+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
Eigentümerin E wohnt in ihrer Eigentumswohnung. 40 Meter davon steht eine Eisenbahnbrücke, welche durch den Zugverkehr Geräusche verursacht, die die Grenzen der Lärmschutzverordnung überschreiten. E möchte von der Eigentümerin der Brücke (B) Ersatz für den Einbau von Schallschutzfenstern.
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Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Stehen E gegen B vertragliche bzw. quasi-vertragliche Ansprüche zu.
Nein!
Der nachbarrechtliche Ausgleichanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ist gegenüber anderen Ansprüchen subsidiär. Davor sind also andere Anspruchsgrundlage vorrangig zu prüfen. Unter quasi-vertragliche Ansprüche fallen die Culpa in Contrahendo (§§ 280 Abs. 1, 311 Abs. 2, 241 Abs. 2 BGB) und die Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB). Ein Vertragsverhältnis zwischen E und B besteht nicht. Der Einbau der Fenster stellt auch kein fremdes Geschäft dar, sodass keine GoA vorliegt. Die Subsidiarität ist also gewahrt.Die h.M. lehnt es ab, das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis als Sonderrechtsverhältnis anzuerkennen.
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2. Da keine vorrangigen Ansprüche in Betracht kommen, sind nun die Anspruchsvoraussetzungen des nachbarrechtlichen Ausgleichanspruchs (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB) zu prüfen.
Genau, so ist das!
Voraussetzung des nachbarrechtlichen Ausgleichanspruchs ist (1) keine vorrangigen sonstigen Ansprüche (Subsidiarität), (2) eine wesentliche, ortsübliche Beeinträchtigung, welche (3) nicht mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen verhinderbar ist. Außerdem muss (4) die Beeinträchtigung für den Eigentümer oder Nutzungsberechtigten unzumutbar sein. Der (5) Anspruchsgegner ist derjenige, der die Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmt.
In der Folge steht dem Eigentümer ein angemessener Ausgleich zu. Etwaiges Mitverschulden (§ 254 BGB analog) ist dabei anzurechnen.
3. Von der Brücke geht eine wesentliche Geräuscheinwirkung auf die Wohnung der E aus (§ 906 Abs. 1 BGB).
Ja, in der Tat!
Lärm ist hinzunehmen, soweit er sich noch in angemessenem Umfang hält und deshalb nur unwesentlich ist. Dies ist anhand einer Abwägung privater und gegebenenfalls öffentlicher Belange zu ermitteln. Maßstab ist das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen. Die öffentlichen Belange kommen hier in der Lärmschutzverordnung zum Ausdruck. Die Überschreitung der Lärmrichtlinie hat zwar keine bindende Wirkung, indiziert aber eine wesentliche und unzumutbare Geräuscheinwirkung (§ 906 Abs. 1 S. 2 BGB). Entgegensprechende Punkte, die die Indizwirkung entkräften, sind hier nicht ersichtlich.
4. Die Geräuscheinwirkung ist ortsüblich (§ 906 Abs. 2 S. 1 BGB).
Ja!
Eine ortsübliche Beeinträchtigung liegt vor, wenn die Benutzung in dem maßgebenden räumlichen Bereich tatsächlich häufiger vorkommt. Das Brückengrundstück wird ortsüblich genutzt, nämlich bestimmungsgemäß für den Zugverkehr. Die Beeinträchtigung kann auch nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen verhindert werden. Es besteht somit eine Duldungspflicht nach § 906 BGB
5. Die Geräuschemissionen beeinträchtigen E über das zumutbare Maß hinaus (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB).
Genau, so ist das!
Das betroffene Grundstück muss über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt sein (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB). Dies ist im Wege einer umfassenden Abwägung der beiden Nutzungsinteressen zu ermitteln. BGH: Es ist derselbe Maßstab wie bei der Beurteilung der Wesentlichkeit anzulegen. Wird die Wesentlichkeitsgrenze überschritten, geht die Einwirkung über das zumutbare Maß hinaus. B möchte natürlich ihr Grundstück möglichst gewinnbringend und ohne Einschränkungen nutzen. Allerdings wirken die Geräuschemissionen Tag und Nacht auf E ein. Die erzielten Werte übersteigen die Grenzwerte der Lärmschutzverordnung (TA-Lärm). Die Beeinträchtigung ist somit für E nicht mehr zumutbar.
6. E kann den Ausgleichsanspruch nur gegen die Zugbetreiber und nicht gegen die Brückeneigentümerin B richten.
Nein, das trifft nicht zu!
Anspruchsberechtigt ist der beeinträchtigte Eigentümer oder der Nutzungsberechtigte. Anspruchsgegner ist derjenige, der die Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmt. Die Nutzungsart der Brücke wird von der Eigentümerin bestimmt, also B. Gegen diese ist entsprechend auch der Ausgleichanspruch zu richten.
7. E kann von B die Kosten für den Einbau von Schallschutzfenstern aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB verlangen.
Ja!
§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB ist nach h.M. kein Schadensersatzanspruch, sondern ein Wertersatzanspruch. So sind etwa Personenschäden und Schmerzensgeld nicht erfasst. Verlangt werden kann ein angemessener Ausgleich in Geld. Diese Entschädigung kann aber auch Ersatz für Schäden an beweglichen Sachen erfassen. Die Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt. Die Zahlung der Schallschutzfenster stellt einen angemessener Ausgleich für die Beeinträchtigung dar. Dass sich E ein Grundstück neben einer Eisenbahnbrücke gekauft hat, stellt kein anrechenbares Mitverschulden (§ 254 BGB analog) dar.