kaufpreis zurückverlangen.
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Ja, in der Tat!
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s.t.
4.9.2021, 17:54:42
Wie ist der Rücktritt bei 2 Privatpersonen geregelt?346 wäre ja nicht einschlägig oder ?

Lukas_Mengestu
20.10.2021, 11:52:40
Hallo s.t., die Regelungen zum Kaufmängelgewährleistungsrecht sind grundsätzlich unabhängig davon, ob ein Geschäft zwischen Verbrauchern (customer to customer=C2C), zwischen Unternehmer und Verbraucher (business to customer = b2c) oder zwischen Unternehmern (business to business = b2B) abläuft. Über die Verweisung in § 437 Nr. 2 BGB finden die Regelungen zum Rücktritt also auch bei Geschäften zwischen Verbrauchern Anwendung und insoweit auch die dadurch bedingte Rechtsfolge, dass die Leistungen zurückzugewähren sind (§ 346 BGB). Während allerdings beim Verbrauchsgüterkauf ein Abweichen von der gesetzlichen Regelung generell unzulässig ist (§ 476 Abs. 1 BGB), können Verbraucher untereinander individualvertraglich durchaus vereinbaren, dass das Gewährleistungsrecht nicht gilt - und damit auch der Rücktritt nicht möglich ist (häufig zu sehen bei ebay Kleinanzeigen). Sofern dieser Gewährleistungsausschluss durch AGB erfolgt, ist lediglich daran zu denken, dass man dann allerdings auf die Klauselverbote achtet (§ 309 Nr. 8b - neu hergestellte Sachen bzw. § 309 Nr. 7 - Leben/Körper/Gesundheit; Vorsatz&Fahrlässigkeit). Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Toni
27.3.2023, 08:42:15
Wie ist es, wenn der Rücktritt vor Ablauf einer angemessenen Frist, aber nach einer Aufforderung zur unverzüglichen Leistung, erklärt wird? Wird er dann einfach später erst wirksam?

Nora Mommsen
27.3.2023, 16:59:51
Hallo Toni, danke für deine Frage. Nein, ein verfrüht erklärter Rücktritt wird nicht automatisch wirksam. Zwar setzt eine unangemessen kurze Frist den Lauf einer angemessenen Frist in Gang. Für einen wirksamen Rücktritt müssen aber alle Rücktrittsvoraussetzungen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vorliegen. Der Rücktritt würde also erst wirksam mit erneuter Erklärung. Alternativ könnte man in einer ggfs. erhobenen Klage auf Rückzahlung des Kaufpreises beispielsweise eine konkludente Rücktrittserklärung sehen. Zur vertieften Auseinandersetzung verweise ich auf ein BGH Urteil zur Thematik: BGH, Urteil vom 14.10.2020 – VIII ZR 318/19, zu finden in NJW 2021, 461.Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Raphaeljura
7.4.2023, 05:32:25
§ 323 V 2 BGB lässt den Rücktritt nicht zu, wenn die Pflichtverletzung unerheblich ist. Dasselbe gibt für Schadensersatz statt der Leistung (großer Schadensersatz). Das gilt sogar dann wenn der Schuldner die Nächstfüllung verweigert. Dann steht dem Gläubiger nur ein Anspruch auf Minderung zu? Ist das nach allen Rechtsauffassungen so gemeint ? Mir erscheint, dass etwas seltsam. Der Gläubiger würde ja dann mit einer schadhaften Sache alleine gelassen. Er kann zwar den Preis mindern, aber müsste sich dann selbst um die Nachbesserung kümmern. Das kann doch nicht Recht und billig sein.

Lukas_Mengestu
11.4.2023, 08:59:55
Hallo Raphael, vielen Dank für die gute Rückfrage. Die von Dir genannte Norm flankiert letztlich den Grundsatz, dass Verträge grundsätzlich einzuhalten sind (=pacta sunt servanda). Der Gläubiger soll sich also wegen einer bloßen Lappalie (=unerhebliche Pflichtverletzung) nicht von dem von ihm geschlossenen Vertrag lösen können. Da er ja grundsätzlich ein Interesse an der Leistung hatte, dürfte dies regelmäßig nicht bereits deshalb entfallen, weil die Leistung des Schuldners nicht vollständig vertragsgemäß war. Dass dies im Grundsatz "recht und billig" ist, ist unumstritten. Die Frage ist dann letztlich nur, wo man die Grenze der Erheblichkeit zieht. Der BGH differenziert hier: (1) Bei unbehebbaren Mängeln, die (a) die Gebrauchstauglichkeit beeinträchtigen, liegt grundsätzlich eine erhebliche Pflichtverletzung vor. (b) Ist die Gebrauchstauglichkeit nicht beeinträchtigt, so genügt regelmäßig die Kompensation über die Minderung/kleinen Schadensersatz. (2) Bei behebbaren Mängeln stellt er auf eine Interessenabwägungen und insbesondere den Umfang des Mängelbeseitigungsaufwandes ab. Sofern dieser 5% des Kaufpreises nicht übersteigt, sei noch von einer unerheblichen Pflichtverletzung auszugehen, sodass hier der Rücktritt ausgeschlossen ist (Überblick auch bei: MüKoBGB/Ernst, 9. Aufl. 2022, BGB § 323 Rn. 255). Schau Dir hierzu auch gerne die folgenden beiden Beispielsfälle an: a) erhebliche Pflichtverletzung: https://applink.jurafuchs.de/yga74UZ8Tyb, b) unerhebliche Pflichtverletzung: https://applink.jurafuchs.de/dkdIUrQ8Tyb Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team