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Fehler des Zustellers – Zurechnung? (BGH, Urt. v. 10.10.2024 – VII ZR 240/23)
Fehler des Zustellers – Zurechnung? (BGH, Urt. v. 10.10.2024 – VII ZR 240/23)
24. Juni 2025
4 Kommentare
4,7 ★ (21.770 mal geöffnet in Jurafuchs)
+++ Sachverhalt (reduziert auf das Wesentliche)
K hat eine seit 2015 fällige Werklohnforderung gegen B. 2016 ändert sich Bs Anschrift im Handelsregister. K verklagt B mit am 29.11.2018 anhängiger Klage auf Zahlung des Lohns. Die Klage weist als Zustelladresse Bs Anschrift aus 2015 aus. Dort legt sie der Zusteller am 23.1.2019 in den Briefkasten eines Dritten.
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Einordnung des Falls
Fehler des Zustellers – Zurechnung? (BGH, Urt. v. 10.10.2024 – VII ZR 240/23)
Die Jurafuchs-Methode schichtet ab: Das sind die 9 wichtigsten Rechtsfragen, die es zu diesem Fall zu verstehen gilt
1. Erst am 12.2.2019 wird die Klage an der aktuellen Anschrift der B zugestellt. Ist Ks Klage unbegründet, wenn B zu Recht die Einrede der Verjährung erhebt (§ 214 Abs. 1 BGB)?
Ja, in der Tat!
2. Die Verjährungsfrist für die Klageforderung lief grundsätzlich mit dem 31.12.2019 ab (§§ 195, 199 Abs. 1 BGB).
Nein!
3. Ks Werklohnanspruch wäre grundsätzlich seit dem 31.12.2018 verjährt. Könnte die Verjährungsfrist durch Ks Klage gehemmt worden sein (§ 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB)?
Genau, so ist das!
4. Um die Verjährung von Ks Anspruch rechtzeitig zu hemmen, hätte die Zustellung der Klage an B zwingend noch im Jahr 2018 erfolgen müssen (vgl. § 167 ZPO).
Nein, das trifft nicht zu!
5. Ist § 167 ZPO eine genaue Zeitangabe zu entnehmen, wann die Zustellung erfolgen muss, damit die Rückwirkung eintritt?
Nein!
6. Die K zuzurechnende Verzögerung ist zu ermitteln. Kommt es darauf an, inwieweit sich der ohnehin erforderliche Zeitraum für die Klagezustellung aufgrund der Nachlässigkeit der K verlängert?
Genau, so ist das!
7. Der Zusteller hat die Klage in den Briefkasten eines Dritten gelegt, statt sie mit einem Vermerk über den Grund der Unzustellbarkeit wieder an das Gericht zurückzusenden. Handelt es sich dabei um eine Verzögerung im Geschäftsablauf, die der K nicht zuzurechnen ist?
Ja, in der Tat!
8. Der Dritte hat die Klage am 4.2.2019 an das Gericht zurückgeleitet. Hätte die Verzögerung (vermutlich) ebenso viele Tage umfasst, wenn der Zusteller die Klage unverzüglich zurück ans Gericht geschickt hätte?
Nein!
9. Die Wirkung des § 167 ZPO ist zugunsten der K eingetreten. Kann sich B gegenüber Ks Werklohnforderung auf die Einrede der Verjährung berufen?
Nein, das ist nicht der Fall!
Fundstellen
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Fragen und Anmerkungen aus der Jurafuchs-Community

Wesensgleiches Minus
28.2.2025, 10:15:16
Interessanter und sicherlich bei den Prüfungsämtern beliebter ZPO-Fall! Könntet ihr eine Lösungsskizze anfügen? Mir ist leider nicht klar geworden, in welcher Reihenfolge ich was prüfen muss in der Klausur (insbesondere innerhalb des
§ 167 ZPO).

Thomas Mayo
21.4.2025, 13:42:45
Würde mich auch interessieren!

Nadim Sarfraz
15.5.2025, 13:30:39
Hallo
Wesensgleiches Minus, danke für Deine Anregung. Im Folgenden findest Du einen instruktiven Lösungsvorschlag, der bzgl. Argumentation und den Grundgedanken der BGH-Entscheidung an der insoweit erschöpfenden Aufgabe angelehnt ist. :) Liebe Grüße, Nadim für das Jurafuchs-Team I. Anspruch entstanden (und ggf. nicht erloschen)? II.
Leistungsverweigerungsrechtdes
Schuldners gem. § 214 Abs. 1 BGB (=Anspruch durchsetzbar?) B könnte die Leistung gem. § 214 Abs. 1 BGB verweigern, wenn der Anspruch verjährt ist. 1. Erhebung der Verjährungseinrede durch den
Schuldner Wie in der Aufgabe beschrieben, müsste der B zunächst die Einrede der Verjährung erheben. 2. Verjährungstatbestand Jetzt prüfst Du, ob der Anspruch gem. § 194 Abs. 1 BGB verjährt ist. a. Prüfung der regulären Verjährungsfrist Erst wenn die Verjährungsfrist im Zeitpunkt der tatsächlichen Zustellung überhaupt abgelaufen wäre, werden die Fragen rund um § 204 Abs. 1 BGB und
§ 167 ZPOrelevant. Hier wäre die Frist gem. §§ 195 ff. BGB am 31.12.2018 und damit vor tatsächlicher Zustellung am 12.02.2019 abgelaufen. b. Hemmung der Verjährung durch Erhebung der Klage gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m.
§ 167 ZPOHier prüfst Du nun, ob die Klage innerhalb der Verjährungsfrist „erhoben“ wurde und damit gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB den Ablauf der Verjährung hemmen konnte. Die Erhebung der Klage erfolgt nach § 253 Abs. 1 ZPO durch „Zustellung“. Dieser Begriff ist wiederum in § 166 ZPO normiert. Die tatsächliche Zustellung erfolgte hier am 12.02.2019 und damit grundsätzlich nach Ablauf der Verjährungsfrist. Das kannst Du hier nochmal kurz feststellen, um elegant in
§ 167 ZPOüberzuleiten. Hier könnte dem Kläger nun die Rückwirkungsfiktion gem.
§ 167 ZPOverhelfen, da mit Zustellung der Klage nach § 204 BGB die Verjährung gehemmt werden sollte (Wortlaut des
§ 167 ZPO). Die Prüfung könntest Du nun mit dem folgenden Obersatz, orientiert am Wortlaut des
§ 167 ZPO, einleiten: „Die Wirkung (Hemmung der Verjährung) könnte gem.
§ 167 ZPObereits mit Eingang der Klage bei Gericht am 29.11.2018 eingetreten sein. Hierfür müsste die Zustellung der Klage ‚demnächst‘ im Sinne des
§ 167 ZPOerfolgt sein.“ Nun prüfst Du
§ 167 ZPOanhand des in der Aufgabe bereits dargestellten Prüfungsschemas: aa. Eingang der Klageschrift bei Gericht und wirksame tatsächliche Zustellung Die Klage ist am 29.11.2018 bei Gericht – also noch vor Ablauf der Verjährungsfrist – eingegangen. Die tatsächliche Zustellung ist am 12.02.2019 wirksam erfolgt. bb. „Demnächst“ erfolgte Zustellung Das ist nun der Schwerpunkt der Prüfung.: Hier musst Du in den Worten des BGH prüfen, „ob die durch den Kläger zu vertretende Verzögerung der Zustellung den Zeitraum von 14 Tagen nicht überschreitet.“ (BGH NJW-RR 2024, 1569, 1570). Du musst nun den „hypothetischen Verlauf der Zustellung ab dem Zeitpunkt der fehlgeschlagenen Erstzustellung ermitteln“ (BGH NJW-RR 2024, 1569, 1571) und so beantworten, ob durch die fehlerhafte Adressangabe dem Kläger eine Verzögerung von über 14 Tagen zuzurechnen ist. (1) Zeitpunkt der fehlgeschlagenen Erstzustellung Das war der 23.01.2019 – der Tag, an dem der Postbote die Klageschrift fälschlicherweise in die Briefkasten des Dritten einwarf, anstatt sie ordnungsgemäß an das Gericht als „unzustellbar“ zurückzusenden. (2) Hypothetischer Zeitpunkt einer ordnungsgemäßen Zustellung Hier prüfst Du nun, wann die Zustellung erfolgt wäre, wenn man unterstellt, lediglich der Fehler des K hätte zu einer Verzögerung geführt, Post und Gericht dagegen hätten bei der Zustellung ordnungsgemäß gehandelt: Bei (hypothetisch) ordnungsgemäßem Zustellungsverlauf hätte der Postbote die Klageschrift zurück an das Gericht versandt. Dem Gericht hätte die Klageschrift wieder am 25.01.2019 (Freitag) vorgelegen. Die Klageschrift hätte das Gericht gem. § 271 Abs. 1 ZPO
unverzüglicham 28.01.2019 (Montag) auf den Weg in Richtung der richtigen Adresse des Beklagten gebracht. Bei einer Postlaufzeit von 7 Tagen wäre sie dem Beklagten am 04.02.2019 zugestellt worden. Damit hat K aufgrund der falschen Angabe der Adresse lediglich eine Verzögerung von 12 Tagen (25.01.2019 – 04.02.2019) zu vertreten. Dieser Zeitraum unterschreitet die 14 Tage Frist des BGH, womit die tatsächliche Zustellung „demnächst“ erfolgt ist. (Merke: Die weitergehende Verzögerung, die der Postbote dadurch verursachte, dass er die Klageschrift in den falschen Briefkasten warf, hat K nicht zu vertreten. Auch der Umstand, dass das Gericht die Klageschrift erst am 23.01.2019 auf den Weg brachte, obwohl sie bereits am 29.11.2018 eingegangen war, ist dem K nicht zuzurechnen!) cc. Ergebnis Die Wirkung der
Verjährungshemmunggem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB ist gem.
§ 167 ZPObereits mit Eingang der Klage bei Gericht am 29.11.2018 eingetreten, da die Klage „demnächst“ im Sinne des
§ 167 ZPOzugestellt worden ist. c. Gesamtergebnis K hat mit Erhebung der Klage gem. § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB den Ablauf der Verjährungsfrist gehemmt. Da die Verjährung nicht eingetreten ist, kann sich B nicht auf Verjährung berufen und der Anspruch ist weiterhin durchsetzbar.
ButchCassidy
13.6.2025, 13:13:44
Ich verstehe leider dennoch nicht ganz, wieso nicht der 23.01 herangezogen wird, um den Beginn der von K zu vertretenen Verzögerung zu bemessen. Hätte K die Adresse vorab geprüft, wäre die Klage wirksam an der richtigen Adresse zugestellt worden und die Klage rechtshängig geworden. Kann mir jemand helfen, wo mein Denkfehler ist?