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Fehler des Zustellers – Zurechnung? (BGH, Urt. v. 10.10.2024 – VII ZR 240/23)

Fehler des Zustellers – Zurechnung? (BGH, Urt. v. 10.10.2024 – VII ZR 240/23)

19. März 2025

1 Kommentar

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+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)

Jurafuchs

K hat eine seit 2015 fällige Werklohnforderung gegen B. 2016 ändert sich Bs Anschrift im Handelsregister. K verklagt B mit am 29.11.2018 anhängiger Klage auf Zahlung des Lohns. Die Klage weist als Zustelladresse Bs Anschrift aus 2015 aus. Dort legt sie der Zusteller am 23.1.2019 in den Briefkasten eines Dritten.

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Einordnung des Falls

Fehler des Zustellers – Zurechnung? (BGH, Urt. v. 10.10.2024 – VII ZR 240/23)

Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt

1. Erst am 12.2.2019 wird die Klage an der aktuellen Anschrift der B zugestellt. Ist Ks Klage unbegründet, wenn B zu Recht die Einrede der Verjährung erhebt (§ 214 Abs. 1 BGB)?

Ja, in der Tat!

Schwerpunkt des Falles ist nicht die Frage, ob der Anspruch auf Werklohnforderung aus § 631 BGB besteht („Anspruch entstanden“), sondern ob dieser durchsetzbar ist. Auf diese Prüfung haben wir uns im Folgenden konzentriert. § 214 Abs. 1 BGB berechtigt den Schuldner dazu, nach Eintritt der Verjährung die Leistung zu verweigern. Bei dem Leistungsverweigerungsrecht handelt es sich nach ganz h.M. um eine peremptorische Einrede: Der Anspruch geht nicht unter, sondern wird in seiner Durchsetzbarkeit dauerhaft gehemmt. Die Erhebung der Verjährungseinrede ist eine rechtsgeschäftsähnliche Handlung (BGH NJW 2012, 3509). § 214 Abs. 1 BGB ist in der Klausur grundsätzlich der Einstiegspunkt für die Prüfung der Verjährung. Nur, wenn Du diese Norm nennst, machst Du deutlich, wozu die Prüfung der Verjährung überhaupt dient!
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2. Die Verjährungsfrist für die Klageforderung lief grundsätzlich mit dem 31.12.2019 ab (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB).

Nein!

Ansprüche unterliegen gemäß § 194 Abs. 1 BGB der Verjährung. Die regelmäßige Verjährungsfrist nach § 195 BGB gilt soweit nichts anderes bestimmt ist und beträgt drei Jahre. In der Regel beginnt sie nach § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (1) und der Gläubiger die anspruchsbegründenden Umstände sowie die Person des Schuldners kennt oder grob fahrlässig nicht kennt (2). Die Werklohnforderung wurde 2015 fällig. Die regelmäßige Verjährungsfrist von drei Jahren begann am 31.12.2015 um 24 Uhr zu laufen. Dementsprechend wäre sie grundsätzlich am 31.12.2018 um 24 Uhr abgelaufen. Der Vergütungsanspruch des Werkunternehmers wird nach § 641 Abs. 1 S. 1 BGB grundsätzlich mit Abnahme seiner Werkleistungen fällig. Dabei musst Du die Verjährung des Werklohnanspruchs klar von der Verjährung von Mängelansprüchen trennen. Die besonderen werkvertraglichen Verjährungsfristen gemäß § 634a BGB gelten nur für Gewährleistungsansprüche des Bestellers aufgrund von Mängeln an körperlichen Werken einschließlich hierauf bezogener Planungs- und Überwachungsarbeiten.

3. Ks Werklohnanspruch wäre grundsätzlich seit dem 31.12.2018 verjährt. Könnte die Verjährungsfrist durch Ks Klage gehemmt worden sein (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB)?

Genau, so ist das!

In den §§ 203ff. BGB finden sich unterschiedliche Regelungen über Hemmung, Ablaufhemmung und Neubeginn der Verjährung. Nach § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB wird die Verjährung durch die Erhebung der Klage auf Leistung gehemmt. Hierfür ist gemäß § 253 Abs. 1 ZPO die Zustellung der Klageschrift erforderlich. Durch die Klageerhebung wird nach § 261 Abs. 1 ZPO die Rechtshängigkeit der Streitsache begründet. Mit Eingang der Klageschrift bei Gericht ist die Klage zunächst nur anhängig.Die Klage wurde B erst am 12.02.2019 zugestellt. Wenn die Hemmungswirkung des § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB erst ab diesem Zeitpunkt greifen würde, wäre dies „zu spät“ für K: Ks Anspruch verjährte am 31.12.2018. (Weitere) Verjährungshindernisse findest Du in unserem Kurs zum BGB AT.

4. Um die Verjährung von Ks Anspruch rechtzeitig zu hemmen, hätte die Zustellung der Klage an B zwingend noch im Jahr 2018 erfolgen müssen (vgl. § 167 ZPO).

Nein, das trifft nicht zu!

Wenn es in Deiner Klausur ein Problem mit der Zustellung gibt, solltest Du immer an § 167 ZPO denken. § 167 ZPO sieht unter bestimmten Voraussetzungen eine Rückwirkung der Zustellung vor. Soll etwa die Verjährung nach § 204 BGB gehemmt werden, so tritt diese Wirkung bereits mit Eingang des Klageantrags bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt. Voraussetzung ist: (1) Eingang der Klageschrift bei Gericht, (2) demnächst erfolgte Zustellung an den Adressaten, (3) Wirksamkeit der Zustellung. Die Klage war bereits am 29.11.2018 – und damit vor dem Ende der Verjährungsfrist (31.12.2018) – anhängig (= Eingang bei Gericht). Die Zustellung der Klage an die B müsste nur demnächst im Sinne von § 167 ZPO erfolgt sein.

5. Ist § 167 ZPO eine genaue Zeitangabe zu entnehmen, wann die Zustellung erfolgen muss, damit die Rückwirkung eintritt?

Nein!

Wenn die Verjährung nach § 204 BGB gehemmt werden soll, so tritt diese Wirkung bereits mit Eingang der Klage bei Gericht ein, wenn die Zustellung demnächst erfolgt (§ 167 ZPO). Die Zustellung muss für die Rückwirkung nach § 167 ZPO nur demnächst erfolgen. Die Norm gibt hierfür jedoch keinen bestimmten Zeitraum vor. Es ist vielmehr eine Abwägung dahingehend vorzunehmen, ob der Zustellungsbetreibende alles Zumutbare für eine alsbaldige Zustellung getan hat und ob der Rückwirkung keine schutzwürdigen Belange des Zustellungsempfängers entgegenstehen. Geringfügige Verzögerungen, die auf Versäumnissen des Zustellungsbetreibenden beruhen, sind diesem nicht zuzurechnen. Geringfügig ist die Verzögerung nach dem BGH jedenfalls dann, wenn sie einen Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreitet (RdNr. 34).

6. Die K zuzurechnende Verzögerung ist zu ermitteln. Kommt es darauf an, inwieweit sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Klagezustellung aufgrund der Nachlässigkeit der K verlängert?

Genau, so ist das!

Vermeidbare Verzögerungen, die auf den Geschäftsbetrieb des Gerichts oder der Post zurückzuführen sind, werden der Klägerin nicht angerechnet (BGH, Urt. v. 10.2.2011 - VII ZR 185/07 RdNr. 8). Dies gilt selbst dann, wenn derartigen Verzögerungen im Zustellungsverfahren ihrerseits eine der Partei zuzurechnende Verzögerung vorausgegangen ist (BGH, Urt. v. 21.7.2013 - V ZR 215/21 RdNr. 6). Der Zeitraum für die Klagezustellung hat sich zunächst aufgrund der Angabe einer falschen Zustellanschrift durch K verlängert. Gesondert zu betrachten ist die Verzögerung aufgrund der Einlage der Klageschrift in den Briefkasten eines Dritten.

7. Der Zusteller hat die Klage in den Briefkasten eines Dritten gelegt, statt sie mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit wieder an das Gericht zurückzusenden. Handelt es sich dabei um eine Verzögerung im Geschäftsablauf, die der K nicht zuzurechnen ist?

Ja, in der Tat!

Das Gericht hat die Klageschrift von Amts wegen zuzustellen (§§ 253 Abs. 1, 271 Abs. 1, 166 Abs. 2 ZPO). Die gemäß § 168 Abs. 1 S. 2 ZPO von der Geschäftsstelle des Gerichts veranlasste Beauftragung des Zustellorgans ist dabei Teil des Geschäftsablaufs des Gerichts. Verzögerungen, die in der Ausführung der Zustellung durch das Zustellorgan begründet sind, werden der Klägerin daher nicht zugerechnet. Das Zustellorgan hat die Klage hier nicht unverzüglich mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit an das Gericht zurückgeleitet. Die hierdurch entstandene Verzögerung im Geschäftsablauf ist K nicht zuzurechnen. Dies gilt auch, wenn K vor Angabe der Anschrift der B in der Klageschrift (vgl. § 130 Abs. 1 Nr. 1 ZPO) hätte prüfen müssen, ob die ihr bekannte Anschrift der B noch aktuell ist.

8. Der Dritte hat die Klage am 4.2.2019 an das Gericht zurückgeleitet. Hätte die Verzögerung (vermutlich) ebenso viele Tage umfasst, wenn der Zusteller die Klage unverzüglich zurück ans Gericht geschickt hätte?

Nein!

Es kommt hier darauf an, ob K eine Verzögerung der Klage zugerechnet werden kann, die über 14 Tage hinausgeht. Denn in diesem Fall würde der § 167 ZPO nach Ansicht des BGH nicht mehr greifen. Die der Klägerin zuzurechnende Verzögerung aufgrund der Angabe einer falschen Zustellanschrift bemisst sich nach dem hypothetischen Verlauf einer ordnungsgemäßen Zustellung ab dem Zeitpunkt des ersten (fehlgeschlagenen) Zustellungsversuchs. Es kommt darauf an, wie die Zustellung ohne eine dem Gericht zurechenbare Verzögerung verlaufen wäre (RdNr. 40). Dabei sind die unerlässlichen Gerichts- und Postlaufzeiten zu berücksichtigen, die vom ersten Zustellungsversuch bis zur erfolgreichen Zustellung angefallen wären (RdNr. 41). Im Falle einer ordnungsgemäßen Zustellung hätte der Zusteller die Klageschrift unverzüglich als „unzustellbar“ an das Gericht zurückgeleitet. Spätestens am 25.1.2019 (Freitag) hätte die Klage wieder dem Gericht vorgelegen. Eine erneute Zustellung wäre jedenfalls am 28.1.2019 (Montag) in die Wege geleitet worden. Die Klage wäre spätestens 7 Tage später, d.h. am 4.2.2019, der B zugestellt worden. Zwischen tatsächlicherVeranlassung der Zustellung am 5.2.2019 und Zustellung am 12.2.2019 fiel eine insoweit zugrunde zulegende Postlaufzeit von 7 Tagen an. Die der K zuzurechnende Verzögerung beträgt insgesamt nur 12 Tage (23.1. bis 4.2.2019). Hinsichtlich des durch K zu zahlenden Gerichtskostenvorschusses wurde im zugrundeliegenden Urteil zugunsten der K angenommen, dass ihr die Gerichtskostenrechnung erst am 7.1.2019 zuging. Die Anweisung des Vorschusses am 10.1.2019 (Eingang bei Gericht am Folgetag) begründete daher keine K zuzurechnende Verzögerung (RdNr. 36).

9. Die Wirkung des § 167 ZPO ist zugunsten der K eingetreten. Kann sich B gegenüber Ks Werklohnforderung auf die Einrede der Verjährung berufen?

Nein, das ist nicht der Fall!

Die Klageschrift wurde B erst am 12.2.2019 zugestellt. Sie ist daher erst nach Ablauf der regelmäßigen Verjährungsfrist (Ende 2018) rechtshängig geworden. Die Klage war jedoch bereits am 29.11.2018 anhängig. Die der K zuzurechnende Zustellungsverzögerung ist geringfügig. Die Zustellung der Klage erfolgte demnächst im Sinne von § 167 ZPO. Die Hemmung der Verjährung gemäß § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist damit bereits am 29.11.2018 eingetreten. B kann dem Vergütungsanspruch der K nicht die Einrede der Verjährung entgegenhalten. Das Kammergericht hatte die Klage wegen Verjährung des Anspruchs abgewiesen i.R.d. Berufung abgewiesen (KG, Urt. v. 12.12.2023 - 21 U 47/22). Es verneinte die Rückwirkung der Zustellung, da die K zuzurechnende Verzögerung mehr als 14 Tage betragen habe. Zur Begründung führte es u.a. an, K habe durch Angabe einer falschen Anschrift die fehlerhafte Zustellung veranlasst. Der BGH hat das Urteil des KG aufgehoben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und zur Entscheidung zurückverwiesen. Der BGH konnte selbst nicht in der Sache entscheiden, da der Rechtsstreit nicht zur Endentscheidung reif war (vgl. § 563 Abs. 1, 3 ZPO). Dafür hätten alle entscheidungserheblichen Tatsachen geklärt sein müssen, da das Revisionsgericht eine reine Rechtskontrollinstanz ist.
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Wesensgleiches Minus

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28.2.2025, 10:15:16

Interessanter und sicherlich bei den Prüfungsämtern beliebter ZPO-Fall! Könntet ihr eine Lösungsskizze anfügen? Mir ist leider nicht klar geworden, in welcher Reihenfolge ich was prüfen muss in der Klausur (insbesondere innerhalb des

§ 167 ZPO

).


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