Änderung baulicher Anlage 2/ bodenrechtliche Relevanz

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Eigentümer R plant, den verfallenen 70er-Jahre Bungalow auf seinem neu erworbenen Grundstück abzureißen. Seine Tochter, die Jura studiert, gibt R zu bedenken, dass er womöglich die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 30ff. BauGB einhalten muss.

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Einordnung des Falls

Änderung baulicher Anlage 2/ bodenrechtliche Relevanz

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 4 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Ein Vorhaben muss sich an den bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen messen lassen, wenn es eine bauliche Anlage i.S.d. § 29 BauGB zum Gegenstand hat.

Ja!

Grundvoraussetzung für die Anwendbarkeit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 30ff. BauGB ist das Vorliegen einer baulichen Anlage i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB. Übrige Vorhaben unterliegen im unbeplanten Innenbereich, § 34 BauGB, und im Außenbereich, § 35 BauGB, planungsrechtlich keinen Schranken. Von Festsetzungen, die unmittelbar aus einem Bebauungsplan folgen, sind diese Vorhaben in einem Planbereich (§ 30 BauGB) dagegen nicht freigestellt.
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2. Der Bungalow stellt eine bauliche Anlage i.S.d § 29 BauGB dar.

Genau, so ist das!

Der bauplanungsrechtliche Anlagenbegriff erfasst Anlagen, die in einer auf Dauer gedachten Weise künstlich mit dem Erdboden verbunden werden und die in § 1 Abs. 5 und 6 BauGB genannten Belange in einer Weise berühren können, die geeignet ist, das Bedürfnis nach einer verbindlichen Bauleitplanung hervorzurufen, die ihre Zulässigkeit regelt (bodenrechtliche Relevanz). Maßstab dafür ist nicht das konkrete Vorhaben, sondern seine gedachte Häufung. Der Bungalow ist geeignet, Belange des § 1 Abs. 6 Nr. 1, 2 BauGB zu tangieren.

3. Neben der Errichtung erfüllt auch die Änderung und Nutzungsänderung einer baulichen Anlage den Tatbestand des § 29 Abs. 1 BauGB.

Ja, in der Tat!

§ 29 Abs. 1 BauGB unterwirft ausdrücklich Vorhaben, die die Errichtung, Änderungen Nutzungsänderung von baulichen Anlagen zum Inhalt haben, den Voraussetzungen der §§ 30ff. BauGB.

4. Der Abriss einer baulichen Anlage ist eine Änderung i.S.d. § 29 BauGB. R muss die geltenden Zulässigkeitsvoraussetzungen der §§ 30ff. BauGB einhalten.

Nein!

Eine Änderung i.S. des § 29 Abs. 1 BauGB liegt vor, wenn ein vorhandenes Gebäude in bodenrechtlich relevanter Weise baulich umgestaltet wird. Maßgeblich ist, ob eine bauliche Anlage ihre "Identität" verliert. Denn dann stellt sich die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit neu. Bei einem Abbruch wird eine bauliche Anlage beseitigt, ohne durch eine neue ersetzt zu werden. Die Frage nach der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit stellt sich erst gar nicht. Eine Änderung i.S.d. § 29 Abs. 1 BauGB liegt nicht vor. Bauordnungsrechtlich ist der Abbruch zwar regelmäßig genehmigungsfrei, aber anzeigepflichtig (vgl. Art. 57 Abs. 5 S. 2 BayBO, § 62 Abs. 3 S. 3 BauO NRW, § 61 Abs. 3 S. 2 BauO Bln).
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

QUIG

QuiGonTim

7.9.2022, 09:43:42

Wird dazu auch eine Gegenansicht vertreten. Der Abriss eines Gebäudes und insbesondere seine gedachte Häufung hat eine enorme städtebauliche Relevanz.

Nora Mommsen

Nora Mommsen

13.9.2022, 15:50:53

Hallo QuiGonTim, eine Nebenansicht konnte ich in der einschlägigen Kommentarliteratur nicht finden. Krautzberger/BauGB sagt dazu: "Planungsrechtlich relevant nach Abs. 1 wird ein Vorhaben, wenn es die Errichtung, die Änderung oder die Nutzungsänderung einer baulichen Anlage zum Gegenstand hat. Dabei ist unter Errichtung der Neubau, die erstmalige Herstellung oder die Aufstellung einer baulichen Anlage an einem bestimmten Standort zu verstehen. Auch die Wiederherstellung einer zerstörten Anlage ist eine Errichtung im Rechtssinne. Unter Änderung ist die Änderung der Substanz einer baulichen Anlage in städtebaulich relevanter Weise zu verstehen, d. h. der Umbau, der Ausbau, die Erweiterung, Verkleinerung oder auch die Veränderung des Nutzungsmaßes [...]. Nicht darunter fällt der vollständige oder teilweise Abriss, sofern letzterer nicht zugleich mit Änderungen an dem Restbestand der baulichen Anlage verbunden ist. (Battis/Krautzberger/Löhr/Reidt, 15. Aufl. 2022, BauGB § 29 Rn. 17). Dies deutet schon der Wortlaut des § 29 BauGB an. Auch Jeromin im Nachbarrechtskommentar deutet den Wortlaut entsprechend, und widerspricht einer den Abriss umfassenden Auslegung. Dafür führt er unter anderem historische Gründe an: [... dem] steht historisch entgegen, dass Abbruch und Beseitigung baulicher Anlagen bis 1976 bundesrechtlich geregelt waren, aber in den neuen § 29 BauGB nicht mehr aufgenommen wurden. Im Zuge der Novellierung im Jahr 1976 wurde nur der Begriff der baulichen Anlage in § 29 BauGB neu gefasst und teils erweitert, der Rückbau aber nicht in die Definition des Vorhabenbegriffs aufgenommen. Dies rechtfertigt allein den Schluss, dass die Anwendung der §§ 30 ff. BauGB auf Rückbau und Beseitigung baulicher Anlagen ausgeschlossen sein soll. (Jeromin et al., StichwortKommentar Nachbarrecht, Abriss Rn. 11, beck-online). Ich frage mich zudem welche Belange davon betroffen werden sollen, denn es bleibt ja grundsätzlich bebaubare Grundstücksfläche. Weniger Bebauung führt aber jedenfalls zu weniger versiegelten Böden, besserer Luft durch Pflanzen, mehr Biodiversität, weniger Immissionen für die umliegenden Grundstücke, es wird kein Licht oder ähnliches abgehalten. Das einzige Belang das auffällt, ist der Denkmalschutz. Dieses wird jedoch gewahrt durch entsprechende Vorschriften des Denkmalschutzes, die bestimmte Gebäude unter Schutz stellen. Außerhalb dessen ist aber kein Belang im Sinne des § 1 Abs. 5, 6 BauGB betroffen. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team

PETE

Peter

12.7.2023, 18:48:56

Anmerkung: Zumindest in Hessen ist gemäß § 62 I 1 Alt. 6 HBO auch der Abbruch von baulichen Anlagen grundsätzlich genehmigungsbedürftig :)

DIAA

Diaa

25.7.2023, 13:43:14

Hey @Peter in § 63 HBO ist die Befreiung geregelt.

PETE

Peter

25.7.2023, 13:49:45

Das ist korrekt. :) Allerdings ist der Abbruch nur Genehmigungsfrei unter den zusätzlichen Voraussetzungen der Anlage zur HBO IV Nrn. 1 bzw 2 iVm V Nr. 6. Das ändert aber nichts an der grundsätzlichen Genehmigungspflicht eines Abbruches. :)

rlaw

rlaw

3.3.2024, 15:27:38

Kein Wunder dass ich das eben falsch gemacht habe :((


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