Zivilrecht

BGB Allgemeiner Teil

Abgabe und Zugang von Willenserklärungen

Zugang verkörperter Erklärungen unter Anwesenden – Übergabe, Erlangung der Verfügungsgewalt

Zugang verkörperter Erklärungen unter Anwesenden – Übergabe, Erlangung der Verfügungsgewalt

leichtmittelschwer

+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

A möchte seiner Sekretärin S kündigen. Er fertigt eine schriftliche Kündigungserklärung an. In der Mittagspause übergibt er ihr das Kündigungsschreiben.

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Einordnung des Falls

Zugang verkörperter Erklärungen unter Anwesenden – Übergabe, Erlangung der Verfügungsgewalt

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Die Kündigung an S ist wirksam geworden, als A sie vollständig verfasst und unterzeichnet hat.

Nein, das trifft nicht zu!

Beim Wirksamwerden einer Willenserklärung (WE) kann man vier Phasen unterscheiden: (1) Abschluss des Erklärungsvorgangs, (2) Abgabe, (3) Zugang und (4) tatsächliche Kenntnisnahme. Phase 1 (Abschluss des Erklärungsvorgangs) ist erfolgt, wenn der Erklärende den objektiven und subjektiven Tatbestand der WE erfüllt und seinen endgültigen Rechtsbindungswillen zum Ausdruck bringt. Nicht empfangsbedürftige WE (z.B. Testament) sind mit Abschluss des Erklärungsvorgangs bereits wirksam. Anders bei empfangsbedürftigen WE (wie der Kündigung): Sie sind bis zur Abgabe nichtig.Das Anfertigen der Erklärung bereitet die Abgabe der WE lediglich vor. Somit ist die Kündigung der S nach vollständigem Verfassen und Unterzeichnen noch nicht wirksam geworden.
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2. Die Kündigung an S ist wirksam geworden, als A sie S ausgehändigt hat.

Ja!

Für das Wirksamwerden empfangsbedürftiger WE gegenüber Anwesenden fehlt eine ausdrückliche gesetzliche Regelung. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB gilt analog. Bei der an einen Anwesenden gerichteten schriftlichen WE fallen Abgabe (Phase 2) und Zugang (Phase 3) i.d.R in zeitlicher Hinsicht zusammen, weil die Erklärung hier gewöhnlich nicht durch Dritte befördert wird. Abgabe und Zugang liegen vor, wenn die Erklärung dem Adressaten willentlich übergeben wird. Mit Übergabe, d.h. Erlangung der tatsächlichen Verfügungsgewalt, gelangt sie so in den Machtbereich des Empfängers, dass er von ihr Kenntnis nehmen kann und unter normalen Umständen mit Kenntnisnahme zu rechnen ist.Indem A der S die Kündigung aushändigt, vollzieht sie eine willentliche Übergabe. Die Kündigung ist somit wirksam.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Harun

Harun

24.10.2021, 20:54:48

Dieser Fall als Beispiel kommt doch schon in den Aufgaben zuvor dran? Dort wurde doe Antwort bezüglich der analogen Anwendung des §130 BGB nicht so genannt? Übersehe ich etwas?

Lukas_Mengestu

Lukas_Mengestu

25.10.2021, 10:34:07

Hallo Harun, meinst Du das Beispiel in der gleichen Session (Kündigung der Sekretärin S, die krank zu Hause liegt)? Da wurde die Erklärung an S nach Hause geliefert, d.h. es liegt gerade keine Erklärung unter Anwesenden vor. In der nächsten Session (Verkörperte Willenserklärung 3) wird dagegen wieder ausgeführt, dass § 130 Abs. 1 S. 1 BGB analog gilt für Erklärungen unter Anwesenden. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team


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