Zivilrecht
Bereicherungsrecht
Die Leistungskondiktion
Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht
Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
G ist in einem Restaurant essen. Er denkt, er sei gesetzlich zu einer Zahlung eines Trinkgelds an die Kellnerin in Höhe von ca. 10 % verpflichtet. Er bezahlt daher insgesamt €20 bei der K, bei einer Rechnung von €18. K darf mit Erlaubnis Ihres Chefs Trinkgelder stets für sich behalten.
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Einordnung des Falls
Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. G war zur Zahlung des Trinkgelds gesetzlich verpflichtet.
Nein!
Jurastudium und Referendariat.
2. K hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).
Genau, so ist das!
3. K hat das Eigentum am Geld „durch Leistung“ des G (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erlangt.
Ja, in der Tat!
4. G hat die Leistung an K "ohne rechtlichen Grund" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.
Ja!
5. Der Anspruch auf Rückforderung des G ist ausgeschlossen, da es sich bei der Leistung um eine Anstandspflicht handelt (§ 814 Alt. 2 BGB).
Genau, so ist das!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
ErdbärIn
30.10.2020, 20:32:44
Ich bin ein bisschen verwundert über die Trinkgeldhöhe und darüber, dass das noch unter die Anstandspflicht nach §
814Alt. 2 BGB fällt. Wahrscheinlich waren eigentlich 2 statt 20 Euro gemeint?
Eigentum verpflichtet 🏔️
30.10.2020, 21:45:11
Hallo ErdbärIn, danke für den Kommentar, es war ein bisschen einfach zu überlesen, aber G bezahlt insgesamt 20€ bei einer Rechnung von 18€. Also 2€ Trinkgeld, haben das Wort "insgesamt" im Sachverhalt ergänzt, damit es klarer wird.
ErdbärIn
30.10.2020, 22:32:18
Ach alles klar, so war es gemeint. Vielen Dank!
w.laura.l
20.1.2021, 16:10:47
Müssten hier dann nicht 1,80€ Trinkgeld anfallen, wenn man von 10% ausgeht? Das Trinkgeld errechnet sich ja anhand der Rechnung - nicht anhand der Rechnung inkl. Trinkgeld. Andernfalls könnte man auch die Rechnung auf 20€ setzen und den Gesamtbetrag auf 22€. Dann hätte man 10% Trinkgeld. Wäre super, wenn man die Rechnung mal prüfen könne
ri
21.7.2021, 05:29:42
Im SV steht „ca“
antoniasophie
8.4.2022, 23:35:30
Juristen sind keine Mathematiker!
Tigerwitsch
11.3.2021, 22:37:24
Wie wäre es eigentlich, wenn G ein sehr hohes Trinkgeld gibt, weil er denkt, er sei dazu verpflichtet? (mal ganz hypothetisch: G denkt, es seien 40% Trinkgeld „Pflicht“) Würde dann trotzdem §
814Alt. 2 BGB greifen? Mit anderen Worten: Aus Kommentaren habe ich entnommen, dass es auf die objektive Sicht ankommt (und nicht subjektiv). Kommt es also darauf an, was ein „objektiv angemessenes“ Trinkgeld wäre - oder ob es „objektiv“ angemessen ist, einmal gegebenes Trinkgeld nicht zurückzufordern?
Tigerwitsch
11.3.2021, 22:46:13
(Meine Überlegung: Wenn schon Unterhaltsleistungen an Verwandte, denen gegenüber keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht, nicht zurückgefordert werden dürfen, muss dies erst recht für Trinkgelder gelten. Vgl. Palandt/Sprau, 78. Auflage 2019, §
814Rn. 9 (dort ist jedoch - deshalb meine Frage - von der Gewährung „üblicher“ Trinkgelder die Rede).
hagenhubl
6.5.2024, 12:31:41
Wieso bist du der Ansicht, dass jemand der Trinkgeld bekommt schutzwürdiger ist als jemand der Verwandtenunterhalt bekommt? Der Verwandte gehört immerhin zur Familie, während zum Beispiel ein Kellner in der Regel eine wildfremde Person ist.
Doli
5.9.2022, 13:53:29
Bzgl der Leistung: wenn die Zweckbestimmung nach dem obj.
Empfängerhorizontauszulegen ist, liegt doch viel mehr eine
donandi causastatt einer solvendi causa vor, weil es nicht darauf ankommt was G sich dabei dachte, wenn das für den Empfänger nicht erkennbar war (G dachte er erfüllt eine Verbindlichkeit, ein Empfänger würde denken er vollzieht eine Schenkung), oder nicht?
Nora Mommsen
5.9.2022, 17:34:41
Hallo Doli, das Vorliegen einer Leistung als solcher ist aus dem
objektiver Empfängerhorizontzu beurteilen. Dies ist insbesondere für Dreipersonenverhältnisse relevant. Die Zweckbestimmung ist aus Sicht des Leistenden zu beurteilen, denn nur so kann ermittelt werden, ob der mit der Leistung verfolgte Zweck auch tatsächlich vorliegt oder fehlt. Viele Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
Spyce
17.11.2022, 15:36:46
Könnte als rechtlicher Grund nicht ein normaler Schenkungsvertrag angenommen werden?
Handlungswilleund Erklärungswille sind gegeben (bzw selbst wenn nicht, es gibt ja das potentielle Erklärungsbewusstsein). Nur der
Geschäftswillefehlt. Zudem ist auch der obj. Tatbestand einer WE einschlägig, man kann ja grundsätzlich davon ausgehen, dass bei der Zahlung von Trinkgeld eine auf Schließung eines Schenkungsvertrages gerichtete Willenserklärung vorliegt. Damit es also am rechtlichen Grund fehlt, müsste G noch anfechten oder nicht?
MaxCarl
17.5.2023, 19:54:09
Daran habe ich tatsächlich auch gedacht, wäre mal spannend, darauf eine Antwort zu erhalten
Nora Mommsen
23.5.2023, 17:48:43
Hallo ihr beiden, ein Schenkungsvertrag setzt voraus das eine Partei eine Leistung erbringen muss, ohne dafür irgendeine Art der Gegenleistung zu erhalten. Wenn wie vorliegend, G sich vorstellt gesetzlich zu Trinkgeld verpflichtet zu sein, wenn er einen Service erhalten hat liegt dies gerade nicht vor. Daher ist ein Schenkungsvertrag in dieser Konstellation eher abzulehnen. Beste Grüße, Nora - für das Jurafuchs-Team
hagenhubl
6.5.2024, 12:23:03
Wieso ist Trinkgeld keine Schenkung? Der Gast bezahlt doch für den Service die Rechnung und die Kellnerin bekommt Lohn für ihre Arbeit.
Vanilla Latte
21.7.2024, 00:19:02
Es kann sich beim Trinkgeld um eine Schenkung handeln. Hier gab es aber keine Vereinbarung, sondern derjenige ist davon ausgegangen, dass er bereits zur Leistung verpflichtet war. Denke ich...
CR7
4.1.2024, 12:59:07
Mal ne unjuristische Frage: Gebt ihr Trinkgeld? Wenn ja, wie viel im Durchschnitt? :D
Paulah
5.1.2024, 22:48:10
Ja, mache ich, aber nur beim Essen im Lokal. Ich runde meistens irgendwie von 1,80 auf 2 Euro oder von 13,60 auf 15 Euro. Etwas merkwürdig finde ich allerdings die neue Sitte, die ich schon mehrfach beobachtet habe: Da wird Trinkgeld gegeben, wenn man das Essen selbst im Dönerladen oder der Pizzabude holt. Da würde es mir im Traum nicht einfallen, Trinkgeld zu geben - ich leiste den Service ja selbst. :-)
Steinfan
3.4.2024, 18:07:16
Für eine ikonische Argumentation zum Thema Trinkgeld verweise ich nur auf die Anfangssequenz in „Reservoir Dogs“ von Tarantino.
Martin
2.8.2024, 17:47:29
Hallo zusammen, Warum liegt beim Trinkgeld nicht regelmäßig eine
Handschenkungvor? Indem er den 20€ gibt und sagt: „stimmt so“ liegt ein Angebot und in dem Bedanken eine Annahme. Dann wäre mit Rechtsgrund geleistet. Ich weiß der SV macht hier dazu keine Angaben. Aber generell liegen doch in 99% dieser Alltagsfälle zwei übereinstimmende Willenserklärungen dahingehen vor, dass die Bedienung unentgeltlich den Rest behalten soll. LG Martin
Quarklo
13.8.2024, 17:37:56
In der Regel wird das so sein. Hier wurde aber aus didaktischen Gründen ein Sachverhalt konstruiert, in welchem der Leistende von einer Verpflichtung ausgeht, um auf den §
814zu sprechen zu kommen.
Timurso
17.10.2024, 20:05:29
@[Quarklo](252534) Dass der Leistende von einer Verpflichtung ausgeht, dürfte aber nichts daran ändern, dass seine
Übereignungvon 20 € bei Auslegung nach dem
objektiven Empfängerhorizontals Angebot auf eine Schenkung in Höhe der 2 € auszulegen wäre. Oder anderer Vertragstyp, spielt hier ja keine Rolle. Dass der Leistende sich über seine
Leistungspflichtirrt, ist als
fehlendes Erklärungsbewusstseinnur dann für die Qualifikation als Willenserklärung beachtlich, wenn er es nicht hätte erkennen können. Ich würde jedoch durchaus behaupten, dass er hätte wissen und erkennen können, dass eine solche Pflicht nicht besteht. Somit ist ein Vertrag zustande gekommen und ein Rechtsgrund besteht. Er könnte höchstens anfechten. Ich sehe durchaus ein, dass der Fall aus didaktischen Gründen so versucht wurde zu konstruieren, aber da lässt sich bestimmt ein besserer finden, wo man sich nicht verbiegen muss, um auch zu
§ 814 BGBzu kommen.
hardymary
17.10.2024, 14:04:50
Wieso hat die Kellnerin Besitz (ok) und Eigentum an dem Geld erhalten? Das wird ja wohl eher der Restaurant-Inhaber bekommen haben.
Timurso
17.10.2024, 20:00:42
Vorsicht, es geht hier um das Trinkgeld. Das geht direkt an die Kellnerin, nicht an den Restaurant-Inhaber.