Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht


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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

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G ist in einem Restaurant essen. Er denkt, er sei gesetzlich zu einer Zahlung eines Trinkgelds an die Kellnerin in Höhe von ca. 10 % verpflichtet. Er bezahlt daher insgesamt €20 bei der K, bei einer Rechnung von €18. K darf mit Erlaubnis Ihres Chefs Trinkgelder stets für sich behalten.

Einordnung des Falls

Kondiktionsausschluss nach § 814: Anstandspflicht

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 5 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. G war zur Zahlung des Trinkgelds gesetzlich verpflichtet.

Nein!

G muss lediglich die Speisen und Getränke bezahlen, über die er einen Kaufvertrag geschlossen hat. Er musste demnach nur €18 bezahlen. Es gibt keine gesetzliche Verpflichtung, darüber hinaus ein Trinkgeld zu bezahlen.

2. K hat „etwas erlangt“ (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB).

Genau, so ist das!

„Etwas“ im Sinne von § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB ist jede vorteilhafte Rechtsposition. Der Vorteil muss tatsächlich in das Vermögen des Schuldners übergegangen sein. Man kann vier Kategorien unterscheiden: (1) Rechte (z.B. Eigentum), (2) vorteilhafte Rechtsstellungen (z.B. Besitz), (3) Befreiung von Verbindlichkeiten, (4) erlangte Nutzungen an fremden Sachen oder Rechten.K hat Eigentum und Besitz an dem Trinkgeld erlangt, das G ihr übergeben und übereignet hat. Es wurde auch ihr und nicht dem Restaurant übereignet, da K das Trinkgeld behalten darf und G das Trinkgeld an sie zahlen wollte.

3. K hat das Eigentum am Geld „durch Leistung“ des G (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erlangt.

Ja, in der Tat!

Leistung ist jede bewusste und zweckgerichtete Mehrung fremden Vermögens. Die Zweckbestimmung der Leistung ist eine geschäftsähnliche Handlung. Das Vorliegen einer Leistung ist aus der objektiven Empfängersicht (§§ 133, 157 BGB) zu beurteilen.G wollte mit der Übereignung eine vermeintliche gesetzliche Verbindlichkeit begleichen (solvendi causa). Er hat zu diesem Zweck bewusst und zielgerichtet das Vermögen der K gemehrt.

4. G hat die Leistung an K "ohne rechtlichen Grund" (§ 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 1 BGB) erbracht.

Ja!

Es gibt keine einheitliche Definition der Rechtsgrundlosigkeit, die für alle Leistungskondiktionen gelten würde. Es sind zu unterscheiden: (1) anfängliches Fehlen einer Verbindlichkeit (condictio indebiti), (2) Rechtsgrund bestand, ist aber nachträglich entfallen (condictio ob causam finitam), (3) Leistung verfolgt einen Zweck, der über Befreiung von einer Verbindlichkeit hinausgeht (condictio ob rem) und (4) Gesetzes- oder Sittenverstoß des Leistungsempfängers (condictio ob turpem vel iniustam causam). Zu 1: Bei der condictio indebiti fehlt der Rechtsgrund, wenn der mit der bewussten Vermögensmehrung verfolgte Zweck verfehlt worden ist.Hier fehlte es von Anfang an am Rechtsgrund, sodass eine condictio indebiti in Betracht kommt.

5. Der Anspruch auf Rückforderung des G ist ausgeschlossen, da es sich bei der Leistung um eine Anstandspflicht handelt (§ 814 Alt. 2 BGB).

Genau, so ist das!

Nach § 814 Alt. 2 BGB kann das zum Zwecke der Erfüllung einer Verbindlichkeit Geleistete nicht zurückgefordert werden, wenn die Leistung einer sittlichen Pflicht (sog. Anstandspflicht) entsprach. Der Ausschlusstatbestand des § 814 Alt. 2 BGB ist nur anwendbar auf die condictio indebiti. Ob eine Anstandspflicht vorliegt, wird rein objektiv nach den herrschenden Moralvorstellungen bestimmt. Dabei kann auf ähnliche Grundsätze, wie bei § 138 Abs. 1 zurückgegriffen werden.Es ist eine lange geprägte, in der allgemeinen Öffentlichkeit weitverbreitete Ansicht, dass im Regelfall bei einem Restaurantbesuch ein Trinkgeld zu gewähren ist. Es handelt sich nach den herrschenden Moralvorstellungen um eine Anstandspflicht. Die Rückforderung ist ausgeschlossen.

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