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Die Leistungskondiktion
Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht
Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht
3. Juli 2025
35 Kommentare
4,9 ★ (28.166 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
G ist in einem Restaurant essen. Er denkt, er sei gesetzlich zu einer Zahlung eines Trinkgelds an die Kellnerin in Höhe von ca. 10 % verpflichtet. Er bezahlt daher insgesamt €20 bei der K, bei einer Rechnung von €18. K darf mit Erlaubnis Ihres Chefs Trinkgelder stets für sich behalten.
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Einordnung des Falls
Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. G war zur Zahlung des Trinkgelds gesetzlich verpflichtet.
Nein!
2. K hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Genau, so ist das!
3. K hat das Eigentum am Geld „durch Leistung“ des G (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erlangt.
Ja, in der Tat!
4. G hat die Leistung an K "ohne rechtlichen Grund" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.
Ja!
5. Der Anspruch auf Rückforderung des G ist ausgeschlossen, da es sich bei der Leistung um eine Anstandspflicht handelt (§ 814 Alt. 2 BGB).
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

ErdbärIn
30.10.2020, 20:32:44
Ich bin ein bisschen verwundert über die Trinkgeldhöhe und darüber, dass das noch unter die Anstandspflicht nach § 814 Alt. 2 BGB fällt. Wahrscheinlich waren eigentlich 2 statt 20 Euro gemeint?

Eigentum verpflichtet 🏔️
30.10.2020, 21:45:11
Hallo ErdbärIn, danke für den Kommentar, es war ein bisschen einfach zu überlesen, aber G bezahlt insgesamt 20€ bei einer Rechnung von 18€. Also 2€ Trinkgeld, haben das Wort "insgesamt" im Sachverhalt ergänzt, damit es klarer wird.

ErdbärIn
30.10.2020, 22:32:18
Ach alles klar, so war es gemeint. Vielen Dank!

w.laura.l
20.1.2021, 16:10:47
Müssten hier dann nicht 1,80€ Trinkgeld anfallen, wenn man von 10% ausgeht? Das Trinkgeld errechnet sich ja anhand der Rechnung - nicht anhand der Rechnung inkl. Trinkgeld. Andernfalls könnte man auch die Rechnung auf 20€ setzen und den Gesamtbetrag auf 22€. Dann hätte man 10% Trinkgeld. Wäre super, wenn man die Rechnung mal prüfen könne

ri
21.7.2021, 05:29:42
Im SV steht „ca“

antoniasophie
8.4.2022, 23:35:30
Juristen sind keine Mathematiker!

Tigerwitsch
11.3.2021, 22:37:24
Wie wäre es eigentlich, wenn G ein sehr hohes Trinkgeld gibt, weil er denkt, er sei dazu verpflichtet? (mal ganz hypothetisch: G denkt, es seien 40% Trinkgeld „Pflicht“) Würde dann trotzdem § 814 Alt. 2 BGB greifen? Mit anderen Worten: Aus Kommentaren habe ich entnommen, dass es auf die objektive Sicht ankommt (und nicht subjektiv). Kommt es also darauf an, was ein „objektiv angemessenes“ Trinkgeld wäre - oder ob es „objektiv“ angemessen ist, einmal gegebenes Trinkgeld nicht zurückzufordern?

Tigerwitsch
11.3.2021, 22:46:13
(Meine Überlegung: Wenn schon Unterhaltsleistungen an Verwandte, denen gegenüber keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht, nicht zurückgefordert werden dürfen, muss dies erst recht für Trinkgelder gelten. Vgl. Palandt/Sprau, 78. Auflage 2019, § 814 Rn. 9 (dort ist jedoch - deshalb meine Frage - von der Gewährung „üblicher“ Trinkgelder die Rede).
hagenhubl
6.5.2024, 12:31:41
Wieso bist du der Ansicht, dass jemand der Trinkgeld bekommt schutzwürdiger ist als jemand der Verwandtenunterhalt bekommt? Der Verwandte gehört immerhin zur Familie, während zum Beispiel ein Kellner in der Regel eine wildfremde Person ist.
Doli
5.9.2022, 13:53:29
Bzgl der Leistung: wenn die Zweckbestimmung nach dem obj.
Empfängerhorizontauszulegen ist, liegt doch viel mehr eine
donandi causastatt einer
solvendi causavor, weil es nicht darauf ankommt was G sich dabei dachte, wenn das für den Empfänger nicht erkennbar war (G dachte er erfüllt eine Verbindlichkeit, ein Empfänger würde denken er vollzieht eine Schenkung), oder nicht?

Nora Mommsen
5.9.2022, 17:34:41
Hallo Doli, das Vorliegen einer Leistung als solcher ist aus dem
objektiver Empfängerhorizontzu beurteilen. Dies ist insbesondere für Dreipersonenverhältnisse relevant. Die Zweckbestimmung ist aus Sicht des Leistenden zu beurteilen, denn nur so kann ermittelt werden, ob der mit der Leistung verfolgte Zweck auch tatsächlich vorliegt oder fehlt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
ehemalige:r Nutzer:in
17.11.2022, 15:36:46
Könnte als rechtlicher Grund nicht ein normaler Schenkungsvertrag angenommen werden?
Handlungswilleund Erklärungswille sind gegeben (bzw selbst wenn nicht, es gibt ja das potentielle Erklärungsbewusstsein). Nur der
Geschäftswillefehlt. Zudem ist auch der obj. Tatbestand einer WE einschlägig, man kann ja grundsätzlich davon ausgehen, dass bei der Zahlung von Trinkgeld eine auf Schließung eines Schenkungsvertrages gerichtete Willenserklärung vorliegt. Damit es also am rechtlichen Grund fehlt, müsste G noch anfechten oder nicht?

MaxCarl
17.5.2023, 19:54:09
Daran habe ich tatsächlich auch gedacht, wäre mal spannend, darauf eine Antwort zu erhalten

Nora Mommsen
23.5.2023, 17:48:43
Hallo ihr beiden, ein Schenkungsvertrag setzt voraus das eine Partei eine Leistung erbringen muss, ohne dafür irgendeine Art der Gegenleistung zu erhalten. Wenn wie vorliegend, G sich vorstellt gesetzlich zu Trinkgeld verpflichtet zu sein, wenn er einen Service erhalten hat liegt dies gerade nicht vor. Daher ist ein Schenkungsvertrag in dieser Konstellation eher abzulehnen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
hagenhubl
6.5.2024, 12:23:03
Wieso ist Trinkgeld keine Schenkung? Der Gast bezahlt doch für den Service die Rechnung und die Kellnerin bekommt Lohn für ihre Arbeit.
Vanilla Latte
21.7.2024, 00:19:02
Es kann sich beim Trinkgeld um eine Schenkung handeln. Hier gab es aber keine Vereinbarung, sondern derjenige ist davon ausgegangen, dass er bereits zur Leistung verpflichtet war. Denke ich...

CR7
4.1.2024, 12:59:07
Mal ne unjuristische Frage: Gebt ihr Trinkgeld? Wenn ja, wie viel im Durchschnitt? :D

Paulah
5.1.2024, 22:48:10
Ja, mache ich, aber nur beim Essen im Lokal. Ich runde meistens irgendwie von 1,80 auf 2 Euro oder von 13,60 auf 15 Euro. Et
was merkwürdig finde ich allerdings die neue Sitte, die ich schon mehrfach beobachtet habe: Da wird Trinkgeld gegeben, wenn man das Essen selbst im Dönerladen oder der Pizzabude holt. Da würde es mir im Traum nicht einfallen, Trinkgeld zu geben - ich leiste den Service ja selbst. :-)

Steinfan
3.4.2024, 18:07:16
Für eine ikonische Argumentation zum Thema Trinkgeld verweise ich nur auf die Anfangssequenz in „Reservoir Dogs“ von Tarantino.

Martin
2.8.2024, 17:47:29
Hallo zusammen, Warum liegt beim Trinkgeld nicht regelmäßig eine
Handschenkungvor? Indem er den 20€ gibt und sagt: „stimmt so“ liegt ein Angebot und in dem Bedanken eine Annahme. Dann wäre mit Rechtsgrund geleistet. Ich weiß der SV macht hier dazu keine Angaben. Aber generell liegen doch in 99% dieser Alltagsfälle zwei übereinstimmende Willenserklärungen dahingehen vor, dass die Bedienung unentgeltlich den Rest behalten soll. LG Martin
Quarklo
13.8.2024, 17:37:56
In der Regel wird das so sein. Hier wurde aber aus didaktischen Gründen ein Sachverhalt konstruiert, in welchem der Leistende von einer Verpflichtung ausgeht, um auf den § 814 zu sprechen zu kommen.
Timurso
17.10.2024, 20:05:29
@[Quarklo](252534) Dass der Leistende von einer Verpflichtung ausgeht, dürfte aber nichts daran ändern, dass seine
Übereignungvon 20 € bei
Auslegung nach dem objektiven Empfängerhorizontals Angebot auf eine Schenkung in Höhe der 2 € auszulegen wäre. Oder anderer Vertragstyp, spielt hier ja keine Rolle. Dass der Leistende sich über seine
Leistungspflichtirrt, ist als
fehlendes Erklärungsbewusstseinnur dann für die Qualifikation als Willenserklärung beachtlich, wenn er es nicht hätte erkennen können. Ich würde jedoch durchaus behaupten, dass er hätte wissen und erkennen können, dass eine solche Pflicht nicht besteht. Somit ist ein Vertrag zustande gekommen und ein Rechtsgrund besteht. Er könnte höchstens anfechten. Ich sehe durchaus ein, dass der Fall aus didaktischen Gründen so versucht wurde zu konstruieren, aber da lässt sich bestimmt ein besserer finden, wo man sich nicht verbiegen muss, um auch zu
§ 814 BGBzu kommen.
benjaminmeister
14.3.2025, 23:01:17
Was ich noch einwerfen würde: Selbst wenn man hier Richtung Schenkung geht, kann man hier überhaupt einen Rechtsbindungswillen annehmen? Liegt nicht viel eher eine Gefälligkeitsschenkung vor?
hardymary
17.10.2024, 14:04:50
Wieso hat die Kellnerin Besitz (ok) und Eigentum an dem Geld erhalten? Das wird ja wohl eher der Restaurant-Inhaber bekommen haben.
Timurso
17.10.2024, 20:00:42
Vorsicht, es geht hier um das Trinkgeld. Das geht direkt an die Kellnerin, nicht an den Restaurant-Inhaber.

susiphia
26.5.2025, 16:48:44
@[Timurso](197555) leider nicht immer. 😅 meines Wissens nach gibt‘s da keine Regelung für, dass das so sein muss, oder? Gibt auf jeden Fall ne Menge Gastro-Betriebe, die das anders handhaben (bspw. Trinkgeld geht ganz/teilweise an den Chef, Trinkgeld wird von allen gesammelt und dann gleichmäßig auf alle aufgeteilt). Und dann gibt‘s da auch noch die Frage, wie denn mit „digitalem Trinkgeld“, also Trinkgeld bei Kartenzahlung, verfahren wird.
Timurso
26.5.2025, 18:04:03
Es gibt eine Regelung dafür, § 107 III 2 GewO, vergleiche den Wortlaut "dem Arbeitnehmer". Eine vertragliche Regelung dahingehend, dass der Arbeitgeber an den Trinkgeldern beteiligt wird, dürfte jedenfalls an § 307 I BGB scheitern. Dass sich da in der Praxis nicht immer dran gehalten wird, mag sein, aber rechtlich gesehen ist Trinkgeld eine Zahlung direkt an den Arbeitnehmer.
hardymary
27.5.2025, 11:13:53
Sehe ich anders, aus § 107 III 2 GewO ergibt sich zB nicht, dass automatisch das Trinkgeld nur dem speziellen einen Kellner gegeben und übereignet wird. Da steht „Arbeitnehmer“. Die, die an der Theke stehen und kein Trinkgeld durch Gäste bekommen sind auch Arbeitnehmer im Sinne der Vorschrift und denen kommt ja trotzdem ein Trinkgeld zu gute. Sehe also immer noch keinen gesetzliche Regelung, dass Trinkgeld nur dem einen Kellner übereignet wird @[susiphia](293362) @[Timurso](197555)
hardymary
27.5.2025, 11:15:22
und zusätzlcih was @[susiphia](293362) ausführt. Allein die Möglichkeit des digitalen Trinkgelds macht doch mehr als deutlich, dass der Arbeitnehmer nicht sofort Eigentum an dem Trinkgeld erhält, sondern erst durch einen Zwischenschritt über den Arbeitgeber.
Timurso
27.5.2025, 15:25:57
@[hardymary](202321) Du hast insofern Recht, als dass ich auf die gemeinsame Kasse für alle Arbeitnehmer nicht eingegangen bin. Es stimmt, dass eine solche unter Umständen möglich ist, beispielsweise wenn auf der Theke eine solche Kasse steht und da dransteht, dass das Geld unter allen Arbeitnehmern verteilt wird. Dann ergibt sich auch aus Sicht des Kunden, der dort Trinkgeld gibt, dass das der Fall. Ansonsten wird man die Erklärung des Kunden auslegen müssen, ob er das Trinkgeld jetzt dem einen konkreten Arbeitnehmer geben möchte oder allen. Im letzteren Fall wäre eine Aufteilung relativ unproblematisch möglich. Im ersteren halte ich das dagegen für zweifelhaft, da eine derartige Vereinbarung der Verpflichtung gleichkommen würde, dass der Arbeitnehmer sein eigenes Vermögen, dass er wirksam von einem Dritten übereignet bekommen hat, herausgeben muss. Durch freiwillige Absprache unter den Arbeitnehmern eventuell, verpflichtend im Arbeitsvertrag eher schwierig. Hab ich jetzt aber auch nicht groß recherchiert. Im Grundfall, der wie hier gebildet ist, ist es aber tatsächlich so, dass das Trinkgeld nur dem Kellner übereignet wird. Das ergibt sich nicht unmittelbar aus § 107 III 2 GewO, aber man wird die Willenserklärung des Kunden auf
Übereignungdes Trinkgelds in diesem Lichte dahingehend auslegen müssen, dass er an den Arbeitnehmer übereignen will und nicht an den Arbeitgeber. Auch auf das digitale Trinkgeld bin ich nicht eingegangen. Dieses macht die Sache komplizierter, da es dabei wahrscheinlich ist, dass die Zahlung zunächst auf einem Konto des Arbeitgebers landet. Eine sachenrechtliche
Übereignunghaben wir dann insgesamt grundsätzlich nicht. Man könnte konstruieren, dass der Arbeitgeber den Anspruch auf Auszahlung in Bezug auf das Trinkgeld im Vorhinein an den jeweiligen Arbeitnehmer, der das Trinkgeld bekommt, abtritt, sodass der Arbeitgeber den Anspruch zwar für eine juristische Sekunde hat, danach jedoch der Arbeitnehmer.
KimLydia
3.4.2025, 12:50:14
Läge dann hier eine bewusste und
zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens in Form der
donandi causavor? Schließlich richtet sich die Frage, ob geleistet wurde ja nach herrschender Meinung aus der Sicht eines objektiven Dritten in der Position der Kellnerin und diese hält die "Leistung" des Trinkgelds ja für keine Verbindlichkeit. Ich bin irritiert, weil in der Lösung bzgl. der bewussten und
zweckgerichteten Mehrung fremden Vermögens auf den Gast abgestellt wird.