Erben beim Tod einer Frau
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
O lebt allein in München. Sie erleidet einen Herzinfarkt und stirbt. Schwester S, die dabei ist, nimmt O nach ihrem Tod die Perlenkette vom Hals, um sie zu behalten. Alleinige Erbin der O ist Tochter T, die in Münster lebt.
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Einordnung des Falls
Erben beim Tod einer Frau
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Im Zeitpunkt des Todes der O geht ihr Besitz an der Perlenkette im Wege der Universalsukzession auf T über (§ 1922 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Im Zeitpunkt des Todes der O geht ihr Besitz an der Perlenkette nach der gesetzlichen Fiktion des § 857 BGB auf T über.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
MasterK
8.11.2020, 21:27:00
hab ich auch schon bei dieser Frage im Erbrecht geschrieben: auch im Strafrecht würde ein
gelockerter Gewahrsamvorliegen.
Eigentum verpflichtet 🏔️
9.11.2020, 08:50:37
Hallo MasterK, bitte schaue nochmal nach dem anderen Fall, wir haben dir da schon geantwortet. Die Antwort ist Nein. im Strafrecht läge kein gelockerter, sondern gar kein Gewahrsam vor. Denn Besitz und Gewahrsam sind nicht identisch. Die Fiktion des § 857 BGB findet auf das Strafrecht keine Anwendung. In Betracht kommt mangels
Gewahrsamsbrucheine Strafbarkeit wegen Unterschlagung nach § 246 StGB.
Aidaa
11.5.2022, 20:56:12
Kann der Erbenbesitzer immer nur die Form des Besitzes erben, den der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes hatte? Oder wird der Erbenbesitzer immer direkt un
mittelbarer Besitzer, selbst wenn der Erblasser zB nur
mittelbarer Besitzer war?
Lukas_Mengestu
13.5.2022, 09:53:55
Hallo Aidaa, herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Deine Frage :-) Der Besitz des Erbenbesitzers richtet sich immer nach dem Besitz des Erblassers. Dies ist primär für die Frage relevant, ob der Erbenbesitzer Allein- oder Mitbesitz, Fremdbesitz oder Eigenbesitz erlangt (vgl. MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 857 Rn. 5). Die hM wendet § 857 BGB zwar auch auf den mittelbaren Besitz an. Fraglich ist allerdings, ob dies notwendig ist. Denn der mittelbare Besitz besteht ja lediglich darin, dass ein
Herausgabeanspruchgegenüber dem unmittelbaren Besitz besteht. Dieser geht ja bereits nach § 1922 BGB über (so MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 857 Rn. 6). Aber unabhängig davon, ob man es nun über § 1922 BGB oder § 857 BGB begründet, wird der Erbe nur
mittelbarer Besitzer, wenn der Erblasser nur
mittelbarer Besitzer war. Ein un
mittelbarer Besitzwird nicht fingiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
yangbo
10.4.2023, 21:38:40
Das heißt aber, dass der zivilrechtliche Besitz, der sich vom strafrechtlichen Gewahrsam unterscheidet, nicht über die Definition "tatsächliche Herrschaft" abgrenzbar ist und den Besitzbegriff über weitere Normen (wie eben die Fiktion in § 857) konkretisiert (und dadurch vom Gewahrsam abgrenzt). Oder liegt die "Lösung" in der Unterscheidung zwischen den Begriffen "Sachherrschaft" von "Herrschaft"? Denn andererseits wäre der Gewahrsamsbegriff vermutlich weiter (
Gewahrsamsenklaven etc.) als der zivilrechtliche Besitzbegriff, oder? Wahrscheinlich ist das "gefährlich", aber rechtsgebietsübergreifende Kapitel, in denen solche Sachen geklärt werden, fände ich ja in puncto Verknüpfung und Lerneffekt auch super!
Lukas_Mengestu
12.4.2023, 18:28:49
Hallo yangbo, wir hatten das u.a. einmal als Vertiefung zur Definition des Gewahrsamsbegriffs aufgegriffen (https://applink.jurafuchs.de/U3k2Vu7rWyb). Das Beispiel des Besitz und Gewahrsams zeigt hervorragend, dass man die verschiedenen Rechtsgebiete und ihre Definitionen sauber voneinander trennen muss, auch wenn es viele Gemeinsamkeiten gibt. Was im Zivilrecht unter den Begriff des Besitzes fällt, wird in den §§ 854 ff. BGB definiert. Ähnlich zum Gewahrsam stellt § 854 BGB dabei vorrangig auf den die tatsächliche Gewalt ab, die aber durch die Verkehrsanschauung geprägt ist (so besteht zB auch im Urlaub sowohl Besitz als auch Gewahrsam an meinem Hausrat zuhause). Unterschiede ergeben sich aber wie Du siehst im Hinblick auf den Erbenbesitz, der letztlich eine bloße Fiktion darstellt. Zudem gibt es auch in Mehrpersonenverhältnissen Differenzen. So hat der mittelbare Besitzer in der Regel zwar Besitz aber keinen Gewahrsam (keine tatsächliche Herrschaft), während der
Besitzdienerzwar Gewahrsam hat, aber keinen zivilrechtlichen Besitz (so explizit §
855 BGB). Ich hoffe, das hilft :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jimmy105
26.8.2024, 21:54:51
was bedeutet 857 für den anspruch aus 985? 985 würde doch leerlaufen, wenn man annehmen würde, das 857 unmittelbaren besitz des erben begründete?
Sebastian Schmitt
17.9.2024, 12:54:27
Hallo @[Jimmy105](252785), vielen Dank für die gute Nachfrage! Interessanterweise findet man zu Deiner Frage explizit recht wenig. Was klar zu sein scheint: Die Besitzschutzregeln der §§ 858 ff BGB werden auf den Erbenbesitzer (zumindest analog) angewendet (MüKo-BGB/Schäfer, 9. Aufl 2023, § 857 Rn 10). Daran könnte man schon zweifeln, denn nach § 857 BGB soll ja (nur?) der Erbenbesitzer Besitzer sein? So ist es aber wohl nicht gemeint, denn § 857 BGB soll dem Erben ja gerade zusätzlich zugute kommen und ihm nicht wesentliche Ansprüche und Schutzrechte nehmen. So dürfte es sich auch iRv § 985 BGB verhalten. Der Erbenbesitzer ist zwar Besitzer, derjenige, der abweichend davon und ohne Zustimmung des Erbenbesitzers die tatsächliche Sachherrschaft inne hat bzw an sich reißt, aber auch. Demzufolge kann der Erbenbesitzer auch den Anspruch aus § 985 BGB geltend machen. Das wird dadurch gestützt, dass iRv § 935 I 1 BGB nach wohl allgM auch dem Erbschaftsbesitzer die Sache abhanden kommt, wenn sie durch jemand anders veräußert wird (MüKo-BGB/Oechsler, 9. Aufl 2023, § 935 Rn 5). Wenn der Erbschaftsbesitzer in solchen Fällen § 985 BGB gegen den (gutgläubigen!) Enderwerber geltend machen kann, muss das erst recht zB ggü der S in unserem Fall gelten. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team