Einführungsfall - Beförderungserschleichung durch Überwindung von Sicherungsmaßnahme


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Studentin S ist spät dran zur Vorlesung. Um die Zeit für den Ticketkauf zu sparen, klettert S über das Drehkreuz an der menschenleeren U-Bahn-Haltestelle. Sie steigt ohne Fahrkarte in die Bahn ein. Wie vorausgesehen, wird sie auf dem kurzen Weg zur Uni nicht kontrolliert.

Einordnung des Falls

Einführungsfall - Beförderungserschleichung durch Überwindung von Sicherungsmaßnahme

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Hat sich S wegen Betrugs strafbar gemacht, indem sie ohne Ticket mit der Bahn fuhr (§ 263 Abs. 1 StGB)?

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Nein, das trifft nicht zu!

Der Betrug setzt als Tathandlung eine Täuschung voraus. Täuschung ist das Einwirken auf einen anderen mit dem Ziel der Erregung eines Irrtums.S ist ohen Fahrkarte mit der U-Bahn gefahren. Durch diese Handlung hat sie jedoch keinen Menschen getäuscht. Eine Strafbarkeit wegen Betrugs scheidet aus.

2. Allerdings hat sich S wegen versuchten Betrugs strafbar gemacht, als sie die Bahn ohne Ticket benutzte (§ 263 Abs. 1, Abs. 2, 22, 23 Abs. 1 StGB).

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Nein!

Der strafbare Versuch setzt voraus, dass der Täter einen Tatentschluss hinsichtlich aller Tatbestandsmerkmale hat und zur Verwirklichung der Tat unmittelbar ansetzt (§ 22 StGB).S ging davon aus, auf der Strecke zur Uni nicht kontrolliert zu werden. Sie hatte nicht vor, einen Menschen zu täuschen. S fehlte somit schon der Tatentschluss hinsichtlich eines versuchten Betruges.

3. S könnte sich aber wegen des Erschleichens von Leistungen nach § 265a Abs. 1 Var. 3 StGB strafbar gemacht haben, indem sie ohne Ticket mit der U-Bahn fuhr.

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Genau, so ist das!

S müsste dafür zunächst objektiv (1) die Beförderung durch ein Verkehrsmittel, (2) welche entgeltlich ist, (3) erschlichen haben.

4. Ist die Fahrt mit der U-Bahn eine entgeltliche Beförderung durch ein Verkehrsmittel?

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Ja, in der Tat!

Beförderung durch ein Verkehrsmittel ist jeder Transport von Personen oder Sachen durch ein öffentliches oder privates Verkehrsmittel.Entgelt ist nach § 11 Abs. 1 Nr. 9 StGB jede in einem Vermögensvorteil bestehende Gegenleistung.Durch die Fahrt mit der U-Bahn wird S durch ein öffentliches Verkersmittel befördert. Die Beförderung soll auch gegen Entgelt erfolgen.Die Entgeltlichkeit der Leistung ist ein ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal. Es ist nötig, weil § 265a StGB dem Vermögensschutz dient (Telos!). Das Vermögen kann aber nur bei einer entgeltlichen Leistung geschädigt werden.

5. Hat sich S die Beförderung durch die U-Bahn auch erschlichen (§ 265a Abs. 1 Var. 3 StGB)?

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Ja!

Wann eine Beförderungsleistung erschlichen wird, ist strittig. Nach der Rspr. genügt dafür, dass der Täter die Leistung nutzt und sich dabei durch sein Verhalten mit dem Anschein der Ordnungsmäßigkeit umgibt. Nach der überwiegenden Auffassung in der Literatur muss der Täter zudem Kontroll- oder Sicherungsvorkehrungen ausschalten oder umgehen.S hat sich befördern lassen und sich dabei mit dem Anschein umgeben, sie würde regulär mir Ticket fahren. Sie hat für die Fahrt das Drehkreuz und damit eine Sicherungsvorkehrung für die Beförderung überwunden. Nach beiden Ansichten hat S sich die Beförderung erschlichen.

6. S hat auch den subjektiven Tatbestand erfüllt (§ 265a Abs. 1 Var. 3 StGB).

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Genau, so ist das!

Zum subjektiven Tatbestand des § 265a StGB gehört (1) der Vorsatz bezüglich aller objektiven Tatbestandsmerkmale und (2) die Absicht, das Engelt nicht zu entrichten.S handelte vorsätzlich. Ihr müsste es außerdem gerade darauf ankommen, das Entgelt nicht zu entrichten. Zwar wollte S nur pünktlich zur Vorlesung kommen. Es genügt jedoch, wenn eine Entgeltvermeidung ein notwendiges Zwischenziel darstellt. Das ist hier der Fall.

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