Zivilrecht

Sachenrecht

Negatorischer Abwehr- und Unterlassungsanspruch

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch – Faktischer Duldungszwang wegen tatsächlicher Unmöglichkeit (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog)

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch – Faktischer Duldungszwang wegen tatsächlicher Unmöglichkeit (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog)

21. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

E ist Eigentümerin einer Produktionshalle. Auf dem angrenzenden Nachbargrundstück der N möchte N Parkplätze errichten. Dafür lässt N durch Bauarbeiterin B einen zu tiefen Graben an der Grundstücksgrenze graben. Infolgedessen stürzt die Produktionshalle ein.

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Einordnung des Falls

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch – Faktischer Duldungszwang wegen tatsächlicher Unmöglichkeit (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 7 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Besteht ein Anspruch auf Schadensersatz aus §§ 823 Abs. 2 iVm 909 BGB gegen N?

Nein, das ist nicht der Fall!

§ 823 Abs. 2 BGB setzt einen (1) rechtswidrigen (2) Verstoß gegen ein Schutzgesetz (3) durch die Handlung des Schuldners (haftungsbegründende Kausalität) voraus. Der Schuldner muss ihn (4) zu verschulden haben. Es muss (5) ein Schaden vorliegen, der (6) kausal für Verletzung ist (haftungsausfüllende Kausalität). § 909 BGB verbietet eine Vertiefung eines Grundstücks, welche das Nachbargrundstück gefährdet. Die Norm stellt ein Schutzgesetz dar. Dieses wurde verletzt. Die fehlerhafte Grabung erfolgte allerdings durch B, nicht durch N.Auch ein Anspruch aus § 831 BGB scheidet aus, da eine Werkunternehmerin und ihre Angestellten keine Gehilfen des Bestellers sind.
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2. Die Aushebung des Grabens stellt eine rechtswidrige Beeinträchtigung dar (§ 909 BGB). Steht E der Sache nach ein Abwehranspruch gegen N aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB zu?

Ja, in der Tat!

Der Anspruch nach § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB setzt voraus, dass (1) der Anspruchsteller Eigentümer ist, (2) eine Eigentumsbeeinträchtigung vorliegt, (3) der Anspruchsgegner Störereigenschaft hat, und (4) keine Pflicht zur Duldung der Störung besteht. Eigentlich sind alle Anspruchsvoraussetzungen erfüllt. Hier ist der Schaden (Einsturz der Produktionshalle) allerdings bereits durch die rechtswidrige Beeinträchtigung eingetreten. Die rechtzeitige Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs ist also faktisch unmöglich.

3. Die Voraussetzungen des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs sind hier gegeben (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB).

Nein!

Die Anspruchsvoraussetzungen sind (1) die Wahrung der Subsidiarität. Es muss (2) eine wesentliche, ortsübliche Beeinträchtigung vorliegen, welche (3) nicht mit wirtschaftlich zumutbaren Maßnahmen verhinderbar ist. Die Beeinträchtigung muss (4) für den Eigentümer unzumutbar sein. Der (5) Anspruchsgegner muss der sein, der die Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmt. Hier handelt es sich um eine rechtswidrige Beeinträchtigung (§ 909 BGB!). Rechtswidrige Beeinträchtigung sind grundsätzlich nicht zu dulden. Ein Anspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB in direkter Anwendung scheidet deshalb aus.

4. Es kommt eine analoge Anwendung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB) in Betracht.

Genau, so ist das!

Eine analoge Anwendung setzt eine (1) planwidrige Regelungslücke und (2) eine vergleichbare Interessenlage voraus.§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB regelt lediglich den Fall, dass den Eigentümer eine Duldungspflicht trifft. Fehlt es daran, besteht insoweit eine Regelungslücke. Zwar ist der Eigentümer grundsätzlich gehalten, in diesen Fällen seinen Beseitigungs- oder Unterlassungsanspruch geltend zu machen (=kein Dulde und Liquidiere). Ist die rechtzeitige Geltendmachung des entsprechenden Anspruchs im Einzelfall tatsächlich oder rechtlich unmöglich gewesen, so ist nach hM anerkannt, dass die Regelungslücke planwidrig ist und eine vergleichbare Interessenlage besteht. § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ist dann analog heranzuziehen. Denn wenn schon dem zur Duldung Verpflichteten ein Entschädigungsanspruch zustehe, so müsse dies erst recht für den gelten, der faktisch von einer rechtswidrigen Beeinträchtigung betroffen ist und sich dieser nicht erwehren kann.

5. Die Beeinträchtigung ist für E unzumutbar.

Ja, in der Tat!

Das betroffene Grundstück muss über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt sein (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB). Hier ist derselbe Maßstab wie bei der Beurteilung der Wesentlichkeit anzulegen. Wird die Wesentlichkeitsgrenze überschritten, geht die Einwirkung über das zumutbare Maß hinaus. Die Vertiefung von Ns Grundstück ist auf unzulässige Weise erfolgt. Dies ist in einem solchen Ausmaß geschehen, dass Es Produktionshalle eingestürzt ist. Es handelt es sich also um eine wesentliche, unzumutbare Beeinträchtigung.

6. Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch in analoger Anwendung ist gegen B als Handlungsstörer zu richten (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB).

Nein!

Anspruchsberechtigt ist der beeinträchtigte Eigentümer oder der Nutzungsberechtigte. Anspruchsgegner ist derjenige, der die Nutzungsart des emittierenden Grundstücks bestimmt. Es bestimmt nicht B über die Nutzungsart des emittierenden Grundstücks, sondern Eigentümer N. Somit ist N richtiger Anspruchsgegner.

7. E kann von N einen angemessenen Ausgleich für die Schädigung verlangen (§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog).

Genau, so ist das!

§ 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog ist nach h.M. kein Schadensersatz anspruch, sondern ein Wertersatzanspruch. So sind etwa Personenschäden und Schmerzensgeld nicht erfasst. Verlangt werden kann ein angemessener Ausgleich in Geld. Diese Entschädigung kann aber auch Ersatz für Schäden an beweglichen Sachen erfassen. Die Anspruchsvoraussetzungen sind erfüllt. E kann angemessenen Ersatz verlangen.
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