Erben beim Tod einer Frau
19. Mai 2025
17 Kommentare
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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
O lebt allein in München. Sie erleidet einen Herzinfarkt und stirbt. Schwester S, die dabei ist, nimmt O nach ihrem Tod die Perlenkette vom Hals, um sie zu behalten. Alleinige Erbin der O ist Tochter T, die in Münster lebt.
Diesen Fall lösen 66,4 % der 15.000 Nutzer:innen unseres digitalen Tutors "Jurafuchs" richtig.
Einordnung des Falls
Erben beim Tod einer Frau
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 2 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Im Zeitpunkt des Todes der O geht ihr Besitz an der Perlenkette im Wege der Universalsukzession auf T über (§ 1922 BGB).
Nein, das ist nicht der Fall!
Jurastudium und Referendariat.
2. Im Zeitpunkt des Todes der O geht ihr Besitz an der Perlenkette nach der gesetzlichen Fiktion des § 857 BGB auf T über.
Ja, in der Tat!
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community
MasterK
8.11.2020, 21:27:00
hab ich auch schon bei dieser Frage im Erbrecht geschrieben: auch im Strafrecht würde ein
gelockerter Gewahrsamvorliegen.

Eigentum verpflichtet 🏔️
9.11.2020, 08:50:37
Hallo MasterK, bitte schaue nochmal nach dem anderen Fall, wir haben dir da schon geantwortet. Die Antwort ist Nein. im Strafrecht läge kein gelockerter, sondern gar kein Gewahrsam vor. Denn Besitz und Gewahrsam sind nicht identisch. Die Fiktion des §
857 BGBfindet auf das Strafrecht keine Anwendung. In Betracht kommt mangels Gewahrsamsbruch eine Strafbarkeit wegen Unterschlagung nach § 246 StGB.
ehemalige:r Nutzer:in
11.5.2022, 20:56:12
Kann der Erbenbesitzer immer nur die Form des Besitzes erben, den der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes hatte? Oder wird der Erbenbesitzer immer direkt un
mittelbarer Besitzer, selbst wenn der Erblasser zB nur
mittelbarer Besitzer war?

Lukas_Mengestu
13.5.2022, 09:53:55
Hallo Aidaa, herzlich willkommen im Forum und vielen Dank für Deine Frage :-) Der Besitz des Erbenbesitzers richtet sich immer nach dem Besitz des Erblassers. Dies ist primär für die Frage relevant, ob der Erbenbesitzer Allein- oder Mitbesitz,
Fremdbesitz oder Eigenbesitz erlangt (vgl. MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 857 Rn. 5). Die hM wendet §
857 BGBzwar auch auf den mittelbaren Besitz an. Fraglich ist allerdings, ob dies notwendig ist. Denn der mittelbare Besitz besteht ja lediglich darin, dass ein Herausgabeanspruch gegenüber dem unmittelbaren Besitz besteht. Dieser geht ja bereits nach § 1922 BGB über (so MüKoBGB/Schäfer, 8. Aufl. 2020, BGB § 857 Rn. 6). Aber unabhängig davon, ob man es nun über § 1922 BGB oder §
857 BGBbegründet, wird der Erbe nur
mittelbarer Besitzer, wenn der Erblasser nur
mittelbarer Besitzer war. Ein un
mittelbarer Besitzwird nicht fingiert. Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
yangbo
10.4.2023, 21:38:40
Das heißt aber, dass der zivilrechtliche Besitz, der sich vom strafrechtlichen Gewahrsam unterscheidet, nicht über die Definition "tatsächliche Herrschaft" abgrenzbar ist und den Besitzbegriff über weitere Normen (wie eben die Fiktion in § 857) konkretisiert (und dadurch vom Gewahrsam abgrenzt). Oder liegt die "Lösung" in der Unterscheidung zwischen den Begriffen "
Sachherrschaft" von "Herrschaft"? Denn andererseits wäre der Gewahrsamsbegriff vermutlich weiter (
Gewahrsamsenklavenetc.) als der zivilrechtliche Besitzbegriff, oder? Wahrscheinlich ist das "gefährlich", aber rechtsgebietsübergreifende Kapitel, in denen solche Sachen geklärt werden, fände ich ja in puncto Verknüpfung und Lerneffekt auch super!

Lukas_Mengestu
12.4.2023, 18:28:49
Hallo yangbo, wir hatten das u.a. einmal als Vertiefung zur Definition des Gewahrsamsbegriffs aufgegriffen (https://applink.jurafuchs.de/U3k2Vu7rWyb). Das Beispiel des Besitz und Gewahrsams zeigt hervorragend, dass man die verschiedenen Rechtsgebiete und ihre Definitionen sauber voneinander trennen muss, auch wenn es viele Gemeinsamkeiten gibt. Was im Zivilrecht unter den Begriff des Besitzes fällt, wird in den §§ 854 ff. BGB definiert. Ähnlich zum Gewahrsam stellt § 854 BGB dabei vorrangig auf den die tatsächliche Gewalt ab, die aber durch die Verkehrsanschauung geprägt ist (so besteht zB auch im Urlaub sowohl Besitz als auch Gewahrsam an meinem Hausrat zuhause). Unterschiede ergeben sich aber wie Du siehst im Hinblick auf den Erbenbesitz, der letztlich eine bloße Fiktion darstellt. Zudem gibt es auch in Mehrpersonenverhältnissen Differenzen. So hat der mittelbare Besitzer in der Regel zwar Besitz aber keinen Gewahrsam (keine tatsächliche Herrschaft), während der
Besitzdienerzwar Gewahrsam hat, aber keinen zivilrechtlichen Besitz (so explizit § 855 BGB). Ich hoffe, das hilft :-) Beste Grüße, Lukas - für das Jurafuchs-Team
Jimmy105
26.8.2024, 21:54:51
was bedeutet 857 für den anspruch aus 985? 985 würde doch leerlaufen, wenn man annehmen würde, das 857 unmittelbaren besitz des erben begründete?

Sebastian Schmitt
17.9.2024, 12:54:27
Hallo @[Jimmy105](252785), vielen Dank für die gute Nachfrage! Interessanterweise findet man zu Deiner Frage explizit recht wenig. Was klar zu sein scheint: Die
Besitzschutzregeln der §§ 858 ff BGB werden auf den Erbenbesitzer (zumindest analog) angewendet (MüKo-BGB/Schäfer, 9. Aufl 2023, § 857 Rn 10). Daran könnte man schon zweifeln, denn nach §
857 BGBsoll ja (nur?) der Erbenbesitzer Besitzer sein? So ist es aber wohl nicht gemeint, denn §
857 BGBsoll dem Erben ja gerade zusätzlich zugute kommen und ihm nicht wesentliche Ansprüche und Schutzrechte nehmen. So dürfte es sich auch iRv § 985 BGB verhalten. Der Erbenbesitzer ist zwar Besitzer, derjenige, der abweichend davon und ohne Zustimmung des Erbenbesitzers die
tatsächliche Sachherrschaftinne hat bzw an sich reißt, aber auch. Demzufolge kann der Erbenbesitzer auch den Anspruch aus § 985 BGB geltend machen. Das wird dadurch gestützt, dass iRv § 935 I 1 BGB nach wohl allgM auch dem Erbschaftsbesitzer die Sache abhanden kommt, wenn sie durch jemand anders veräußert wird (MüKo-BGB/Oechsler, 9. Aufl 2023, § 935 Rn 5). Wenn der Erbschaftsbesitzer in solchen Fällen § 985 BGB gegen den (gutgläubigen!) Enderwerber geltend machen kann, muss das erst recht zB ggü der S in unserem Fall gelten. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Vestinha
15.11.2024, 09:45:08
Hey @[Sebastian Schmitt](263562) ist es denn überhaupt notwendig für den Anspruch aus § 985 durch den Erben auf § 857 abzustellen ? §1922 führt ja dazu, dass der Erbe Eigentümer und kann §985 geltend machen.

Sebastian Schmitt
15.11.2024, 10:51:46
Hallo @[Vestinha](208075), es geht hier nicht um die Frage, ob der Erbenbesitzer auch Eigentümer ist, das regelt natürlich § 1922 I BGB und die damit zusammenhängende Prüfung. Es geht vielmehr um die Frage, ob der Anspruchsgegner des Erbenbesitzers/Eigentümers auch Besitzer ist - zumindest habe ich so die Ausgangsfrage von Jimmy105 interpretiert. Daran könnte man zweifeln, weil ja nach §
857 BGB(nur?) der Erbschaftsbesitzer Besitzer ist. Siehe aber meine Ausführungen oben, deswegen wird man (auch) den anderen, der die Sache tatsächlich in der Hand hält, als Besitzer sehen müssen und allein deswegen kann der Anspruch aus § 985 BGB nicht ausgeschlossen sein. Viele Grüße, Sebastian - für das Jurafuchs-Team

Jeffrey Goines
10.1.2025, 13:47:48
Ist es nicht eher so, dass
857 BGBlediglich den Besitzerwerb („geht über“) des Erben unmittelbar bei Tod des Erblassers fingiert, nicht aber einen dauerhaften Besitz? Mit anderen Worten: T hat Besitz erworben (
857 BGB), der dann von S wiederum aufgehoben wird (durch
Wegnahme). 985 ist deshalb unproblematisch gegeben und findet deshalb kaum Erwähnung.
okalinkk
21.4.2025, 17:15:22
hat es einen Grund, dass der Besitz nicht gem 1922 übergeht? Abgesehen davon, dass 857 eine gesetzliche Fiktion anordnet..
P K
21.4.2025, 22:54:28
Würde tippen, dass der Besitz kein "Vermögen", sondern etwas Tatsächliches ist, aber eben keine Rechtsposition.
okalinkk
22.4.2025, 00:23:30
@[P K](196201) klingt logisch :)