Öffentliches Recht

VwGO

Allgemeine Leistungsklage

Statthaftigkeit Leistungsklage: Abgrenzung zur Verpflichtungsklage: Gewährung von Akteneinsicht

Statthaftigkeit Leistungsklage: Abgrenzung zur Verpflichtungsklage: Gewährung von Akteneinsicht

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

Die Gemeinde G plant die Errichtung einer Müllverbrennungsanlage neben Ms Grundstück. M stellt einen Antrag auf Einsicht in die Baupläne. Die Behörde bewilligt ihren Antrag. Als M Einsicht nehmen will, verweigert ihr der schlecht gelaunte Behördenmitarbeiter S die Einsicht.

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Einordnung des Falls

Statthaftigkeit Leistungsklage: Abgrenzung zur Verpflichtungsklage: Gewährung von Akteneinsicht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 3 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. M begehrt die Herausgabe der Akten zur Einsicht. Diese Herausgabe ist ein Verwaltungsakt. Statthaft ist daher die Verpflichtungsklage.

Nein!

Die Verpflichtungsklage ist statthaft, wenn der Kläger den Erlass eines Verwaltungsakts begehrt (§ 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO). Ein Verwaltungsakt ist eine (1) hoheitliche Maßnahme einer (2) Behörde auf dem (3) Gebiet des öffentlichen Rechts (4) zur Regelung (5) eines Einzelfalls (6) mit Außenwirkung, die sich noch nicht erledigt hat. Bei der einfachen Herausgabe der Akten fehlt es bereits an der Regelungswirkung. Die Herausgabe ist deswegen kein Verwaltungsakt, sondern ein "sonstiges Tun" (= Realakt).
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2. Die allgemeine Leistungsklage kommt dann in Betracht, wenn ein Antrag auf ein tatsächliches behördliches Handeln bereits durch einen Verwaltungsakt bewilligt wurde. Hier liegt eine Bewilligung vor.

Genau, so ist das!

Bei der Abgrenzung zwischen der Verpflichtungsklage und der allgemeinen Leistungsklage muss auf die Feinheiten des Falls geachtet werden. Wenn die Behörde bereits die begehrte behördliche Handlung bewilligt hat (= Verwaltungsakt) und die bewilligte Handlung dennoch nicht vornimmt, ist die allgemeine Leistungsklage auf Vornahme der bewilligten Handlung statthaft. Liegt in Abgrenzung dazu noch gar keine Bewilligung vor, muss der Kläger erst auf Erlass des Verwaltungsakts klagen (Verpflichtungsklage). Die Behörde hat den Antrag der M bereits bewilligt. Die Ausführungen gelten entsprechend für jegliches vergleichbares Handeln der Behörde (Erteilung einer Auskunft, Abgabe einer Willenserklärung, etc.).

3. M begehrt einen Realakt der Behörde. Statthafte Klageart ist die allgemeine Leistungsklage.

Ja, in der Tat!

Ein Realakt ist jedes behördliche Tun, Dulden oder Unterlassen, was auf die Herbeiführung eines tatsächlichen Erfolgs gerichtet ist. Dadurch wird der Realakt insbesondere vom Verwaltungsakt abgegrenzt, der auf die Herbeiführung eines rechtlichen Erfolges ("Regelung") gerichtet ist. M begehrt die tatsächliche Herausgabe der Akten zur Einsicht. Eine Verpflichtungsklage auf Erlass eines weiteren Verwaltungsakts würde M ihrem Klageziel, nämlich tatsächlich Akteneinsicht zu nehmen, nicht näher bringen. Die Bewilligung der Akteneinsicht hat sie bereits erhalten. Statthaft ist damit die allgemeine Leistungsklage.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Swagni

Swagni

21.2.2024, 12:13:21

Hallo, ich habe nicht ganz verstanden worauf sich die Handlungsbeispiele in der Vertiefung der vorletzten Antwort beziehen. Auf ähnliches tatsächliches Verwaltungshandeln, für das man einen Antrag stellen muss?

Ala

Ala

8.8.2024, 11:14:46

Hey, wenn das Begehren des Klägers die Abgabe einer Willenserklärung durch die Behörde ist, ist dann die

Leistungsklage

oder die Verpflichtungsklage statthaft?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

8.8.2024, 12:29:48

Hallo @[Ala](241758), es kommt darauf an! Wenn der Kläger der Meinung ist, er habe einen Anspruch auf Abgabe der Willenserklärung, ohne dass zuvor ein entsprechender Verwaltungsakt erlassen wurde (also z.B. per Gesetz), dann ist die

Leistungsklage

auf Abgabe dieser Willenserklärung (= tatsächliches Handeln), statthaft. In vielen Fällen ist das tatsächliche Handeln der Behörde aber daran geknüpft, dass sie einem Antragsteller zunächst in einem Verwaltungsakt das Recht einräumt, das tatsächliche Handeln der Behörde einfordern zu können. Also der Anspruch auf das tatsächliche Handeln entsteht erst durch die Bewilligung per Verwaltungsakt (so wie in unserem Fall hier). Liegt dieser Verwaltungsakt noch nicht vor, so müsste der Kläger zunächst die Verpflichtungsklage auf Erlass der begehrten Bewilligung erheben. Ich hoffe, ich habe Dir damit weitergeholfen. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Ala

Ala

8.8.2024, 14:33:14

Danke @[Linne_Karlotta_](243622) :) ich habe mich gefragt, ob die Willenserklärung an sich nicht schon der Verwaltungsakt ist, sodass so oder so nur eine Verpflichtungsklage die statthafte klageart ist. Oder ist eine Willenserklärung schlichtes verwaltungshandeln?

Linne_Karlotta_

Linne_Karlotta_

8.8.2024, 16:02:35

Hallo @[Ala](241758), sorry, ich habe Deine Frage falsch verstanden. Danke fürs Nachhaken. Mir ist dadurch klar geworden, dass wir im Fall genauer beschreiben sollten, was wir mit „Willenserklärung“ meinen. Vorweg genommen: Gemeint sind alle denkbaren Willensäußerungen, die nicht unter § 35 S. 1 VwVfG fallen. Hier ein kommen die detaillierten Ausführungen zum Thema „Willenserklärung“: Denkbar ist zum einen, dass der Bürger einen bestehenden öffentlich-rechtlichen Anspruch auf die Abgabe einer privatrechtlichen Willenserklärung durch die Behörde geltend macht. Das kann z.B. der Fall sein, wenn sich die Behörde durch öffentlich-rechtlichen Vertrag verpflichtet hat, dem Bürger ein bestimmtes Grundstück zu verkaufen. In diesem Fall hat der Bürger einen Anspruch aus dem öffentlich-rechtlichen Vertrag. Sofern die Behörde diesen nicht erfüllt, ist die

Leistungsklage

, gerichtet auf Abgabe der Willenserklärung, statthaft. (Eine privatrechtliche Willenserklärung kann kein Verwaltungsakt i.S.v. § 35 S. 1 VwVfG sein, da diese ja immer auf die Setzung einer privatrechtlichen Rechtsfolge gerichtet ist und es somit an em Merkmal „auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts“ fehlt.) Dann gibt es aber auch noch sog. „behördliche Willenserklärungen“. Das sind Äußerungen der Behörde, die zwar rechtserheblich sind, aber keine Regelung erhalten (z.B. Fristsetzungen, behördliche Aufrechnungserklärungen oder Willenserklärungen, die auf den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet sind), siehe hierzu z.B. Detterbeck, Allgemeines Verwaltungsrecht, 17.A. 2019, RdNr. 456, 784. Auch gegen dieses tatsächliche Tun der Behörde kommt prinzipiell Rechtsschutz i.R.e.

Leistungsklage

in Betracht. Es wird wahrscheinlich aber eher schwierig, hier entsprechende (Unterlassungs-)Ansprüche herzuleiten. Mir ist hierzu noch nie ein Fall begegnet. Die behördliche Willenserklärung gehört zu der Kategorie der „öffentlich-rechtlichen“ oder „verwaltungsrechtlichen“ Willenserklärungen. Zu dieser Kategorie gehört tatsächlich auch der Verwaltungsakt - als besondere, einseitige öffentlich-rechtliche Willenserklärung. Erfüllt eine Äußerung der Behörde alle Merkmale des § 35 S. 1 VwVfG, dann liegt ein Verwaltungsakt vor und wird andersherum so eine Äußerung begehrt, ist die Verpflichtungsklage statthaft. Du musst diese ganzen begrifflichen Kategorien nicht unbedingt kennen! Für die Falllösung reicht es vollkommen aus, wenn Du das begehrte Handeln der Behörde am Maßstab von § 35 S. 1 VwVfG prüfst. Und wenn Du dazu kommst, dass ein tatsächliches Handeln begehrt wird, stellst Du Dir eben noch die Frage, ob dafür zunächst ein Verwaltungsakt erlassen werden muss (s. meine Ausführungen oben). Ich hoffe, ich konnte Deine Frage damit abschließend beantworten. Viele Grüße - Linne, für das Jurafuchs-Team

Ala

Ala

9.8.2024, 16:03:32

Wow danke! Vielen lieben Dank. Top!


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