Referendariat

Die zivilrechtliche Urteilsklausur

Entscheidungsgründe

Veräußerung der streitbefangenen Sache durch Beklagten an bösgläubigen Erwerber

Veräußerung der streitbefangenen Sache durch Beklagten an bösgläubigen Erwerber

22. November 2024

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K erhebt Klage gegen B auf Herausgabe seiner Armbanduhr (§ 985 BGB). Kurz danach schenkt B die Uhr seinem Arbeitskollegen A. Dieser nimmt die Uhr hocherfreut an, obwohl er vom Prozess und Ks Eigentumsrecht Kenntnis hat. B wird antragsgemäß verurteilt. ‌

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Einordnung des Falls

Veräußerung der streitbefangenen Sache durch Beklagten an bösgläubigen Erwerber

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 6 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. A ist Eigentümer der Uhr geworden.

Nein!

Der Eigentumserwerb vom Nichtberechtigten bzw. der gutgläubige Erwerb ist in den §§ 932ff. BGB geregelt. Durch eine nach § 929 erfolgte Veräußerung wird der Erwerber auch dann Eigentümer, wenn die Sache nicht dem Veräußerer gehört, es sei denn, dass er zu der Zeit, zu der er nach diesen Vorschriften das Eigentum erwerben würde, nicht in gutem Glauben ist (§ 932 Abs. 1 S. 1 BGB). Der Erwerber ist nicht in gutem Glauben, wenn ihm bekannt oder infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt ist, dass die Sache nicht dem Veräußerer gehört (§ 932 Abs. 2 BGB). B hat als Nichtberechtigter über die Uhr verfügt. A wusste davon, sodass er diese nicht gutgläubig nach §§ 929 S. 1, 932 BGB erworben hat.
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2. B hat dennoch eine streitbefangene Sache veräußert.

Genau, so ist das!

Eine Sache ist streitbefangen, wenn durch ihre Veräußerung der Kläger nicht mehr aktivlegitimiert bzw. der Beklagte nicht mehr passivlegitimiert ist. B konnte A zwar kein Eigentum an der Uhr verschaffen, hat jedoch zumindest seinen Besitz daran an A übertragen. Der Besitz des Anspruchsgegners ist Anspruchsvoraussetzung des Herausgabeanspruchs aus § 985 BGB. Durch die Besitzübertragung hat B somit an sich seine Passivlegitimation verloren.

3. Aufgrund Bs fehlendem Besitz hätte die Klage als unbegründet abgewiesen werden müssen (§ 265 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Die Veräußerung der streitbefangenen Sache hat auf den Prozess keinen Einfluss (§ 265 Abs. 2 S. 1 ZPO). Der Prozess wird demnach mit den bereits vorhandenen Parteien fortgesetzt. Geschieht die Veräußerung auf Beklagtenseite, wird die fehlende Passivlegitimation des Beklagten durch § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO überwunden. B hat als Beklagter die Uhr als streitbefangene Sache veräußert. Der damit einhergehende Verlust seiner Passivlegitimation wird allerdings über § 265 Abs. 2 S. 1 ZPO überwunden. Bei Veräußerung auf Klägerseite wird die fehlende Aktivlegitimation des Klägers dagegen erst dadurch überwunden, dass der Rechtsnachfolger ihm eine Einzugsermächtigung erteilt oder dass der Kläger den Klageantrag auf Leistung an den Rechtsnachfolger umstellt (§ 264 Nr. 2 ZPO).

4. Wirkt die Rechtskraft des gegen B ergangenen Urteils auch gegenüber A?

Ja!

Nach § 325 Abs. 1 Alt. 1 ZPO wirkt ein Urteil grundsätzlich nicht nur für und gegen die Parteien des Rechtsstreits, sondern auch für und gegen diejenigen Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit deren Rechtsnachfolger geworden sind. Eine Ausnahme hierzu normiert § 325 Abs. 2 ZPO: Die Vorschriften des bürgerlichen Rechts zugunsten derjenigen, die Rechte von einem Nichtberechtigten herleiten, gelten entsprechend. Dies bedeutet, dass bei Gutgläubigkeit des Rechtsnachfolgers keine Rechtskrafterstreckung stattfindet. Sie muss sich sowohl auf die fehlende Eigentümerstellung des Veräußernden, als auch auf den laufenden Prozess erstrecken („doppelte Gutgläubigkeit“). Als A Rechtsnachfolger des B wurde, wusste er vom laufenden Prozess und auch von Bs fehlender Eigentumsstellung. Es bleibt somit bei der Rechtskrafterstreckung nach § 325 Abs. 1 Alt. 1 ZPO.

5. Wäre eine erneute Klage des K gegen A auf Herausgabe der Uhr (§ 985 BGB) zulässig?

Nein, das ist nicht der Fall!

Nach § 325 Abs. 1 Alt. 1 ZPO erstreckt sich die Rechtskraft eines Urteils auf die Parteien und die Personen, die nach dem Eintritt der Rechtshängigkeit Rechtsnachfolger der Parteien geworden sind. Diese bereits bestehende Rechtskraft steht nicht nur einer erneuten Klage gegen den vormals Beklagten, sondern auch einer Klage gegen den Rechtsnachfolger entgegen. Beide Klagen wären wegen entgegenstehender Rechtskraft unzulässig. Die Rechtskraft des Urteils gegenüber B erstreckt sich auch auf A. Eine Klage des K gegen A auf Herausgabe (§ 985 BGB) wäre wegen dieser entgegenstehenden Rechtskraft unzulässig.

6. Da B und nicht A verurteilt wurde, kann K aber aus dem Urteil nicht gegen A vollstrecken.

Nein, das trifft nicht zu!

Eine vollstreckbare Ausfertigung kann auch gegen den Rechtsnachfolger des in dem Urteil bezeichneten Schuldners und den Besitzer der in Streit befangenen Sache, gegen die das Urteil nach § 325 ZPO wirksam ist, erteilt werden (§ 727 Abs. 1 ZPO). Dies bedeutet, dass der Kläger bei Veräußerung der streitbefangenen Sache durch den Beklagten und Rechtskrafterstreckung auf den Rechtsnachfolger den gegen den Beklagten erlangten Titel auf dessen Rechtsnachfolger umschreiben lassen kann. Aus dem umgeschriebenen Titel kann er anschließend gegen den Rechtsnachfolger vollstrecken. Die Rechtskraft des Urteils gegen B erstreckt sich auch auf A. K kann den gegen B erlangten Titel also auf A umschreiben lassen. Dadurch kann er - ohne neuerlichen Prozess - auch gegen A vollstrecken.
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